Ein Sonntag voller Demonstrationen: Zehntausende von SUVs durchziehen die spanischen Großstädte mit infernalischen Hupkonzerten und ihrem Gestank. Der Verkehr ist stundenlang blockiert. Es sind die gleichen Autos, mit denen jeden Tag die Mütter und Väter ihre Kinder zu den „escuelas concertadas“ bringen und wieder abholen. Es sind „middle-upper-class“-Familien und der SUV ist eine Art Statussymbol. Die „escuelas concertadas“ sind meist von der katholischen Kirche geführte und vom Staat finanzierte Schulen. Zweimal am Tag sind die Straßen um diese Schulen herum von diesen Autos verpestet und verstopft. Beim genaueren Hinsehen findet man im Strom der Menschen auch ärmere Eltern, meist Mütter, die die 500 Meter zur Schule mit ihren Kindern zu Fuß gehen.
Ein Detail könnte als Tribut an die soziale Gleichheit missverstanden werden: Die Kinder tragen alle die gleichen Uniformen, ein Modell für Mädchen, ein anderes für Jungen. An den öffentlichen Schulen gibt es so etwas nicht, im Unterschied zu anderen Ländern, wo der Staat mit der Tradition der Uniformen die Gleichheit aller Schüler unterstreichen will. Das Problem ist, dass in Spanien schon wegen der erheblichen Kosten der Uniformen (im Schnitt über 200 Euro) für viele Eltern die „escuela concertada“ nicht in Frage kommt. Sie schicken ihre Kinder auf die „escuela pública“, eine öffentliche Schule.
Ob diese meist katholischen „escuelas concertadas“ besser sind ist eher zweifelhaft. Sie werben damit, dass bei ihnen noch „Werte“ vermittelt werden, nämlich die der katholischen Kirche, im Unterschied zu den säkularen, ideologisch neutralen öffentlichen Schulen. Und um diese Werte kämpfen die Eltern mit ihren SUVs auf der Demo.
Bei genauerem Hinsehen stellt sich heraus, dass die „escuelas concertadas“ Einrichtungen zur sozialen Segregation sind. Sie finanzieren sich zwar offiziell wie die öffentlichen Schulen von staatlichen Geldern, die Eltern werden aber in Form von Spenden und allen möglichen zusätzlichen Angeboten zur Kasse gebeten. Im Ergebnis sind sie eine Art Brutstätte für „Eliten“, in denen einige ärmere Kinder im Geist katholischer „Nächstenliebe“ mit ausgehalten werden. An diesem auf Elitedenken und Privilegien aufbauenden Dispositiv will jetzt Isabel Celaá, aktuelle Ministerin für Erziehung in der Regierung von Pedro Sánchez, einige vorsichtige Veränderungen vornehmen, im Rahmen eines umfassenderen Gesetzes, genannt LOMLOE (Ley Orgánica de Modificación de la Ley Orgánica de Educación), zur Reform des Schulsystems. Was die „escuela concertada“ betrifft: Alle Eltern, unabhängig von ihren sozioökonomischen Status, die ihre Kinder auf eine solche Schule schicken wollen, sollen die gleichen Chancen haben. Wie das? Indem der Schulbesuch wirklich frei von irgendwelchen Zusatzkosten bleibt. Und sollten die Plätze in einer Schule nicht reichen, werden die am nächsten wohnenden Kinder bevorzugt und innerhalb dieser Gruppe die aus einkommensschwächeren Familien. Auch sollen die Noten im Fach Religion nicht mehr in die Gesamtbewertung der Schüler eingehen. Schließlich – nicht unwichtig – soll der Staat aufhören, den Trägern der „escuelas concertadas“ kostenlos Grund und Boden zur Errichtung neuer Schulen anzubieten und stattdessen den Bau öffentlicher Schulen forcieren. Immerhin hat sogar die katholische baskische Partei PNV dem Gesetz zugestimmt.
Justiz im Kulturkampf-Modus
Alles das Grund genug für die von der Rechtspartei PP, der faschistischen Partei VOX und der schwer zu definierenden „rechtsliberalen“ Partei Ciudadanos angefeuerten landesweiten SUV-Demos. Der PP hat noch gleich das verfassungswidrige Versprechen abgegeben, in den Landesteilen, die er regiert, das Gesetz nicht umzusetzen.
Es gibt weitere Fronten in diesem Kulturkampf, und der Protagonist ist hier die Justiz. Die PP-Regierung hatte seinerzeit mit ihrer absoluten Mehrheit das sogenannte „Knebelgesetz“ beschlossen. Danach kann der Organisator einer „nicht autorisierten“ Demonstration mit bis zu 600 000 Euro bestraft werden. Seitdem ist die Zahl der Demos in Spanien stark zurückgegangen. Dabei ist nach der spanischen Verfassung eine Demo nur anzumelden und bedarf bis auf Ausnahmen (etwa in Zeiten der Coronakrise) keiner Autorisierung. Mehr noch: Für „Versammlungen“ von mehr als 20 Personen ist nicht einmal eine Anmeldung erforderlich. Demonstrationen vor dem spanischen Parlament sind grundsätzlich verboten und werden mit bis zu 30 000 Euro bestraft, wenn nicht gar strafrechtlich verfolgt. Auch das Tragen von Insignien, etwa von Polizei und Militär – und sei es auch nur zu satirischen Zwecken – wird bestraft. Die gegenwärtige Regierung unter dem Sozialisten Pedro Sánchez hatte versprochen, dieses Gesetz wieder abzuschaffen. Und genau jetzt gibt das spanische Verfassungsgericht in einem Urteil bekannt, das „Knebelgesetz“ sei verfassungskonform.
An einer weiteren Front reiht sich die spanische Justiz in den Kampf gegen Veränderungen ein: Am 20. Februar 2019 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein Urteil gegen den baskischen Politiker Arnaldo Otegi wegen Parteilichkeit der Richterin annulliert, das diesen für sechs Jahre im Gefängnis verschwinden ließ. Seitdem stand die Bestätigung dieser Annullierung durch das spanische Oberste Gericht an. Am 1. Juli 2020 fanden Wahlen im Baskenland statt, in denen Arnaldo Otegi als Spitzenkandidat der nationalistischen Partei EH Bildu aufgestellt war. Zu diesem Zeitpunkt waren ein Jahr und fünf Monate vergangen, ohne dass die Bestätigung der Annullierung durch das Oberste Gericht stattgefunden hatte. In der Folge musste seine Kandidatur von der Wahlkommission abgelehnt werden. Erst am 31. Juli 2020, knapp einen Monat nach der geglückten Verhinderung seiner Wahl, bestätigte das Oberste Gericht schließlich die Annullierung seiner Verurteilung. Bleibt abzuwarten, welche Tricks jetzt zum Einsatz kommen, um eine Entschädigung für sechs Jahre Haft zu verhindern.
Die Zeiten für notwendige Veränderungen in einem Land, das bereits wegen der Coronakrise und wegen fast 20.000 Bootsflüchtlingen innerhalb weniger Wochen an Boden liegt, stehen schlecht.
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