Pablo Iglesias hat die folgende Rede am 12. Februar auf einer Wahlkampfveranstaltung in Katalonien gehalten. Sie hat die spanische Regierung ins Wanken und die Opposition wie auch die herrschenden Medien zum Toben gebracht. Pablo Iglesias war Mitgründer der aus den „Indignados“ (die „Empörten“, die monatelang in einem Protestcamp auf der Puerta del Sol im Zentrum Madrids ihre Zelte aufgeschlagen hatten) hervorgegangenen Partei Podemos, ist zurzeit deren Generalsekretär und sitzt als Vizepräsident und Minister für Soziale Rechte in der Regierung von Pedro Sánchez.
„Ein Staatsoberhaupt gehabt zu haben, das Steuerhinterziehung begangen hat und sich mutmaßlich mit Aufträgen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten bereichert hat, erlaubt es uns nicht, von einer vollen demokratischen Normalität sprechen.
Einen Generalrat der rechtsprechenden Gewalt (Consejo General de Poder Judicial; wählt u.a. die Richter für die obersten spanischen Gerichte aus, Anm. d. Autor) zu haben, dessen Mandat seit zwei Jahren abgelaufen ist und dessen Erneuerung von der Volkspartei (PP) blockiert wird, erlaubt es uns nicht, von einer vollen demokratischen Normalität sprechen.
Dass ein Rapper wie Pablo Hasél ins Gefängnis eingeliefert wird, weil er Lieder verfasst hat, so wie andere Rapper oder Twitteruser wegen Witzen im Internet verurteilt wurden, oder dass Puppenspieler verhaftet und eingesperrt wurden, erlaubt es uns nicht, von einer vollen demokratischen Normalität zu sprechen.
Dass die Medienmächte in Spanien sich nicht als Gegengewichte zur Macht verstehen, sondern die medialen Arme der wirtschaftlichen Macht sind, und dass viele von ihnen sich im Besitz von Banken und Investmentfonds befinden, erlaubt es uns nicht, von einer vollen demokratischen Normalität sprechen.
Die Tatsache, dass sich die Volkspartei, wie es aussieht, illegal finanziert hat, also Wahlbetrug begangen hat, denn das ist es, was illegale Finanzierung schon vor Gründung der Volkspartei bedeutet hat, erlaubt es uns nicht, von einer vollen demokratischen Normalität zu sprechen.
Die Tatsache, dass die Politik durch Richter ersetzt wurde, um einen politischen Konflikt wie den in Katalonien zu bewältigen, erlaubt es uns nicht, von einer vollen demokratischen Normalität zu sprechen.
Dass immer noch mehr als zehntausend Demokraten der Republik in Straßengräben verscharrt sind, erlaubt es uns nicht, von einer vollen demokratischen Normalität zu sprechen.
Einfallstor für extreme Rechte
Dass ehemalige Präsidenten spanischer Regierungen ein Manifest unterzeichnen, in dem die argentinische Justiz aufgefordert wird, Martín Villa (Innenminister während der sogenannten „transición“ nach Francos Tod, Anm. d. Autor) nicht wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht zu stellen, erlaubt es uns nicht, von einer vollen demokratischen Normalität zu sprechen.
Dass ehemalige Präsidenten spanischer Regierungen wie Felipe González oder José María Aznar in Aufsichtssräten großer Energieunternehmen gelandet sind, erlaubt es uns nicht, von einer vollen demokratischen Normalität zu sprechen.
Dass die konservative und liberale Tradition in Spanien sich in ein Einfallstor für die extreme Rechte verwandelt hat, einer extremen Rechten, die sich auf die terroristischen Regierungen der Diktatur beruft, erlaubt es uns nicht, von einer vollen demokratischen Normalität zu sprechen.
Dass in Spanien eine Kloake aus Parapolizei samt Medienapparat geschaffen wurde, um Korrupte der Volkspartei zu schützen und Lügen über politisch Andersdenkende zu fabrizieren, erlaubt es uns nicht, von einer vollen demokratischen Normalität zu sprechen.“
Ende der Rede. Pablo Iglesias hat später im spanischen Parlament noch eins draufgelegt und daran erinnert, Präsident Pedro Sánchez habe ausgeplaudert, in der Phase der Regierungsbildung massiv von der El País herausgebenden Gruppe PRISA unter Druck gesetzt worden zu sein, keine Regierung mit Podemos zu bilden. Die Regierungspartner von Iglesias von der Sozialistischen Partei (PSOE) werden seitdem nicht müde, in Erklärungen zu betonen, dass dieser irrt, dass Spanien ein makelloser demokratischer Rechtsstaat ist. Und die Oppositionsparteien fordern den sofortigen Rücktritt oder Rausschmiss von Pablo Iglesias (und damit das Ende der „sozialkommunistischen“ Regierung).
Neun Monate Haft
Dummerweise tut die spanische Justiz täglich alles, um die Aussagen von Pablo Iglesias zu illustrieren: So ist sie dieser Tage dabei, den von der katalanischen Gefängnisverwaltung gewährten „dritten Grad“ des Strafvollzugs für die zu langen Haftstrafen verurteilten Unabhängigkeitsbefürworter zu annullieren und zu den strengen Haftbedingungen zurückzukehren. Und kaum ist der in Iglesias Rede erwähnte zu neun Monaten Haft verurteilte Rapper Hasél in einem Großeinsatz der Polizei in der Universität von Lérida festgenommen und ins Gefängnis eingeliefert worden, wurde gegen ihn eine weitere Haftstrafe verkündet: dieses mal zweieinhalb Jahre, weil er angeblich einen Zeugen bedroht hatte (dieser hatte einen Polizisten entlastet, der einen Minderjährigen brutal verprügelt haben soll, aber daraufhin freigesprochen wurde).
Andererseits ist gerade die dem Partido Popular angehörende Ex-Präsidentin der autonomen Region Madrid, Cristina Cifuentes, freigesprochen worden. Sie hatte sich mittels Urkundenfälschung einen Mastertitel erschlichen und später vor Gericht die Nichtexistenz einer Examensarbeit damit erklärt, diese wäre wohl bei einem ihrer Umzüge verlorengegangen. Eine Untergebene, die die Urkundenfälschung bei der Universität organisierte, wurde dagegen zu drei Jahren Haft verurteilt – als hätte sie das auf eigene Faust getan...
In wenigen Tagen hat es die spanische Justiz geschafft, die Gemüter erneut wie auf dem Höhepunkt der Katalonienkrise zum Kochen zu bringen, sind Aufruhr und Gewalt in die Städte nicht nur Kataloniens, sondern des ganzen Landes zurückgekehrt.
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