O si tacuisses! - Lambecks Lamento

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Geschickt sind sie schon, unsere Kollegen Weinkritiker in den großen Verlagshäusern der Republik. “Einige österreichische Weine sind ungehörig teuer” las ich heute morgen auf welt.de aus der Feder von Martin S. Lambeck, und ich gestehe, dass ich diesen Titel genau so las, wie es vermutlich beabsichtigt war: “Österreichische Weine sind ungehörig teuer” machte meine – nicht einmal überselektive – Wahrnehmung aus der Headline, und, wie um mir Recht zu geben, lautete die Aussage nur zwei Zeilen weiter bereits “Auffällig ist allerdings, dass viele gute österreichische Weine ein unangemessen teures Preisniveau erreichen.” Erst einige, dann viele – am Ende vielleicht sogar alle?

Lassen wir das “teure Preisniveau”, das bereits nicht unbedingt sprachliche Klasse verrät, einmal außer Acht, so führte der Fortgang des Artikels auch bei wiederholtem Lesen nicht zur Glättung der verzweifelten Denkfalten auf mener Stirn. “Auffällig ist allerdings, dass viele gute österreichische Weine ein unangemessen teures Preisniveau erreichen”, lautete der letzte Satz des Einleitungsabsatzes, und mit “Kontinuierlich ist in Deutschland die Anbaufläche des seltenen Frühburgunders wieder an gewachsen” geht es naht- und übergangslos weiter. Was bitte schön, will uns der Autor jetzt sagen?

Vorsicht: Wer glaubt, ein willkürliches Sammelsurium unzusammenhängender Aussagen vor sich zu haben, der irrt! Das ganze hat nämlich, man mag es kaum glauben, System! Denn ganz schnell sind wir auch wieder beim Mammon: “Obwohl diese Rebsorte arbeitsintensiv und mit geringen Erträgen gesegnet ist, waren wirkliche Weinfreunde plötzlich wieder bereit, für diese ausdrucksstarken Weine hohe Preise zu zahlen. Damit war der Anbau wieder rentabel.”

Hohe Preise, so darf man Lambeck verstehen, sind nicht absolut und nicht immer zu verdammen. Wenn es um autochthone Rebsorten geht, scheint er zu konzidieren, können sie sogar einen durchaus wohltätigen, positiven Effekt haben: Alte, seltene Rebsorten zu kultuvieren, kann wieder rentabel werden. Solche Rebsorten, berichtet uns Lambeck, gibt es dabei nicht nur in Deutschland, sondern auch in Italien, Frankreich, Portugal … und auch, man höre und staune, in Österreich. Hier, so lernen wir, ist eine dieser autochthonen Rebsorten der Rotgipfler aus der Termenregion, eine Weißweinsorte, was Lambeck wirklich erstaunlich findet: “Dennoch ist der Rotgipfler ein veritabler Weißwein”, schreibt er, wobei unergründlich bleibt, was so erstaunlich daran sein soll, wenn beim Kreuzen zweier Weißweinsorten (“Verbindung zwischen Traminer und Rotem Veltliner”, so Lambeck) eine neue Weißweinsorte entsteht.

Aber lassen wir das einmal beiseite: Was Lambeck nämlich noch erstaunlicher findet, ist die Tatsache, dass es einen Erzeuger gibt (Reinisch), der einen auch preislich durchaus attraktiven Rotgipfler anbietet (“Preislich liegt der Rotgipfler von Reinisch noch in einem vernünftigen Bereich.”). Also doch nicht zu teuer, die österreichischen Weine?

Nicht so voreilig mit den Schlüssen, scheint Lambeck mir mit seinem tiefen, ernsten Blick zwischen zwei Weinflaschen hindurch zurufen zu wollen! Und richtig: Schon im nächsten Satz ist er wieder da, der Vorwurf! “Auffällig ist, dass viele gute Österreicher inzwischen ein hohes, zuweilen auch unangemessen teures Preisniveau erreichen. Ich frage mich stets, wie man einen sehr guten Grünen Veltliner für 24 Euro pro Flasche verkaufen kann. Dann müsste man in Württemberg erstklassige Trollinger für 18 Euro pro Flasche anbieten.”

Da wären wir wieder bei des Pudels Kern: Gute österreichische Weine sind zu teuer, ausgenommen natürlich der Rotgipfler von Reinisch! Nun ist das Problem nur, dass diese Aussage kaum haltbar ist. Selbst wenn man die Lambecksche Prämisse akzeptieren wollte, dass ein guter österreichischer Veltliner qualitativ auf demselben Niveau steht, wie ein guter württembergischer Trollinger, dann wäre sie tatsächlich eher ein Beweis dafür, wie wenig es die Württemberger (die Deutschen?) auch heute noch verstehen, ihre Weine mit gutem Marketing richtig zu positionieren. Denn dass der Preis eines Weines sich nicht nur aus den Produktionskosten (die sich in entsprechender Qualität niederschlagen sollten) ergibt, sondern auch von Verfügbarkeit, Begehrtheit, Markenimage, Marketing, Werbeausgaben etc. etc. bestimmt wird, sollte eigentlich jedem, der für eine nationale Pressepublikation schreibt, bekannt sein.

Ansonsten: Was spricht dagegen, dass Württemberger einen sehr guten Trollinger für 24 Euro verkaufen? Nichts, sofern der Markt, die Konsumenten diesen Preis akzeptieren. Und: Teuer sind die Österreicher ja allenfalls in diesem Vergleich mit (bestimmten) deutschen Weinen. In allen anderen Vergleichsszenarien schneiden sie durchaus positiv ab, sind eher preiswert, legt man gleiche Qualitäten zugrunde. Ich jedenfalls kenne nur wenige Länder, in denen ich nicht einen, sondern relativ viele Weine mit 5 Sternen bewerten konnte, die für weniger als 10 oder 15 Euro angeboten werden. Und ich kenne, wenn ich ehrlich bin, nicht einmal allzu viele deutsche Spitzenweine – ich rede von wirklichen Spitzenweinen! – die deutlich weniger als 20 oder 24 Euro kosten.

Eigentlich dachte ich ja vorgestern, bei meiner Kritik eines Artikels von Zeit online, niveauloser ginge es kaum noch. Lambecks Lamento hat mich eines Besseren belehrt. Es geht immer noch schlimmer!

“O si taccuisses, philosophus mansisses!” – “Ach hättst du doch geschwiegen, Du wärst noch immer Philosoph!”, soll der Römer Boetius geschrieben haben, auch wenn das vermeintliche Zitat seiner tatsächlichen Aussage nur nachempfunden ist. Recht hatte er, Herr Lambeck!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Eckhard Supp

Journalist, Buchautor und Herausgeber von ENO WorldWine (www.enobooks.de)

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