Im vergangenen November machte ein Treffen von fünf hochprofilierten spanischen Politikerinnen in Valencia Schlagzeilen: Yolanda Díaz, Vizepräsidentin der linken Koalitionsregierung in Madrid, Mónica Oltra, Vizepräsidentin der linken Regierung der autonomen Region Valencia, Ada Colau, Bürgermeisterin von Barcelona, Mónica García, Führungsfigur der Partei Más Madrid und Fátima Hamed Hossain, arabischen Ursprungs und Abgeordnete der Stadt Melilla, gaben sich die Ehre. Thema des Treffens: „otras políticas“. Was zwei Lesarten erlaubt: andere Politiken – oder andere Politikerinnen. Es kamen über 1000 Teilnehmer.
Yolanda Díaz leitete das Treffen mit den Worten ein: „Das ist der Beginn von etwas, was wunderbar sein wird“. Mónica García fügte hinzu – auf ihre Erfahrungen mit Isabel Ayuso in Madrid anspielend –: „Inzwischen ist es normal, dass Geschrei über den Dialog geht und Beleidigungen über das Zuhören“. Ada Colau ergänzte, allesamt hätten sie die Nase voll von der aufgeheizten politischen Stimmung. Ein inklusives feministisches Treffen, über ein Spektrum linker Parteien und Bündnisse hinweg.
Eine Woche später in Barcelona: ein ähnlicher politischer Akt anlässlich des 3. Parteitags von „Catalunya en Comú“, die katalanische Variante von Podemos. Yolanda Díaz war gekommen um „zuzuhören“. Und dann der Appell von Ada Colau: „Ich weiss, dass Du das nicht gesucht hast. Du wolltest nie Regierungschefin sein, nie politische Führerin auf der Weltbühne. Aber Du bist dran. Spanien braucht eine Führung wie Dich.“ Wenige Tage später verstört ein Tweet von Yolanda Díaz die Medien. Einer ihrer bösartigsten politischen Feinde, Teodoro García Egea, Generalsekretär der Rechtspartei PP, der über die „Kommunistin“ in jeder Sitzung des spanischen Parlaments herfällt, ist an Covid-19 erkrankt. Yolanda Díaz: „Erhol Dich schnell, Teodoro. Sei umarmt“.
Wer ist diese Yolanda Díaz?
Wer ist diese Yolanda Díaz? Vor 50 Jahren in Fene, Galizien, geboren, in einer Gewerkschafterfamilie mit kommunistischer Tradition – ihr Vater war Sekretär der aus dem Kommunismus entstandenen Gewerkschaft „Comisiones Obreras“ –, wuchs sie in einer Arbeitersiedlung auf, mit Blick auf die Werft Astano, die seinerzeit mehr als 5000 Arbeiter beschäftigte. Der Ort, nahe der Stadt Ferrol gelegen, war Brennpunkt des Arbeiterwiderstands am Ende der Franco-Zeit.
Sie studierte Rechtswissenschaften in Santiago de Compostela, mit anschließender Spezialisierung in Arbeitsrecht, Stadtplanungsrecht und Raumplanung. Von 1998 bis 2012 vertrat sie dann in eigener Kanzlei als politisch engagierte Anwältin Arbeiter in Rechtstreitigkeiten – immer wieder auch gratis. Daneben war sie Beraterin in Rechtsfragen für die Fischereizunft von Ferrol. Kurz gesagt: 14 Jahre Basisarbeit in engem Kontakt mit der sozialen Realität.
2007 begann dann ihre politische Arbeit: Stadträtin in Ferrol und stellvertretende Bürgermeisterin in Koalition mit der Sozialistischen Partei PSOE. Ab 2012 Abgeordnete für die galizische Linkspartei Esquerda Unida im Parlament der autonomen Region Galizien. Ab 2016 dann Abgeordnete im spanischen Parlament für das Parteibündnis Unidas Podemos, das die galizische Gruppierung „Galicia en Común“ einschließt.
Podemos möchte, dass sie den Parteivorsitz übernimmt
Seit Anfang 2020 ist sie Ministerin für „Arbeit und soziale Ökonomie“ in der Koalitionsregierung von Pedro Sánchez, und seit dem Ausscheiden von Pablo Iglesias im letzten Jahr Vizepräsidentin der Linksregierung. Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Wiederherstellung der Rechte von Arbeitnehmern, die von der Rechtsregierung unter Mariano Rajoy durch eine Reform im Jahr 2012, gestützt auf ihre absolute Mehrheit, „verstümmelt“ worden waren. Folge unter anderem: ein brutales Anwachsen prekärer Arbeitsverhältnisse. In zwei Jahren zäher und geschickter Verhandlungen gelang ihr dabei ein wahres Kunststück: Arbeitgeber und Gewerkschaften einigten sich auf eine Stärkung der Rechte der Arbeitnehmer. Die Rechtspartei beschimpft seitdem die Unternehmerverbände, und noch ist die parlamentarische Mehrheit für die Verabschiedung des Gesetzespakets nicht gesichert.
Dem Druck von Unidas Podemos, den Parteivorsitz zu übernehmen und als Präsidentschaftskandidatin in den nächsten Wahlen anzutreten, hat Yolanda Díaz bisher widerstanden. Ihr schweben neue transversale und parteiübergreifende Strukturen für die spanische Linke vor.
In Galizien, eine der widersprüchlichsten Regionen Spaniens, gibt es das ansatzweise seit langem: ein erheblicher Teil der einfachen Leute lebt immer noch unter härtesten Bedingungen von der Fischerei. Am Rande der iberischen Halbinsel und an Portugal grenzend war daneben der Schmuggel eine wichtige Einnahmequelle so wie heute der Drogenumschlag.
Die Widersprüchlichkeit spiegelte sich auch auf politischer Ebene: Einerseits wurde die Region 15 Jahre lang – von 1990 bis 2005 – von Manuel Fraga Iribarne, einem Exminister des Franco-Regimes, regiert. Andererseits war die dortige Arbeiterschaft sehr aktiv in der Widerstandsbewegung gegen eben dieses Regime.
Dann kam es zur Ölkatastrophe des Tankers „Prestige“ im Jahr 2002, genannt „marea negra“ (schwarze Flut), die die gesamte Küste mit einer schwarzen Schicht aus hochgiftigem Ölschlamm überzog. Bei dieser Gelegenheit erlebten die Galizier das völlige Versagen der von Fraga geführten Rechtsregierung – wie auch der Rechtsregierung unter Aznar in Madrid. Schließlich versuchten tausende von Freiwilligen, diese schwarze Schicht in monatelangen Einsätzen zu beseitigen. Die „marea negra“ ruinierte viele Fischerfamilien (bis heute steht der festgelegte Schadensersatz aus), und Protest- und Basisbewegungen schossen aus dem Boden. Die bekannteste trug den Namen „marea blanca“ (weiße Flut). Diese Bewegungen politisierten sich später (Nunca Máis, Las Mareas usw.) und traten zu den schon seit langem bestehenden separatistischen und nationalistischen Gruppierungen hinzu. Deren älteste ist die Partei BNG, die mit 19 Abgeordneten im galizischen Parlament vertreten ist.
Die beliebteste Politikerin Spaniens
Motor einer solchen transversalen Entwicklung könnte nach den Vorstellungen von Yolando Díaz ein offener inklusiver Feminismus sein. Im Unterschied zum Projekt „Aufstehen“ von Sahra Wagenknecht scheint es dafür in Spanien eine Chance zu geben: Yolanda Díaz ist seit längerem in Umfragen die am besten benotete spanische Politikerin.
Kommentare 3
„Ich weiß, dass Du das nicht gesucht hast. Du wolltest nie Regierungschefin sein, nie politische Führerin auf der Weltbühne. Aber Du bist dran. Spanien braucht eine Führung wie Dich.“
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Du liebe Zeit! Dios mío!
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Der Inhalt dieses Artikels hätte vielleicht mehr Bedeutung haben können, als zu einer kultischen neuen Personen-PR zu werden, wenn der Autor:
- nicht die übliche Stilisierung von individuellen Personen als finales Erfolgsversprechen für die Linke verfolgen würde,
- nicht die beliebte Polarisierung mit dem üblichen ‚Wagenknecht-Media-Kniff‘ - ohne zusätzlichen Erkenntnisgewinn - erneuern würde,
- vermieden hätte, dieses Unterfangen zu einem Feminismus als weiteres Heilsversprechen hoch-zu-kitzeln.
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Claro, ist die Zersplitterung der linken Stimme bei parlamentarischen Wahlen eine unnötige Barriere, die überwunden werden kann und muss.
Viel Glück an alle. Buena suerte a todos
Ein interessantes Phänomen, dieser spezielle arrogante Ton in der Freitag-Community, aber etwas nervig. Ich lese den Artikel als Porträt von Yolanda Díaz und Porträts sind naturgemäß individuell. Wenn sie auf Fakten gründen wie im vorliegenden Fall können sie einigen Lesern helfen - Ihnen sicher nicht - sich ein besseres Bild von der Person zu machen. Was das Thema "linke Politik" betrifft, darf immerhin festgehalten werden dass da in Spanien einiges besser als in Deutschland zu funktionieren scheint, und das liegt nicht nur an dem Unterschied zwischen Wagenknecht und Yolanda Díaz. Vorschlag: statt Schlaumeierei etwas zu lernen versuchen.
Sicher, der Artikel berichtet einige wichtige Dinge aus dem Leben von Frau Diaz. Das ist in Ordnung.
Das ist auch nicht Gegenstand meines Kommentars, wie Sie gesehen haben.
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Der Artikel von Herrn Leiser etabliert aber auch Kontext, den man in Interesse einer emanzipatorischen linken Politik für hinterfragenswert oder gar falsch halten kann, wie z.B.
- die generell überzogenen Erwartungen an die realen Möglichkeiten des Individuums, die Strukturen weitgehend missachtet,
- die in D übliche Kontrastierung eine Position mit Frau Wagenknecht (oder Aufstehen), auch wenn das wenig Sinn ergibt, und
- die ebenfalls überzogene Erwartung an den ‚inklusiven Feminismus‘, der mit der aktuellen Realpolitik von Frauen oft nicht übereinstimmt.
Sie können da ja anderer Meinung sein.
... ansonsten wünsche ich Frau Diaz, und allen, die in Richtung einer einheitlichen, qualitativen linken Politik zielen, auch europaweit, viel Glück.