Wie lange hält die Regierung in Madrid noch durch?

Spanien Polizeigewerkschaften, Bauern oder ein ultrarechtes Bündnis: Die spanische Linksregierung unter Pedro Sánchez wird aus verschiedenen Lagern unter Druck gesetzt. Betrachtungen aus einem politisch aufgewühlten Land
20.000 Angehörige der Guardia Civil und der Nationalpolizei haben in Spanien gegen die sogenannten „Knebelgesetze“ demonstriert
20.000 Angehörige der Guardia Civil und der Nationalpolizei haben in Spanien gegen die sogenannten „Knebelgesetze“ demonstriert

Foto: Gabriel Bouys/AFP via Getty Images

Das Licht am Ende des Tunnels der spanischen Pandemiekrise und des Überlebenskampfs der Linksregierung unter Pedro Sánchez hat sich in den letzten Monaten eingetrübt. Von der wirtschaftlichen Aufbruchsstimmung ist wenig übriggeblieben, die Wachstumsprognose für dieses Jahr ist von der OECD von 6,8 auf 4,5 Prozent herabgesetzt worden, und die für die Wiederbelebung der Wirtschaft und die Reformprojekte der Regierung entscheidenden EU-Gelder lassen auf sich warten. Die unerwartet glatte Überwindung der Hürden für die Verabschiedung des neuen Haushalts für das kommende Jahr hat der Regierung zwar eine Atempause verschafft. Vor allem aus Angst vor dem größeren Übel, der Rückkehr der Rechtspartei in die Regierung, kann die Regierung wohl wieder mit den für eine Mehrheit unverzichtbaren Stimmen der katalanischen und baskischen Unabhängigkeitsparteien rechnen.

Auf der anderen Seite ist das zum Großangriff auf die Linksregierung angetretene Bündnis aus der Rechtspartei PP und Faschisten in interne Kriege verwickelt. Der „Shooting Star“ Isabel Ayuso setzt sich nach ihrem triumphalen Wahlsieg im Mai des Jahres in der Autonomen Region Madrid immer dreister als Rivalin gegen den PP-Parteivorsitzenden Pablo Casado in Szene. Dieser galt bisher als unumstrittener Führer einer zukünftigen Rechtsregierung. Auf den sich häufenden Anti-Regierungsdemos wird Casado wegen seiner Scheu vor einer zu großen Faschistennähe von diesen als „Verräter“ ausgepfiffen. Und in Andalusien, wo eine PP-Regierung sich auf ein „externes“ Bündnis mit der faschistischen Partei Vox stützt, hat diese gerade die Verabschiedung eines neuen Haushalts verhindert und damit wohl vorgezogene Neuwahlen provoziert. Sie hofft anscheinend, in diesen die Rechtspartei zu überrunden. In Madrid dagegen funktioniert das Bündnis von Ayuso mit den Faschisten bisher noch reibungslos. Für den dort gerade zur Abstimmung stehenden neuen Haushalt kam zwischen beiden ein Pakt zustande: Beide Seiten verpflichten sich, jeglichen Vorschlag der Opposition zum Haushalt ungesehen abzulehnen.

Aber auch die Landschaft der linken Parteien ist „aufgewühlt“: Die interne Konsistenz des Wahlbündnisses Unidas Podemos ist am Bröckeln. Und regionale Wahlbündnisse mit anderen linken Gruppierungen – etwa in Andalusien – kommen wegen wechselseitigen Misstrauens und wahltaktischen Kalkülen nicht zustande. Yolando Díaz, Vizepräsidentin der Regierung und die derzeit einzige Hoffnungsträgerin der Linken, hat derweil ihre eigenen Zukunftspläne für ein linkes Projekt, das ein wenig dem Projekt „Aufstehen“ von Sarah Wagenknecht ähnelt: ein „transversales“ und basisorientiertes Bündnis jenseits des klassischen Parteimodells – mit einem feministischen Kern als treibende Kraft.

Kaskade von Anti-Regierungsdemos geplant

Aber auch jenseits der traditionellen Topologie „links-rechts“ gibt es eine Entwicklung, die die politische Landschaft aufwühlt. In Spanien leiden seit langem viele Regionen unter Entvölkerung. Eine der bekanntesten ist die Provinz Teruel, die zur autonomen Region Aragon gehört. Schon vor über 20 Jahren entstand hier eine Bewegung mit dem Namen „Teruel existe“ (Teruel existiert). Diese reklamiert beharrlich und gut organisiert Zukunftsprojekte für diese Region. Seit den letzten Wahlen sitzt ihr Führer Tomás Guitarte im spanischen Parlament und hat gerade den Titel „aktivster Abgeordneter“ gewonnen. Unter Führung von „Teruel existe“ ist inzwischen eine landesweite politische Bewegung entstanden, die das „España vacía“, das „entleerte“ Spanien, repräsentieren will. Diese Bewegung dürfte bei zukünftigen Wahlen ein gehöriges Wörtchen mitreden.

Die Frage ist, wie lange die gegenwärtige Regierung in Madrid noch durchhält und ob es zu vorgezogenen Wahlen kommt. Zurzeit löst eine Anti-Regierungsdemo die andere ab. Gerade haben über 20.000 Angehörige der Guardia Civil und der Nationalpolizei, angeführt von der der faschistischen Partei Vox nahestehenden Gewerkschaft JUPOL, in Madrid mit Casado vorneweg gegen die Absicht der Regierung demonstriert, das „Knebelgesetz (Ley Mordaza) zu entschärfen (Ayuso war dieser Demo ferngeblieben, um ein Zusammentreffen mit ihrem Rivalen Casado zu vermeiden). Dieses Gesetz war von der letzten Rechtsregierung unter Rajoy mit deren absoluter Mehrheit durchs Parlament gepeitscht worden und hatte die Möglichkeiten öffentlicher Proteste durch massive Strafandrohungen stark eingeschränkt. Für Dezember ist eine ganze Kaskade von Anti-Regierungsdemos geplant: des Gefängnispersonals, des Transportsektors, der Justizbeamten, der Farmer und Viehzüchter usw. Wird die Linksregierung die Nerven haben, diesen Sturm durchzustehen und das Ruder in der Hand zu behalten?

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