Nicht mehr vor Weihnachten

Spanien Eine Regierungsbildung stößt weiterhin auf Hindernisse – und scheitert vor allem an der Katalonien-Frage. Einer Koalition aus PSOE und Podemos fehlen die nötigen Stimmen
Nicht auszuschließen, dass Premier Sánchez doch ein Agreement mit den Rechtsparteien sucht
Nicht auszuschließen, dass Premier Sánchez doch ein Agreement mit den Rechtsparteien sucht

Foto: Pierre-Philippe Marcou / AFP - Getty Images

Wer die derzeitige Gemengelage analysiert, sollte stets sauber zwischen Inszenierung und Realität unterschieden werden. Zwar haben Pedro Sánchez (PSOE) und Pablo Iglesias (Unidas Podemos) kurz nach der Wahl vom 10. November mit einer Umarmung den Pakt für eine Koalition besiegelt. Diese geschah zwei Tage nach einem Wahlkampf, in dem Pedro Sánchez diesbezügliche Angebote von Iglesias konsequent ignorierte und hartnäckig eine gemeinsame Regierung ablehnte.

Zusammen verfügen beide Parteien über 155 Stimmen in einem Kongress mit 350 Abgeordneten. Woher also sollen die fehlenden 21 Stimmen kommen? Selbst wenn man die drei Mandate der von Unidas Podemos abgespaltenen Partei Más País hinzuzählt und die der vielen regionalen Miniparteien, die eine Unterstützung jedenfalls nicht ausschließen (insgesamt sind im neuen Kongress 16 Parteien vertreten), würde es nicht reichen. Die einzige Chance für eine Mehrheit, und das erst im zweiten Wahlgang, besteht in einer Stimmenthaltung der katalanischen Republikanischen Linken (Esquerra Republicana/ERC), deren Präsident Oriol Junqueras – zu 13 Jahren Haft verurteilt – im Gefängnis sitzt.

Sehr wendig

Es ist schwindelerregend, mit welcher Geschwindigkeit Pedro Sánchez sich dieser Lage angepasst hat. Erste wurde der katalanischen Regierung eine erneute Entmachtung nach Artikel 155 der Verfassung angedroht und auf einer vollen Verbüßung der Strafen für die im Gefängnis sitzenden Katalanen bestanden – dann plötzlich wurde ERC umworben. Unversehens erkennt Sánchez die katalanische Frage als „politisches Problem“ an, das durch Dialog gelöst werden müsse. ERC – nicht dumm – hat darauf umgehend mit einer Abstimmung unter ihren Mitgliedern zu folgender Frage reagiert: „Sind Sie damit einverstanden, gegen die Investitur von Pedro Sánchez zu stimmen, wenn es nicht zuvor eine Vereinbarung gibt, den politischen Konflikt mit dem (spanischen) Staat am Verhandlungstisch anzugehen?“.

Über 90 Prozent haben bei dieser Abstimmung auf diese Frage mit „Ja“ geantwortet. Diese Bedingung bedeutet aber einen Frontalangriff auf gleich mehrere Tabus der Sozialistischen Partei: Verhandlungstisch und nicht Gesprächsrunde; Verhandlungen zwischen den Regierungen in Madrid und in Barcelona auf Augenhöhe; Zulassung des Rechts auf Selbstbestimmung als Verhandlungsthema.

Parteibarone brüskiert

Schon im Vorfeld ließen die Reaktionen aus dem Establishment des PSOE nicht auf sich warten: Ex-Premier Felipe González – immer noch unangefochtener „Übervater“ des PSOE und selbst unübertroffen wandlungsfähig – ließ verlauten, dass er sich angesichts der Politik von Pedro Sánchez als „Waisenkind“ fühle: von keiner Partei mehr vertreten. Ihm folgten umgehend weitere „Barone“ der Partei, etwa die Präsidenten von Aragón und Castilla la Mancha, die vor jedweder Annäherung an die katalanischen „Separatisten“ warnten. Juan Carlos Ibarra, Expräsident von Extremadura, setzte dem noch eins drauf und kündigte für diesen Fall seinen Parteiaustritt an. Es bleibt abzuwarten, wie lange es sich für den „Zocker“ Sánchez lohnt, diesem Druck der „Nomenklatura“ seiner Partei standzuhalten.

Die Haltung der ERC zur Ermöglichung einer Wahl von Pedro Sánchez in Form einer Stimmenthaltung ist im übrigen alles andere als klar: In Katalonien wird mit vorgezogenen Neuwahlen gerechnet und hier konkurriert ERC mit JxCat und CUP, zwei Unabhängigkeitsparteien, die in den Wahlen zugelegt haben und die eine Stimmenthaltung zugunsten von Pedro Sánchez kategorisch ausschließen. Das Manövrieren von ERC im Hinblick auf die Wahl des Regierungspräsidenten hat insofern viel mit der innenpolitischen Situation in Katalonien zu tun.

Und schon zeichnet sich ein neues Szenario am Horizont ab, das die Vorstellungskraft der spanischen Politik wohl endgültig überfordern dürfte: Es ist gut möglich, dass der Europäische Gerichtshof in Luxemburg demnächst für die Immunität von Puigdemont und weiteren im Exil befindlichen Katalanen in ihrer Eigenschaft als Abgeordnete des Europäischen Parlaments entscheidet. Das würde die spanische Justiz dann vermutlich auch zur Freilassung von Oriol Junqueras zwingen. Man stelle sich vor: alle diese „Staatsfeinde“ dürften dann wieder in Spanien frei herumlaufen und in der katalanischen Politik mitspielen. Jedenfalls hat Maciel Szpunar, Generalanwalt des EuGH, bereits eine Empfehlung in diesem Sinn abgegeben.

Unüberwindbare Schwelle

Währenddessen versucht der katalanische Ableger des PSOE, die Sozialistische Partei Kataloniens (PSC), so gut es geht den Weg für eine Vereinbarung mit der ERC zu ebnen: Sie spricht von der „Plurinationalität“ Spaniens und schlägt eine neue Verfassung auf der Basis eines föderalen Modells vor. Hier gibt es erneut und besonders krass einen Abgrund zwischen Inszenierung und politischer Realität: Für jede Verfassungsänderung wären mehr als 60 Prozent Zustimmung sowohl im Kongress als auch im Senat notwendig, bei der gegenwärtigen Zusammensetzung des Parlaments eine ohne die Zustimmung der Rechten sowie der extremen Rechten einerseits und der katalanischen Autonomen (CUP) andererseits unüberwindbare Schwelle…

Unter diesen Umständen ist von einer neuen Regierung noch vor Weihnachten schon nicht mehr die Rede.

Eine andere Option für einen Ausweg aus der Krise dürfte daher – Umarmung zwischen Sánchez und Iglesias hin oder her – nicht vom Tisch sein: ein Regierungschef Sánchez, der sich auf die Duldung oder Mitwirkung der Rechten stützt. Die hat bereits ihre Zustimmung zu eventuell notwendigen Repressionsmaßnahmen zur „Befriedung“ Kataloniens angeboten.

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