Selbst die spezialisierten Berichterstatter in Spanien haben den Überblick über die aktuellen Korruptionsskandale verloren, deren Namen durch die Medien schwirren: Fall Púnica, Fall Lezo, Fall Tandem, Fall Gürtel, Fall Kitchen, Fall Bárcenas, Fall Villarejo, Fall Caja B, Fall Taula, Fall Arganda del Rey, Fall König Juan Carlos I, usw. usf.; die zurückliegenden Skandale könnten Bibliotheken füllen.
Genauso interessant wie die Skandale an sich sind die Skandale um deren juristische Aufarbeitung. Über die Politisierung der spanischen Justiz und ihre Rechtslastigkeit ist hier einiges berichtet worden, angefangen bei der Zusammensetzung von deren oberstem Kontrollorgan CGPJ und den von dort aus platzierten Richtern, sei es im Obersten Gerichtshof, sei es im Nationalen Gerichtshof. Insbesondere der Richter Pablo Llarena, der gegen die katalanischen „Separatisten“ ermittelt hatte und die bisher erfolglose Auslieferung von Puigdemont betreibt, hatte sich dabei einen Namen gemacht.
Retter des Vaterlandes
Während Llarena, beseelt von seiner Rolle als Retter des Vaterlandes, an der Zerschlagung der autonomen katalanischen Institutionen arbeitete, haben sich andere Richter mehr oder weniger direkt in den Dienst der Rechtspartei PP gestellt. Einer von ihnen ist dieser Tage durch die Dreistigkeit seines Agierens berühmt geworden. Sein Name: Manuel García Castellón García Lomas, 69 Jahre alt. Durch juristische Kompetenz fiel er nicht auf. So belegte er unter den 45 Kandidaten, die 1982 die Aufnahmeprüfung in die „Escuela Jurídica“ bestanden hatten, den Rang 37. Trotzdem schaffte er nach zehn Jahren in der Provinz den Aufstieg zum Richter des Nationalen Gerichtshof. Von der Rechtsregierung unter Aznar wurde er dann, nicht einmal des Französischen mächtig, dafür aber führendes Mitglied der rechten Richtervereinigung APM, wo er es bis zum Schatzmeister brachte, zum Leiter des Verbindungsbüros der spanischen Justiz in Paris ernannt. In Paris führte er ein vergleichweise entspanntes Leben, das er dann in der gleichen Funktion in Rom fortsetzte. Nach 17 Jahren fern von Spanien und außerhalb eines aktiven Richterlebens, kehrte er dann plötzlich auf Betreiben des rechten Präsidenten des CGPJ, Carlos Lesmes Serrano, auf seinen Platz am Nationalen Gerichtshof zurück.
Was war passiert? Die Rechtspartei PP war von Ermittlungen wegen krimineller Tätigkeiten geradezu eingekreist. In der Region Valencia wurde sogar gefordert, die Partei zur kriminellen Vereinigung zu erklären. Beim Amtsantritt von García Castellón war der „Fall Gürtel“ in vollen Gange. Es ging um ein weitverzweigtes Netz illegaler Finanzierung der Partei PP durch korrupte Unternehmen auf dem Wege öffentlicher Aufträge. Der Skandal eskalierte, als plötzlich in den Medien eine handschriftliche Liste von prominenten Figuren der Rechtspartei PP auftauchte, die aus einer „Kasse B“ ein zweites Gehalt bezogen. Diese Liste schloss den Chef der Rechtsregierung, Mariano Rajoy, ein. Verfasst war die Liste von Luis Bárcenas, zu diesem Zeitpunkt Schatzmeister des PP. Die Justiz hatte keinen andere Wahl: Nachdem Rajoy ihm noch am Telefon Solidarität versprochen hatte, musste der PP gegen Bárcenas vorgehen, der daraufhin von seiner Partei entlassen wurde und Hausverbot erhielt.
Als er schließlich gerichtlich durchsetzte, sein Büro räumen zu können, waren seine Computer und Datenträger gelöscht bzw. vernichtet. Aus weiteren Details, die danach in den Medien auftauchten, durfte geschlossen werden, dass Bárcenas wichtiges Material in Sicherheit gebracht hatte. Obwohl die herrschende Presse Bárcenas zu einem Schwindler erklärte, fühlte sich die Rechtspartei von ihm bedroht – und zu Recht, hatte er doch das Schicksal der Regierung in der Hand. Daraufhin wurde, unter Beteiligung der Parteispitze, des Innenministers und der Polizei, ein Einbruch bei Bárcenas organisiert, bei dem das brisante Beweismaterial gefunden und entwendet wurde. Die Spuren führten bis zur Generalsekretärin der Partei, María Doleres de Cospedal García, Ziehmutter des gegenwärtigen Parteivorsitzenden Pablo Casado (Fall Kitchen).
Hetzjagd auf Iglesias
Für die Partei wurde es daraufhin allmählich ungemütlich. Als die Staatsanwaltschaft schließlich Anklage gegen Cospedal einreichte und die Vorladung von Ex-Regierungschef Rajoy beantragte, übernahm der Richter García Castellón plötzlich den Fall. In kurzer Zeit entschied er, die Ermittlungen gegen Cospedal und dutzende weitere Verdächtige im PP-Umfeld einzustellen. Als Hauptangeklagter blieb der inzwischen aus der Partei ausgeschlossene ehemalige Innenminister Fernández Díaz übrig. Die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger sind fassungslos und prüfen die Rechtsmittel.
Der gleiche Richter hält gleichzeitig geradezu fanatisch daran fest, Pablo Iglesias, ehemaliger Generalsekretär der Linkspartei Podemos, vor dem Obersten Gerichtshof anzuklagen. Da es hierzu an jeder Rechtsgrundlage mangelt, wurde dieses Ansinnen bereits mehrfach vom Obersten Gericht zurückgewiesen.
Währenddessen atmet der PP erleichtert auf und verkündet lautstark, dass die Angriffe gegen die Partei und gegen Cospedal, die ehrenwerte Ziehmutter von Pablo Casado, der hoffentlich bald die linke Regierung ablösen wird, nun endlich von der Justiz abgewiesen worden sind.
Der arme ehemalige Innenminister Fernández Díaz, prominentes Mitglied des Opus Dei, hadert indessen mit Gott, weil sein Schutzengel „Marcelo“ ihn anscheinend dieses Mal im Stich gelassen hat.
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