Anfang Dezember gewann bei der Wahl in Andalusien die neue Partei VOX, rechtsextrem bis ins Mark, zwölf Sitze im Regionalparlament, vorhergesagt war ein Mandat. Über Nacht bekam Spanien seine Version der AfD. Die Rechtsparteien feiern diesen Anachronismus als „Untergang des Sozialismus“ – der sei nach fast 40 Jahren in Andalusien besiegt, wenn auch in Madrid mit dem sozialdemokratischen PSOE noch immer an der Macht. Andalusien gilt als eine Art spanisches Nordrhein-Westfalen mit großem Gewicht bei nationalen Wahlen. Ist bei der nächsten Abstimmung über die Cortes Generales landesweit eine erdrutschartige Verschiebung nach rechts – oder gar hin zu rechtsextrem – denkbar?
Statt zu erschrecken, sprachen sich die Führungen des konservativen Partido Popular (PP) und der Ciudadanos (Cs) sofort für Verhandlungen mit VOX aus, um in Andalusien mit deren Stimmen einen Machtwechsel auszulösen. Es war keine Rede mehr von irgendeiner „roten Linie“, die rechtsliberale Ciudadanos zögerte noch wegen des Images, aber dann war die Koalition besiegelt.
Das Programm der von Santiago Abascal, einem lange vom Partido Popular ausgehaltenen Dandy, geführten Partei VOX ist mit „Reconquista“ (Wiedereroberung) überschrieben. So will man das Gesetz zur historischen Erinnerung ebenso wie das gegen Gewalt an Frauen (Feminismus wird als „Herrschaft der Weibchen“ verunglimpft) kassieren und im Gegenzug Dekrete zum Schutz des Stierkampfs, zur Schließung von Moscheen und zur Abschaffung der Steuer auf Vermögen, Erbschaft und Gewinne beschließen. Pablo Casado, neuer Führer und „Hallodri“ des PP, versucht inzwischen, VOX rechts zu überholen. In täglichen medialen Exzessen erklärt er, das Gesetz zur historischen Erinnerung störe den Konsens zwischen Franco-Anhängern und -Gegnern, der 1978 den Übergang zur Demokratie ermöglicht habe. Überdies seien viele Hinterbliebene von Franco-Opfern durch eine Rente entschädigt worden, mit der sie längst die Suche nach sterblichen Überresten ihrer Angehörigen in Massengräbern hätten finanzieren können.
Unisono fordern Partido Popular, Ciudadanos und VOX zudem, sofort den Artikel 155 der spanischen Verfassung geltend zu machen, um die katalanische Regionalregierung zu entmachten. PP-Chef Casado geht so weit, Premier Pedro Sánchez (PSOE) als „Komplizen“ eines in Katalonien versuchten „Staatsstreichs“ und als „Verräter“ zu denunzieren. Statt Kante zu zeigen versichert der Angegriffene prompt, ihm werde „nicht die Hand zittern“, auf Artikel 155 zurückzugreifen. Das Problem: Dessen Anwendung müsste diesmal unbefristet erfolgen, um einen erneuten Wahlsieg der Unabhängigkeitsbefürworter wie im Dezember 2017 zu verhindern. Was auf einen Bruch der Verfassung hinausliefe, wäre doch die Autonomie der Regionen als Grundlage des spanischen Staats aufgehoben. Ein den „Separatisten“ vorgeworfener „Staatsstreich“ fände dann tatsächlich statt – als Putsch der Zentralregierung.
Am Wettlauf um mehr Repression gegen Katalonien beteiligen sich auf regionaler Ebene auch Sozialisten. So verlangen Emiliano García-Page, Präsident der Regionalregierung in Castilla-La Mancha, und Javier Lambán, Präsident in Aragón, das Verbot der katalanischen Unabhängigkeitsparteien. Nach Javier Pérez Royo, einem Verfassungsrechtler in Sevilla, wäre ein solches Verbot klar verfassungswidrig, und das Verbot einer Partei, die einen solchen Verfassungsbruch fordert, zwingend.
Provokation in Barcelona
Um Härte gegenüber den katalanischen „Separatisten“ zu zeigen, gab die PSOE-Regierung in Madrid kurzfristig bekannt, am 21. Dezember eine seit Längerem geplante Sitzung des Ministerrats in Barcelona abzuhalten. Für viele Katalanen eine gezielte Provokation, handelte es sich doch um den ersten Jahrestag der von der letzten Regierung des Partido Popular in Madrid angeordneten Neuwahlen. Entsprechend heftig war der Protest, sodass ein massiver Polizeieinsatz (Kosten: eine Million Euro) stattfand. Um diesen Aufwand zu rechtfertigen, wurde im letzten Moment der katalanische Regierungschef Quim Torra zu einem kurzen Treffen mit Pedro Sánchez in Barcelona genötigt. Ungeachtet dessen gab es 25 blockierte Verkehrstrassen im Großraum der katalanischen Metropole, dazu Zusammenstöße mit der Polizei und 77 Verletzte.
Gleichzeitig ging die Selbstdemontage des Obersten Gerichts weiter. Vor den Prozessen gegen katalanische Politiker wurde im Schnellverfahren der Befangenheitsantrag der Angeklagten gegen den Vorsitzenden Richter Manuel Marchena abgebügelt. Der Sprecher der PP-Fraktion im Senat jubelte daraufhin vor Parteikollegen: Mit der Bestätigung dieses Juristen als Vorsitzenden der Obersten Justizbehörde sei die zuständige Zweite Kammer voll unter PP-Kontrolle. Ebenfalls abgeschmettert wurden Einsprüche gegen die Zuständigkeit des Obersten Gerichts. Doch gibt es auch Lichtblicke: Vier katalanische Häftlinge waren in einen Hungerstreik getreten, weil das Verfassungsgericht ihre Klage vor dem Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte blockierte. Als sich ihr Zustand dramatisch verschlechterte, lenkte die Kammer schließlich ein.
Kurz vor dem Jahreswechsel erschien ein Bericht, dem zu entnehmen war, dass Spanien 2018 achtmal vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen Menschenrechtsverletzungen verurteilt wurde. Mit den Prozessen gegen katalanische Politiker – soviel ist sicher – dürfte sich das wiederholen.
Kommentare 2
Überrascht irgendwo nicht zur Gänze: Auch in Deutschland braut sich im Spektrum rechts der Mittellinie ein ähnlicher Cocktail zusammen – hier eben mit reger Beteiligung einschlägig Verdächtiger aus CDU/CSU, FDP und AfD. Insofern erfolgt das Zusammenrücken von Christdemokraten, neoliberalen Hardlinern und Faschisten in Spanien lediglich schneller, unumwundener als bei uns – wo angesichts der Option, offen mit der AfD ins Bett zu steigen, noch Hürden skrupulöser sowie wählerbezogener Art zu überwinden sind.
Meines Erachtens hat die Entwicklung ihre Logik: Im Anblick sich zuspitzender Krisenentwicklungen ist für DREI separate gesellschaftliche Blöcke (in der herkömmlichen Terminologie: Linke, Mitte und Rechte) kein Platz. Die Mitte muß sich folglich entscheiden – was de facto leider fast immer heißt, dass sie (mehrheitlich) nach rechts kippt. Leider hat auch die PSOE als linksmittiger Exponent in Spanien ihren deutschen Konterpart: die SPD. Mit dem nicht ganz unbedeutenden Unterschied, dass die PSOE eine durchaus honorige, heldenhafte Vergangenheit hat und sich seinerzeitig auch mit der Waffe in der Hand gegen den Faschismus stellte. Die SPD hingegen hat zwar nicht Hitler direkt die Steigbügel gehalten – allerdings dessen Steigbügelhaltern vom Kaliber Freikorp, von Papen, Schleicher & Hindenburg.
Ein Verbot der katalanischen Parteien (oder auch nur eine dauerhafte Aufhebung der kommunalen Selbstverwaltung) würde den Konflikt NATÜRLICH NICHT befrieden (was in den Augen der drei rechten Parteien ja auch keinesfalls stattfinden soll). Im Gegenteil wäre eine gesellschaftlich breit verankerte Untergrundbewegung die Folge – mit allen Konsequenzen und Optionen, die eine derartige Konstellation normalerweise zeitigt (siehe u. a. Nordirland). Dass die PSOE hier nicht den Exit-Hebel findet, um aus dieser Logik auszusteigen, ist betrüblich. Im Anblick der sich verschärfenden Verhältnisse kann niemand ausschließen, dass der Partei eine ähnliche Entscheidung wie in den 1930ern nochmals abverlangt werden muß.
<<Dass die PSOE hier nicht den Exit-Hebel findet, um aus dieser Logik auszusteigen, ist betrüblich.>>
Das kann sie ja nicht, weil sie im Zentralparlament keine eigene Mehrheit hat und daher auf die Stimmen von Podemos und Ciudadanos angewiesen ist. Außerdem sind die obersten Gerichte in der Hand der PP, wie im Beitrag berichtet wurde. Wenn Pedro Sanchez versuchen würde, die Verfassung zu vergewaltigen, landet er vor dem spanischen Verfassungsgerichtshof.
Die Stimmung in "Restspanien" ist durchaus aufgeladen gegen die Kapriolen der Katalanen, auch bei Menschen, die mit Vox oder PP nichts am Hut haben. Viele Menschen aus Andalusien sind z.B. berufsbedingt nach Barcelona gezogen. Warum sollen die jetzt gezwungen werden, ihre spanische Staatsangehörigkeit aufzugeben und Katalanisch zu lernen? Wobei ja in Barcelona selbst eine Mehrheit für die Ciudadanos gestimmt hat, die eine Loslösung von Spanien ablehnen. Die fanatischen Anhänger der katalanischen Unabhängigkeit sitzen vorzugsweise auf dem Lande, so wie beim Brexit in Großbritannien. Die katalanische Unabhängigkeitsbewegung, meist unter Führung von Anarchisten, gibt es seit 170 Jahren und hat in der Zeit außer Unheil nichts zuwege gebracht.
Dass sich bei der kürzlichen Wahl in Andalusien eine rechte Mehrheit gefunden hat, ist nicht verwunderlich. Die PSOE, die dort seit 40 Jahren regiert hat, steckt tief in dem immer noch nicht abschließend gerichtlich aufgearbeiteten ERE Skandal. Dabei geht es um Veruntreuung von beinahe 1 Milliarde Euro Hilfsgeldern der EU, die Andalusien für Weiterbildungsmaßnahmen von Arbeitslosen bekam und welche die andalusischen Politiker nach Vorlage von Scheinabrechnungen in die eigenen privaten Taschen umleiteten. Auf der Anklagebank sitzen zwei ehemalige andalusische Präsidenten der PSOE (vergleichbar einem deutschen Ministerpräsidenten), mehrere ehemalige Minister der PSOE, der ehemalige Präsident einer großen Gewerkschaft und der ehemalige Präsident des andalusischen Arbeitgeberverbandes. Die gerade abgewählte andalusische Präsidentin und Vorsitzende der PSOE in Andalusien, Susana Diaz, hat immer gesagt, das sei ja alles vor ihrer Amtszeit passiert und habe mit ihr nichts zu tun. Sie hat aber auch immer vermieden, zur Aufklärung etwas beizutragen und hat auch zu kleineren Korruptionsskandalen, wie kürzlich in der Wasserwirtschaft von Algeciras, wo der Verbleib von 80 Mio Euro Hilfsgeldern ungeklärt ist, eisern geschwiegen. Jetzt gaben ihr die Wähler die Quittung.
Als deutscher Salonrevoluzzer können Sie ja leicht vom bewaffneten Bürgerkrieg träumen. Die Spanier haben davon seit 1939 die Schnauze voll.