Seit Längerem ist aus den Nachrichten verschwunden, dass in Madrid gegen Protagonisten der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung prozessiert wird. Ein gespenstisches Warten hat begonnen. Es warten die politische Rechte und Linke, aber auf verschiedene Weise. Die Rechte erwartet den finalen Schlag gegen die Anführer eines „Staatsstreichs“. Die Linke scheint aus Angst vor einem harten Urteil und dessen Folgen gelähmt zu sein. Hinweise aus dem Obersten Gericht lassen erwarten, dass keine Gnade waltet. Uneinigkeit besteht in den Medien eigentlich nur darüber, ob die Urteile wegen vollzogener oder versuchter „Rebellion“ gefällt werden. Ein Anhaltspunkt für harte Urteile: Es wird an einer hermetisch abgesicherten Untersuchungshaft für die zwölf Angeklagten festgehalten.
So wurde Oriol Junqueras von der Linkspartei Esquerra kürzlich ein Besuch bei der für die EU-Wahl zuständigen Kommission in Madrid verweigert, um dort seine Akte als gewählter Abgeordneter abzuholen. Er bleibt damit ebenso wie zwei weitere katalanische Europaparlamentarier suspendiert. Antonio Tajani, der scheidende Präsident des EU-Parlaments und Weggefährte Silvio Berlusconis, hat bei dieser „Entsorgung“ fundamentaler demokratischer Prinzipien mitgespielt. Ein Aufschrei in Europa ob des Skandals blieb aus – bis auf einen Protest der Grünen Ska Keller. In der Begründung des Obersten Gerichts für die Verweigerung eines begleiteten (!) Ausgangs für Junqueras heißt es, eine Verurteilung des Antragstellers sei mehr denn je zu erwarten – ein atemberaubender Umgang mit der Unschuldsvermutung.
Abgesehen von den Spekulationen der Rechten zur Höhe des Strafmaßes – den Siegerkranz trägt die rechtsextreme Partei Vox, will sie doch 50 Jahre Haft für Junqueras –, lassen deren öffentliche Einlassungen tiefe Einblicke in ihr Rechtsverständnis zu. So frohlockt ABC, eine Zeitung der spanischen Rechten: Würden die Angeklagten zu hohen Strafen verurteilt, wäre eine Reaktivierung des europäischen Haftbefehls für Carles Puigdemont aussichtsreich. Welches EU-Land würde es schon wagen, die Autorität des Obersten Gerichts in Spanien in Frage zu stellen? Der Zeitung kommt nicht einmal in den Sinn, dass die ganze Geschichte mit einer Aufhebung des Urteils durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte enden könnte.
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Aber zur politischen Starre der spanischen Linken: Über vier Monate nach der Wahl vom 28. April sind die Versuche zur Regierungsbildung bisher gescheitert. Weder die Sozialisten von der PSOE noch Unidas Podemos geben öffentlich zu, dass dafür auch das anstehende Urteil des Obersten Gerichts ein Grund ist. Der PSOE spricht stattdessen vom tiefen Misstrauen zwischen Pedro Sánchez, Chef der amtierenden Regierung, und Pablo Iglesias von Unidas Podemos. Zuvor hörte man von Sánchez, Spanien sei nach Jahrzehnten tragfähiger Einparteienregierungen für eine Koalition noch nicht reif. Da Unidas Podemos auf angemessener Regierungsteilhabe beharrte, bot der PSOE schließlich einige Ministerien ohne konkrete Kompetenzen und eigene Haushaltsmittel an, was verständlicherweise abgelehnt wurde. Auch der schließliche Verzicht von Iglesias auf ein Regierungsamt führte nicht weiter. Inzwischen kehrt Sánchez zur Ablehnung einer Koalition zurück und bietet lediglich eine Zusammenarbeit „a la portuguesa“ an. Ausgehend von einem vereinbarten Regierungsprogramm solle Podemos den Sozialisten „von außen“ beistehen – für Podemos nicht akzeptabel.
Viele vermuten, der amtierende Premier setzt auf erneute Wahlen im November. Berücksichtigt man jedoch mögliche harte Urteile gegen die Katalanen, stellen sich die Dinge etwas anders dar. Pedro Sánchez würde es als Wahrer der Staatsräson nie einfallen, darauf etwa mit Begnadigung oder Amnestie zu reagieren. Andererseits liefe es für Unidas Podemos auf ein politisches Harakiri hinaus, würde man sich – wie bei den Gesprächen zur Regierungsbildung zugesagt – in dieser Lage neutral verhalten. Nicht nur in Katalonien könnten im Herbst mächtige Demonstrationen, womöglich sogar Unruhen und Gewalt bevorstehen. Kurz und gut: eine unkalkulierbare politische Situation im ganzen Land. Die Bildung einer stabilen Regierung durch einen bei Neuwahlen erstarkten PSOE wäre eher unwahrscheinlich. Ein Dilemma für Pedro Sánchez und ein Grund für Unidas Podemos, die Forderung nach einer Koalitionsregierung schleunigst fallen zu lassen.
Kommentare 5
Für den laufenden Prozess (und die damit einhergehende »Entsorgung« der katalanischen Autonomiewünsche) fällt mir nur der Begriff der Hybris ein. Übersetzt in Realpolitik lautete die Formulierung: Arroganz der Macht. Erklären lässt sie sich nur folgendermaßen: a) den Irrglauben, dass die Lage in Katalonien sich irgendwie schon beruhigt und die Dinge im Sinn Zentralspaniens ihren weiteren Lauf nehmen, b) der Entschlossenheit, notfalls einen Bürgerkrieg in Kauf zu nehmen, um die widerspenstige Provinz im Staatsverbund zu halten.
Ich denke ebenfalls, dass ein hartes Urteil wie zu befürchten eine Wegscheide markieren würde. Diesmal vermutlich irreversibler Natur. Im konkreten Fall wäre das der – langsamer oder auch abrupter vonstatten gehende – Weg vom zivilen Bürger-Ungehorsam hin zu einer Form Eskalation, wie sie im Baskenland und in Nordirland stattgefunden hat. Dass quer über das etablierte Parteienspektrum Politiker am Werk sind, die den politischen Sonnenuhr-Stand nicht zu erkennen vermögen (oder nicht erkennen wollen), ist das eigentlich Tragische dieser ohne wirkliche Not gesuchten Eskalation.
Die Einschätzung, dass Podemos sich selbst obsolet macht, würde sich die Partei in eine Konstellation hineinbegeben, die diese Politik unterstützt, teile ich. Letzten Endes droht auch Podemos an den Klippen zu scheitern, die mit der Einbindung authochron linker Bewegungen in Regierungsgeschäfte verbunden sind. Leider ist eine gute Lösung für dieses Problem derzeit nicht vorhanden. Der nächstliegende »reformistische« Ansatz, welcher diese Klippen umschifft, wäre vielleicht der Rückzug in die kommunalpolitischen Mandate. Dass hier in nicht wenigen Bereichen gegengetrimmt werden kann gegen die Auswirkungen des neoliberalen TINA-Prinzips, hat Ada Colau und ihr Linksbündnis in Barcelona praktisch gezeigt.
Fazit: Vielleicht gehen »linkspolitisch« derzeit nur kleine Schritte. Die letzten Endes jedoch solider – und glaubwürdiger – sind als die linksreformistische Hybris, eine Beteiligung an den zentralen Schalthebeln der Macht würde die Sache schon richten.
Dass sich die katalanische Unabhängigkeitsbewegung in exklusive linke politische Gewänder hüllt, schwächt sie. Sie macht die gesamtspanische Rechte damit notwendig zu ihrem Gegner. Diese hätte es schwerer, wenn die Unabhängigkeitsbewegung keinen innenpolitischen Spin hätte, der mit der Frage Unabhängigkeit Ja oder Nein nichts zu tun hat.
Und die gesamtspanische Linke verzettelt sich in weltfremden Exorzismen, wie der grandiosen Idee, Francos Grab zu zerstören. Da warten die Leute aber drauf, das hilft gegen Jugendarbeitslosigkeit, und ein Gericht schmetterte es natürlich ab.
das hat vielleicht gründe/ursachen, daß bewegungen der art:
weg von zentralistischen regimes, frei von zentralistischer bevormundung!
links-konnotiert sind..
...und autonomie-bestrebungen einem franco-staats-streich
auftrieb gegeben haben.
Das halte ich nicht für zwingend. Siehe bei uns vielleicht in den frühen Fünfzigerjahren die politische Landschaft im Saarland. Da gab alle politischen Parteien doppelt: CDU und CVP, SPD und SPS, FDP und DVP...
Man konnte mit jeder politischen Hemdfarbe für oder gegen das Saarstatut sein.
Dagegen scheint mir der katalanische Nationalismus wenig darauf zu achten, keine Schlagseite zu haben.