Das Internet und die Medien – 2. Woran leiden die Printmedien?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Ist es wirklich das Internet, das derzeit die Printmedien bedroht, oder sind nicht vielmehr deren eigene Qualitätsverluste und mangelnde Anpassungsfähigkeit der Grund für die aktuelle Krise von Zeitungen und Zeitschriften? Dies zu ergründen, soll der zweite Teil unserer Serie versuchen.

Worin könnten solch existenzielle Schwächen der Printmedien liegen? Nun, ganz allgemein gesprochen auf zwei Ebenen: der eines schleichenden Qualitätsverlusts und der der nicht angenommenen Herausforderung durch das Internet. Die erste Gefahr hat Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Zeit, vor zwei Jahren auf einer Berliner Jahrestagung der Zeitschriftenverleger benannt: Es ist der generelle Qualitätsverfall, der viele Printmedien schon seit Jahren infiziert hat, und den unter anderem die bereits zitierte Internetseite von Stefan Niggemeier so gerne aufs Korn nimmt.

Ein weiteres, sehr schönes Beispiel für diesen Qualitätsverfall ist wieder das Thema Wein und seine Behandlung in einer der renommiertesten Publikationen Deutschlands, dem Stern, dessen teilweise unterirdische „Leistungen“ ich wiederholt ausführlich dokumentiert habe (s. beispielsweise hier oder hier und hier, und der erst kürzlich mit einem anderen Ressort Gegenstand der Niggemeierschen Kritik war. Ist es ein Zufall, dass ausgerechnet der Stern im letzten Jahr auch Online hinsichtlich der Visits und Page Impressions stagniert und an Reichweite sogar verloren hat? Übrigens: Die neue Zeitschrift „Beef“ aus dem selben Verlag, steht dem Stern in dieser Hinsicht in nichts nach, wie man hier nachlesen kann.

Hand aufs Herz! Wie viele unserer schönen „mainstreamigen“ Printpublikationen, wie viele Kollegen aus den Wirtschaftsressorts und –publikationen haben in den letzten Jahren einmal den (meist von Politik und Wirtschaft) gut bezahlten Berufsoptimismus unserer vielen, medial omnipräsenten Wirtschaftswaisen, pardon Wirtschaftsweisen, hinterfragt und auf die drohende Gefahr der Krise hingewiesen – selbst als diese Ende 2007 schon unübersehbar am Horizont stand? Wie viele haben seinerzeit den Hype um die „Volksaktie“ der Telekom nicht (!) mitgemacht und mitgeschürt?

Ein gefährlicher Virus

Der Qualitätsverlust, den Giovanni di Lorenzo ansprach, ließe sich an unzähligen weiteren Beispielen illustrieren (s. dazu auch ein aktuelles Gerichtsurteil, das hier dokomentiert ist), und die Auflagenverluste, die ich im ersten Teil angesprochen habe nicht (!) mit diesem Verfall in Beziehung zu setzen, erschiene mir, höflich gesagt, ziemlich fahrlässig.

Auch wenn es nicht in allen Publikationen und allen Ressorts zu so offensichtlichen Fehlentwicklungen kam wie in der Weinpresse, in der oft nur noch PR-Mitteilungen abgeschrieben und, noch schlimmer, sogar als eigenständige journalistische Leistung verkauft wurden: Eine ihrer wichtigsten Funktionen neben der reinen Informationsverbreitung, nämlich die, öffentliche und private Macht zu kontrollieren und zu kritisieren, hat diese Art Presse schon lange aufgegeben. Die Quittung dafür hat der Leser gegeben, und auch wenn das von Dirk Manthey z. B. hier geschilderte Zeitungssterben in den USA in seinen Dimensionen weit gravierender zu sein scheint, als das, was wir aus Deutschland und Europa kennen, so ist die Tendenz doch unverkennbar die gleiche.

Um es noch einmal klar zu sagen: Der skizzierte Qualitätsverfall betrifft nicht alle traditionellen (Print-)Medien gleichermaßen, und es ist kein Zufall, wenn Publikationen wie Spiegel und Zeit, wie FAZ und Süddeutsche mehr oder weniger stabile Auflagen aufweisen, andere Titel dagegen nicht!

Natürlich ist es vermessen, zu behaupten, die klassischen (Print-)Medien hätten auf solch miese journalistische Qualität ein Monopol, wie das der eine oder andere Web-2.0-Protagonist gelegentlich vollmundig und etwas unverfroren anklingen lässt. Nein, das Problem stellt sich bei Online-Medien teilweise noch viel gravierender, vor allem, da hier aufgrund der weit verbreiteten Praxis des automatischen, ungeprüften Aggregierens von „Nachrichten“ (das Geschäftsmodell des neuen Burda-Portals nachrichten.de) jede Falschmeldung eine bis dato unbekannt schnelle und weite Verbreitung findet.

Das Problem aus Sicht der Printmedien ist allerdings, dass mangelhafte journalistische Qualität im Internet, wo (noch) fast sämtlicher (News)Content gratis zu erhalten ist, auf weit mehr „Toleranz“ der Leser trifft („‘Nem geschenkten Gaul, schaut man nicht ins Maul!“) als bei mehr oder weniger teuren Zeitungen und Zeitschriften. So, wie die miese Qualität der Sendungen bei den kostenlosen Privat-TV-Sendern häufig auf weniger Kritik trifft als bei den per Zwangsabgabe finanzierten Öffentlich-Rechtlichen Sendern.

Vielleicht ist das ja auch der eigentliche Grund, der den einen oder anderen Verleger zu so waghalsigen und vehementen Angriffen getrieben hat: Dass da plötzlich Leute daherkommen, die dem geneigten Publikum vor Augen führen, dass ihre geliebten, traditionsreichen Medienmarken schon lange nichts Besonderes, Unverwechselbares, Einzigartiges mehr sind, dass die Qualität der Information, die sie liefern, auf einem Niveau angelangt ist, das austauschbar ist mit unprofessionell erarbeitetem und qualitativ minderwertigem Content, wie ihn das Web im Überfluss bietet.

Schwächen und Stärken des Prints

Die zweite große Schwäche der Printmedien betrifft die Herausforderungen, die der Erfolg des Webs für alle klassischen Medien darstellt, dies ganz besonders für die Printmedien, die aber gerade dort – Ironie der Geschichte (oder Schlafmützigkeit von Verantwortlichen wie Redakteuren) – so merkwürdig folgenlos blieb.

Wir haben im ersten Teil dieser Serie gesehen, dass das Internet die Wesenselemente der klassischen Medien in sich vereint. Es erlaubt die Verwendung aller Contenttypen, bildet diese aber mit geringerer Qualität ab. Im Print werden wohl noch auf absehbare Zeit längere Texte mit Potenzial zu größerem analytischen Tiefgang zu lesen sein, wird die Qualität der Bilder noch lange der Pixelwüste des Bildschirms überlegen sein. Haptik und Rezeptionsintensität, nicht zuletzt das emotionale Erlebnis des Lesens sind wohl nie vom Web zu erreichen. Paradoxerweise könnte das Internet dagegen denjenigen der alten Medien qualitativ am nächsten kommen, wenn es nicht sogar ganz mit ihnen verschmilzt, die es im Moment am wenigsten zu bedrohen scheint: dem Radio und dem Fernsehen. Dagegen gibt es viele Elemente, die im Internet weit besser aufgehoben scheinen. So sind beispielsweise Schnelligkeit und Aktualität der Nachrichtenverbreitung zwei Attribute, die eindeutig auf das Konto des Internets gehen, aber dies soll erst später Gegenstand der Betrachtung sein.

Das Problem vieler Printmedien: Sie spielen ihre Qualitätsvorteile gegen über dem Internet nicht oder nur unvollständig aus. Nehmen wir wieder die Weinpresse zum Beispiel: Viele der Zeitschriften – sofern sie überhaupt noch existieren – machen trotz der Konkurrenz und wachsenden Popularität der Onlinepublikationen (Nimmt man nur die großen drei Online-Weinmedien als Beispiel, so erreicht jedes von ihnen alleine wahrscheinlich schon deutlich mehr Leser als alle Zeitschriften des Segments) weiter, als hätte es diese Konkurrenz nie gegeben.

Nach wie vor werden da ellenlange Listen mit Verkostungsnotizen und Noten publiziert, die im Internet viel umfangreicher, viel praktischer (sortier- und filterbar) dargestellt werden können. Über direkte Links sind sie mit einer Vielzahl an Informationen zu verknüpfen, wie es im Print nicht einmal ansatzweise darstellbar wäre, ganz zu schweigen davon, dass solche Verkostungsnotizen im Web auch konkurrenzlos gut und lange zu archivieren sind: Wofür man beim Print tonnenweise Papier stapeln müsste, das lässt sich im Internet mit wenig Festplattenkapazität und Bandbreite darstellen und auf Knopfdruck abrufen.

Nach wie vor bringen die „Printer“ „aktuelle Meldungen“, die man schon Tage oder Wochen vorher bei den „Onlinern“ lesen konnte. Nach wie vor schreiben sie PR-Meldungen ab, anstatt zu recherchieren (das machen allerdings auch viele Onliner gerne), und nach wie vor wird man den Verdacht nicht los, dass die Anzeigenabteilungen bei ihnen auch in redaktionellen Dingen ein gewichtiges Wörtchen mitzureden haben, was die Onlinepublikationen zumindest im Moment noch nicht betrifft, da kaum ein Erzeuger oder Händler dieser stockkonservativen Branche bei ihnen Anzeigen schaltet, von anderen Branchen ganz zu schweigen.

Neue Printmedien braucht das Web, pardon, die Welt!

Wie Weinzeitschriften angesichts dieser Konkurrenz aussehen müssten? Nun, auf jeden Fall müsste ihr Schwerpunkt auf authentischen Berichten und Reportagen, auf Hintergrundanalysen und ausführlichen Interviews, auf gut geschriebenen Portraits und nicht zuletzt auf hochwertigen Bildstrecken liegen. Kaum eines der besseren, spärlich bebilderten Infoblättchen, die derzeit noch auf dem Markt sind, hat angesichts dieser Anforderungen noch eine Existenzberechtigung, und im dünn bestückten Luxussegment des Genres gefällt man sich allzu sehr in elitärer Selbstbeschau, um wirklich auf breiter Basis Leser begeistern zu können.

Wer weiß, wie schwer sich viele der Macher von Printmedien weit außerhalb des Weinsegments tun, die veränderte Medienlandschaft zu verstehen und zu akzeptieren, den kann eine solche Bestandsaufnahme nicht erstaunen. Selbst in Verlagshäusern, deren Online-Angebote durchaus erfolgreich sind – ich nenne hier nur den Spiegel oder die Zeit – ist die Kluft zwischen den Bewahrern der hehren Welt des Prints und den Online-Redaktionen noch weit davon entfernt, definitiv überbrückt zu sein. Noch immer meinen Verantwortliche in Printredaktionen, sich der Tatsache rühmen zu müssen, dass sie das Internet nicht oder kaum nutzen. Auch den Ausspruch Döpfners von den Content klauenden „Webkommunisten“ hätten wahrscheinlich viele Printjournalisten unterschrieben – zumindest diejenigen, die in den letzten Monaten heftigst an der Debatte um den angeblichen Rechteklau im Internet oder das Bücherkopieren durch Google teilnahmen – alles undifferenziert in einem Topf! – und sich vor den Karren ihrer Verleger spannen ließen, die sie dieser Autorenrechte schon vor Jahren mithilfe von Hungerhonoraren und Knebelverträgen enteignet haben.

Einen möglichen Grund für diese Haltung hat der amerikanische Medienökonom Robert G. Picard kürzlich hier skizziert: Es ist die Trennung zwischen der Rolle des professionellen Journalisten und der des Verlegers, wie wir sie seit Ende des 19. / Anfang des 20. Jahrhunderts kennen. Diese führte zwar zu einer Steigerung der inhaltlichen Qualität journalistischer Arbeit und zu größerer journalistischer Unabhängigkeit, allerdings um den Preis, dass die Journalisten in der Folge den gesamten Komplex des „Verkaufens“ ihrer journalistischen Leistung aus ihrer Arbeit ausblendeten.

Vielleicht ist das die Ursache dafür, dass viele Journalisten dem aktuellen Medienwandel noch hilfloser gegenüberzustehen scheinen als ihre Verleger. Übrigens – diese Randbemerkung sei an dieser Stelle gestattet – hat sich der Journalismus durch die von Picard geschilderte Entwicklung streng genommen auch das originäre Recht der Pressefreiheit „abkaufen“ lassen. Denn die genießt in unserem Rechtssystem streng genommen nicht der, der schreibt, sondern der, der das Geschriebene veröffentlicht, und das ist nun mal heute der Verleger.

Create your brand!

Zurück zum Thema: Zumeist bestand die Reaktion der Verlagshäuser auf die Expansion des Internets in nicht viel mehr als einer Spielart des Slogans von Gruner&Jahr, „expand your brand“. Es war der Versuch, dem Internet die Marken, d. h. aber auch den Content und die Darstellungslogik der Printmedien aufzuzwingen, ohne dessen spezifischen Eigenschaften und Anforderungen zu kennen und zu berücksichtigen, vor allem aber ohne diejenigen in ihren Bedürfnissen Ernst zu nehmen, die dieses Internet bereits nutzten, bevölkerten, lange bevor die Verlagsmanager von ihm Notiz nahmen.

Das Resultat liegt heute, einige defizitäre Jahre nach dem Beginn dieses „expand your brand“, vor: Wie eine jüngst veröffentlichte Studie zeigt, sind noch immer fast alle Printmarken online schwächer als offline. Zu den Ausnahmen gehören wieder einmal der Spiegel, dessen Onlineangebot immerhin bereits 48 % der Gesamtleserschaft der „Marke“ erreicht, und bestimmte Special-Interest-Segmente wie Lokalseiten, Wirtschaftsdienste oder der IT-Bereich im weitesten Sinne. Erheblich die Unterschiede zwischen den einzelnen Verlagshäusern, von denen Spiegel und Holtzbrinck (Zeit) einen etwa 50prozentigen Onlineanteil an der Gesamtreichweite vorweisen können, während es bei Springer und Burda immerhin 30, bei Gruner&Jahr nur noch 17 und bei Bauer gar nur 7 % sind! Was die von den Verlegern bejammerten Erträge der Online-Abteilungen betrifft, so stimmt es wohl, dass sie immer noch vom „Print“ querfinanziert werden müssen.

Jetzt aber genug der Auseinandersetzung mit den alten Medien, speziell den Printmedien: Im nächsten Teil der Serie will ich mich mit dem auseinandersetzen, was im und am Internet wirklich neu ist. Die Stichworte dazu: Aktualität und Schnelligkeit, Billig und einfach, Demokratie und Freiheit, Community und die Kommunikation „many-to-many“.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Eckhard Supp

Journalist, Buchautor und Herausgeber von ENO WorldWine (www.enobooks.de)

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden