Das Internet und die Medien – 1. Presse, Weinpresse, beweinte Presse

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In den letzten Monaten ist auf dem WorldWine Blog und an anderer Stelle wiederholt über die Krise der deutschen Weinmedien geschrieben worden, eine Krise, die inzwischen – wie nicht nur von mir prognostiziert – zum Sterben des einen oder anderen Printtitels (z. B. Alles über Wein, Wein Gourmet) führte, während die anderen (Vinum, Selection, Weinwelt, Weinwisser etc.), betrachtet man ihre Auflagen, mehr schlecht als recht vor sich hin dümpeln.

Michael Pleitgen hat vor kurzem auf seinem Blog ebenfalls eine Bestandsaufnahme versucht und festgestellt, dass auch in Großbritannien, dem Land der klassischen Weinpublizistik, viele Medien ihre Weinrubriken einstellen, ja selbst das renommierte amerikanische Wall Street Journal gerade aus Kostengründen seine Weinkolumne von Brecher/Gaiter abschaltet. Craig Camp hat auf seinem dem Wine Camp Blog den „Death of the Wine Magazine“ analysiert und das Bild, zu dem auch die Auseinandersetzungen bei renommierten Weinführern wie dem Gault Millau Deutschland oder dem italienischen Gambero Rosso zählt, weiter komplettiert.

Es ist verlockend, in dieser Entwicklung lediglich eine Krise der Weinmedien zu sehen und von ihr auf ein wachsendes Desinteresse an Infos zum Wein schlechthin, vielleicht auch auf ein gesättigtes Informationsbedürfnis zu Weinfragen zu schließen. Dass dies aber deutlich zu kurz gegriffen wäre, zeigen auf der einen Seite die steigenden Zugriffszahlen der immer zahlreicheren Onlinepublikationen zum Thema, auf der anderen die teils sehr heftigen und weit über die Weinpublizistik hinausreichenden Auseinandersetzungen um die Frage „paid or free content“, in der sich derzeit englische oder deutsche Verleger und Autoren, amerikanische Medienmogule und Blogger aller Hemisphären einen Wettlauf um die zynischste Analyse, den pessimistischsten Ausblick und die unverschämteste Kritik am Konkurrenten zu liefern scheinen.

Da darf Springer-Chef Döpfner schon mal über „Web-Kommunisten“ schimpfen, die es als selbstverständlich betrachteten, dass die Verlage ihren wertvollen journalistischen „content“ kostenlos abliefern müssten. Kein Wort natürlich darüber, dass es überhaupt erst die Großverlage waren, die das Publikum auf den Geschmack an solcher Art des Gratisservices brachten – von einem gewissen Herrn Rockefeller, der kostenlose Petroleumlampen an die Chinesen verteilen ließ, damit Sie sein Öl kaufen mussten, einmal ganz zu schweigen.

Web-Kommunisten und Geschichtsklitterer

Schon vergessen, Herr Döpfner, dass Sie und Ihre Kollegen es waren, die schon in den 1990er-Jahren mit kostenlosen Tageszeitungen Geld verdienen wollten, auch wenn diese hierzulande bei weitem nicht so gut liefen wie in den USA und aktuell sogar weltweit in der Krise zu stecken scheinen (s. hier)? Schon vergessen, dass es die privaten TV-Sender waren, an denen Sie und Ihre Kollegen nicht unbeträchtliche Anteile hielten und halten, die in Konkurrenz zu den per „Zwangsabgabe“ bezahlten Öffentlich-Rechtlichen das gnädige Publikum an kostenlosen TV-Konsum gewöhnten?
Fast ein wenig perfide wirkt es, wenn Verleger, die solcherart „free content“ einst in die Medienlandschaft einführten – ihr Geld wollten sie ausschließlich mit dem Werbegeschäft machen – jetzt klagen, sie müssten Ihre wertvollen journalistischen Leistungen kostenlos an „Web-Kommunisten“ abgeben, nur weil die Anzeigenakquise im Internet nicht die erhofften Ergebnisse bringt. Doch dazu später noch mehr!

Tatsache ist – und das ist der Hintergrund der heftigen Diskussionen –, dass die Medienlandschaft derzeit eine der tiefgreifendsten Änderungen der letzten Jahrzehnte erlebt. Noch wichtiger: Auch die Art dieser Veränderung ist neu! Bislang war es ja in der Regel so, dass ein neues Medium an die Seite der existierenden trat, mit ihnen konkurrierte und, nachdem man eine Weile Angst haben musste, ob es die „alten“ Medien verdrängen könnte, mit ihnen koexistierte. Das war der Fall, als das Radio an die Seite der Zeitungen trat, die es nicht verdrängen konnte. Das war auch so, als das Fernsehen hinzukam und es ebenfalls nicht schaffte, einen der beiden Mitbewerber aus dem Rennen zu werfen. Und jetzt? Das Internet? Zumal noch in seiner jüngsten Ausprägung, gern als Web 2.0 oder auch „Mitmachweb“ bezeichnet? Schafft es dieses „Web“, eines der klassischen Medien aus dem Markt zu drängen?

Glaubt man der Mehrzahl der Beobachter und Diskutanten, scheint diese Frage längst gelöst. Dabei fällt auf, dass sich die Auguren der großen Verlagshäuser und die Protagonisten des „neuen Mediums“ ungeachtet des Grabens, der sie nach eigener Analyse eigentlich trennen müsste, in ihren Prognosen merkwürdig einig sind. Das Web kann, wird, muss, so frohlocken die einen, während die Feststellung bei den anderen eher zum Klagegesang wird, zumindest der gedruckten Form der Nachrichtenverbreitung, den Zeitungen – vielleicht auch den Zeitschriften? – die Totenglocke läuten. Sinkende Auflagen – alleine in Deutschland haben die Tageszeitungen in den letzten Jahren eine Auflage von 5 Millionen Exemplaren verloren – sind ihnen Beweis genug!

Aber stimmt diese These, die da unisono aus beiden „Lagern“ vorgetragen wird, überhaupt? Ist, wie Jakob Augstein es kürzlich hier formulierte, wirklich mit dem Erfolg des Webs „das Geschäftsmodell des Printjournalimus“ hinfällig geworden?

Das Web – ein wirklich neues Medium?

Um die Frage beantworten zu können, möchte ich die Perspektive ein wenig verändern? Anstatt reflexartig das Auftauchen des Webs mit dem Erscheinen eines neuen journalistischen „Mediums“ oder „Medientyps“ gleichzusetzen, möchte ich erst einmal hinterfragen, ob mit dem Internet ein wirklich neuer Medien- oder Kommunikationstyp an die Seite der alten getreten ist. Das mag dem einen oder anderen wie eine Übung in Spitzfindigkeit erscheinen, es ermöglicht aber später noch an vielen Stellen eine klarere Sicht auf die Dinge.

Die „alten“, das waren zum einen die Printmedien, die ihren „content“ in Form von gedruckten Texten und (statischen) Bildern verbreitete, dann das Radio, das den Ton nutzte, und schließlich das Fernsehen (vorher schon das Kino und seine Wochenschau), das erstmals auch bewegte Bild ins eigene Heim übermittelte. Insgesamt gab es also bereits vor der „Erfindung“ des Internets vier Darstellungs- oder Contentarten (Text, statisches Bild, bewegtes Bild und Ton) und drei Darstellungs- oder Ausgabetechniken, d. h. Medien (Druck, Radio, Fernsehen), lässt man das Telefon einmal außen vor.

Und was hat das Internet diesen Medien- und Contenttypen hinzugefügt? Die Antwort ist einfach: Im Grunde gar nichts! Die urtümliche Leistung des Internets besteht nämlich nicht in neuen Übermittlungs- oder Darstellungsformen, sondern in der Tatsache, dass es die existierenden Medientypen in sich aufnimmt, ihren jeweils spezifischen Content aufsaugt und für sich nutzt. Es ist die sprichwörtliche eierlegende Wollmilchsau der Kommunikation! Es beherrscht Text, Bild, Film/Video und Ton – alles in etwas geringerer Qualität als die alten Medien (z. B. werden Text und Bild statt in hochauflösendem Print in der Regel auf niedrigauflösenden Bildschirmen oder auf A4-Druckern ausgegeben), aber dafür alles zusammen auf einem einzigen Ausgabegerät (Computer/Smartphone) und alles mithilfe einer einzigen Plattform (Browser/App). Es beherrscht sie und erlaubt es dem Leser/User/Konsumenten, per Mausklick zwischen allen Formen hin und her zu schalten, im Extremfall sogar alle vier gleichzeitig zu genießen.

Der Erfolg des Webs wurde dadurch begünstigt, dass die ihm eigenen Mittel der Schaffung und Verbreitung von Content bei seiner Geburt bereits vorhanden und relativ weit verbreitet waren: Es waren der Computer und die Telefonleitung, ersteres der „Zauberstab“, der die digitale Welt schuf und beherrschbar machte, letztere die bedeutendste Kommunikationstechnologie unserer Zeit. Aber auch sie waren ja nichts Neues: Sie wurden bereits von den „alten“ Medien genutzt, lange bevor sie mithilfe von digitalem Signal und Browser die Symbiose eingingen, die als Internet Furore machte. Ohne die Telefonleitung war der Computer nur eine Art „toter“ Maschine, die wenig mehr konnte, als die Leistungen der Schreibmaschine mit denen des Taschenrechners und des Lichtkastens aus dem Layoutstudio zu verknüpfen, ohne den Computer war die Telefonleitung allenfalls für analoges Dampfgeplaudere (oder ebenso analogen Dokumentenversand per Fax) geeignet.

Halten wir also fest: Das Internet ist kein originär neues Medium, und deshalb sind auch der Vorwurf, die Angst nicht so richtig verständlich, es könne alte, klassische Medien verdrängen. Es kann sie und die ihnen inhärenten Content- und Kommunikationstypen allenfalls verändern, und es macht das, indem es sie aufnimmt, umformt und mit neuen Elementen anreichert. Wie diese Veränderungen aussehen, wird noch zu untersuchen sein. Aber, und das wäre hier meine These: Gerade weil das Internet eben nichts wirklich Neues macht, sondern im Prinzip nur die alten Medientypen in sich vereint, auf einer einzigen Plattform zusammenfasst und darbietet, stellt es die klassischen Medien vor Probleme. Große Probleme, kleine Probleme – auch das wird man noch sehen.

Alte Medien, alte Probleme

Die These, dass das Internet die klassischen Medien nicht verdrängt, besser, dass nicht das Internet sie verdrängt, mag gewagt scheinen, aber ist sie es wirklich? Schaut man sich einmal die Landschaft der Printmedien genauer an, ergibt sich ein durchaus differenzierteres Bild als es das unisono deklamierte Szenario vermuten lässt. Da gibt es Tageszeitungen, denen geht es auflagenmäßig (das konjunkturell schlechte Anzeigengeschäft, oder aus dem Ruder gelaufene Kostenstrukturen lassen wir hier einmal außen vor) ziemlich gut, anderen ausgesprochen schlecht. Zeitungstitel wie FAZ, Süddeutsche oder Stuttgarter Zeitung/Nachrichten können eine seit 2004 mehr oder weniger stabile Auflage vorweisen, Frankfurter Rundschau, Express oder Hamburger Abendblatt dagegen haben teils deutlich verloren. Ein ähnliches Bild bietet sich bei den Zeitschriften bzw. Wochenzeitungen: Während sich Zeit oder Spiegel stabil zeigen, mussten Stern, Focus und andere über die Jahre leichte bis ausgesprochen dramatische Verluste hinnehmen.

Die lakonische Aussage Jakob Augsteins („Das Geschäftsmodell des Printjournalismus ist kaputt“) lässt sich also zumindest in dieser undifferenzierten Form nicht halten. Denn die Auflagen sinken beileibe nicht bei allen Titeln. Wäre das Internet an der Misere „der Printmedien“ Schuld, dann müsste man sich zumindest fragen, warum es den einen beutelt, den anderen aber schont. Nur eine unverständliche, ungerechte Laune der Geschichte kann dafür der Grund nicht sein.

Vielmehr drängt sich der Verdacht auf, dass die Probleme zahlreicher Zeitungen und Zeitschriften weniger mit der Konkurrenz des Webs als zunächst einmal mit ihren eigenen Qualitätsproblemen – Stefan Niggemeiers Blog ist voll von interessanten Beispielen, ein besonders aufschlussreicher Post findet sich hier – und ihrer eigenen Unfähigkeit, sich an veränderte Bedingungen anzupassen, zu tun haben, und das trifft dann tatsächlich für Weinzeitschriften noch viel mehr als für andere Printsegmente zu.

Bei ihnen stellt sich die Krise nur noch dramatischer dar, was einerseits an der strukturellen Schwäche ihres Anzeigengeschäfts liegt – die Budgets der Weinindustrie sind deutlich kleiner als die von beispielsweise Automobil-, die Reise oder die Uhrenbranche, und wein“fremde“ Inserenten sind manchmal nur schwer für Werbung in „alkohollastigen“ Medien zu begeistern –, andererseits an der Unfähigkeit vieler Verleger hinsichtlich der besonderen Anforderungen des Themas oder des Verlegerischen ganz allgemein, wie man es am Beispiel des Schicksals der Zeitschrift Vinum im letzten Jahrzehnt eindrucksvoll studieren konnte. In dieser Hinsicht ist Weinpresse sogar eine Art Seismograph, der die allgemeine Entwicklung vorwegnimmt: Wein-Printmedien müssen, wollen sie nicht gänzlich aus der Landschaft verschwinden die Probleme der Printmedien ganz allgemein in Zeiten des Internets noch dringender als alle anderen lösen.

Im nächsten Teil meiner Betrachtungen will ich versuchen zu klären, wo die wirklichen Probleme der klassischen, insbesondere der Printmedien liegen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Eckhard Supp

Journalist, Buchautor und Herausgeber von ENO WorldWine (www.enobooks.de)

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