Nach langem Totschweigen in den Medien wurde es dann doch zur Nachricht: Sira Rego, EU-Parlamentariern für die spanische Linkspartei Izquierda Unida, hatte an einem Protestmeeting verschiedener Umweltgruppen zur Rettung der Pyrenäen teilgenommen. Es fand in der Ortschaft Canfranc in 1.000 Meter Höhe statt und galt einem Projekt in der Hochgebirgszone Canal Roya. Um sie als Landschaft zu schützen, war an eine Ernennung als Naturpark gedacht. Doch sind die Pyrenäen-Dörfer der Gegend einem Bevölkerungsschwund ausgesetzt, sodass zahlreiche Gemeinden Anträge für Projekte gestellt hatten, die mit Geld aus dem EU-Fonds „Next Generation“ gefördert werden sollten. Ziel war es, eine wirtschaftliche Transformation hin zu einem nachhaltigen
gen Tourismus in Gang zu setzen. Fast alle Anträge wurden ohne Begründung abgelehnt. Von den 33,7 Millionen Euro Fördergeldern will die spanische Regierung lieber 26,4 Millionen für die autonome Region Aragón in Ausbau und Vernetzung der drei bisher getrennten Skistationen Astún, Candanchu und Formigal investieren, um daraus eine Megastation zu machen.Pisten ohne SchneeDie Berglandschaft würde praktisch planiert. Sie wäre mit neuen Straßen, einer Riesenkabinenbahn, einer neuen Skipiste mit Schneekanonen und Parkplätzen zugepflastert. Die linke Regierung in Madrid will es so, sie hat die Freigabe der EU-Mittel abgesegnet. Kurzum: Die vom Anayet, einem über 2.500 Meter hohen Gipfel, gekrönte Gegend würde für weitere Zerstörung freigegeben. Die Pointe des Projekts: Das auf 1.600 Meter Höhe beginnende Skigebiet leidet seit Längerem unter chronischem, klimabedingtem Schneemangel bei ständigen Plusgraden auf der Basisstation und einem daraus folgenden Rückgang der Besucherzahlen. Klimaexperten gehen davon aus, dass die verbleibenden Jahre für den Wintersport in den Pyrenäen gezählt sind.Das hält die Aktiengesellschaft Aramón, zu einer Hälfte in den Händen einer Bank und zur anderen in denen der Regionalregierung von Aragón, nicht davon ab, ohne Rücksicht auf die kritischen Gutachten von Umweltschutzverbänden, wie der Plattform für die Verteidigung der Berge in Aragón, das Vorhaben durchzuziehen. Die Europaabgeordnete Sira Rego versprach in Canfranc, alle dem EU-Parlament verfügbaren Werkzeuge einzusetzen, um die Mittelvergabe zu überprüfen und zu revidieren. Sie hofft besonders auf den Petitionsausschuss des Parlaments, der schon einmal ein Projekt im Naturschutzgebiet Doñana in Andalusien zu Fall brachte.Leider ist seitens der EU nicht einmal eine Kontrolle beim Vollzug genehmigter Projekte die Regel. Bisweilen muss man schon beharrlich nachfragen. Zum Beispiel nach der Finanzierung einer vor einigen Jahren entstandenen Stierkampfarena in einem kleinen von den Sozialisten regierten und an chronischer Geldknappheit leidenden Städtchen. Wo kam da das Geld für eine Stierkampfarena her? Ergebnis: Die Mittel waren von der EU für ein Amphitheater genehmigt, ohne dass der Unterschied zwischen einem Amphitheater und einer Stierkampfarena jemandem in Brüssel aufgefallen wäre. Es blüht eben weiterhin die spanische Tradition der „picardía“, der Schelmenstücke.Freilich geht es auch ohne EU-Fonds, die Umwelt zu schädigen und den Klimawandel zu befeuern. Es gibt in den Pyrenäen ein weiteres Skigebiet, oberhalb des Dorfs Cerler errichtet und ebenfalls von der halb staatlichen, halb privaten Holding Aramón gemanagt. Der Ort liefert seit Jahren ein Musterbeispiel für die Zerstörung der Pyrenäen. Um einen kleinen historischen Ortskern sind viele große Hotels und gigantische Apartmentblocks gebaut worden, mit Fassaden in der Farbe des in den Pyrenäen traditionellen grauen Granits. Es ist der einzige „Tribut“ an Landschaft und Geschichte der Region. Cerler ist auf 1.540 Meter Höhe gelegen und den 360 polizeilich gemeldeten Bewohnern stehen bei maximaler Buchung Tausende Gäste und Besitzer von Ferienapartments gegenüber. Auch der Wintersport in Cerler zeigt seit Jahren Symptome der Agonie: Auf einem großen Teil der Skipisten fehlt natürlicher Schnee und Schneekanonen kommen an ihre Grenzen.Schon hat man die Lösung: Ein neues Skigebiet muss her, einige Hundert Meter höher gelegen als die Pisten von Cerler. Der Name: Castanesa. Es sollte an die Ortschaft Montanuy mit 215 Einwohnern angebunden werden. Der ursprüngliche Plan war, in Montanuy 5.000 neue Unterkünfte zu bauen. Das Argument der Regierung von Aragón auch hier: den Bevölkerungsschwund stoppen. Der Oberste Gerichtshof von Aragón folgte dem Antrag von Umweltgruppen und Ansässigen und stoppte das Projekt wegen unzureichender Begutachtung. Davon ließ sich Aramón aber nicht entmutigen. Man begann mit dem Bau von Skiliften, die Cerler mit den geplanten Pisten von Castanesa verbinden sollten. Ein „Tribut“ an den Umweltschutz: Die Straßen zu den neuen Pisten dürfen nur E-Autos benutzen. Trotz des suspendierten Plans, 5.000 neue Unterkünfte in Montanuy zu bauen, ging auf die Dörfer der Umgebung ein Geldregen nieder: Aramón kaufte den Eigentümern des Berg- und Weidengeländes den Hektar für 110.000 Euro (der Preis für Bauland) ab. Der Marktpreis für diese Art Gelände liegt bei 6.000 Euro.Die Empfänger des Geldes investierten nicht etwa in die Zukunftsfähigkeit ihrer Heimatdörfer, sondern kauften sich Ferienhäuser im benachbarten Katalonien. Im Ergebnis setzte sich die Entvölkerung der betroffenen Ortschaften fort.Klassischer FallEin Detail: Marcelino Iglesias, der ehemalige sozialistische Präsident der Regierung von Aragón, kommt aus Bonansa, einem der mit Geld „gesegneten“ Dörfer der Region. Er begann seine politische Karriere dort selbst als Bürgermeister und Kämpfer für das Projekt „Castanesa“. Inzwischen hat ihn sein Sohn im Amt abgelöst und ist zum Präsidenten der Regionalverwaltung aufgestiegen. Die Kritiker des Projekts sprechen von einem klassischen Fall von „Caciquismo“, einem oligarchisch organisierten Klientelsystem mit vererbten Ämtern. Immerhin räumte der Ex-Präsident inzwischen ein, auch seine Familie hätte über 50 Hektar des verkauften Geländes besessen.