Verpasste Gelegenheit: Deutschlands Weinbau unter den Nazis

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Eigentlich hatte ich gehofft, endlich einmal ein Buch zu bekommen, das ein kritisches Licht auf die Rolle des deutschen Weinbaus unter den Nazis wirft. Das Buch (H. Keil & F. Zillien, Der deutsche Wein 1930 bis 1945, iatros Verlag, Dienheim, 320 S, 25.95 EUR) war ja in den letzten Wochen im einen oder anderen Blog so lobend erwähnt worden, dass ich mich bemüßigt gefühlt hatte, es beim Verlag zu bestellen. Um so größer, kann man sich leicht vorstellen, war meine Enttäuschung, als ich das Buch schließlich erhalten und gelesen - oder sollte ich besser sagen durchgearbeitet - hatte.

Sicher: Deutschlands Weinbau in der Nazizeit ist ein lange Zeit ignoriertes Thema. Sicher auch: Die beiden Autoren Hartmut Keil und Felix Zillien haben hier eine wirkliche Fleißarbeit vorgelegt, die es dem, der sich mit der Periode beschäftigen möchte, ermöglicht, sich recht detailreich zu dokumentieren.

Aber da hören die Verdienste dieses Buches auch schon auf. Denn so umfangreich die dokumentarische Arbeit der Autoren gewesen sein mag, die kritische Würdigung, ohne die jede Auseinandersetzung mit der Nazizeit immer Gefahr läuft, zur Apologie zu verkommen, findet, wenn überhaupt, nur im Verborgenen oder in Randnotizen statt.

Banalitäten und zusammenhangslose Fakten

Ein Beispiel? Auf S. 95 wird dargestellt, dass das Naziregime mitten im Krieg viel Geld für die Wiederherstellung der während des Frankreich-Feldzugs verfallenen Pfälzer Weinberge zur Verfügung stellte. Mitten im Krieg? Als man jeden Pfenning in Waffen und die Mobilisierung stecken musste? Wer sich solche Fragen stellt, wird auf ihnen sitzenbleiben. Außer Banalitäten wie "Nicht weniger schwierig war die Beschaffung von Maschinen und Geräten zur Durchführung der Erdarbeiten ...", nichts! Keine Erklärung, warum der Weinbau für die Nazis eine solche Bedeutung besaß, keine Analyse der Zusammenhänge. Kein Wort darüber, wie wichtig für die Nazis der Aufbau einer funktionierenden Wirtschaftsstruktur hinter dem "Westwall" war, wie Mario Scheuermann, einer der profunden Kenner des Weinbaus in der "Schwarzen Zeit" sagt.

Darüber hinaus werden fast systematisch Kausalitäten verschwiegen oder verniedlicht. Das Ziel der Nazis, Deutschland zum Selbstversorger mit landwirtschaftlichen Produkten zu machen, wird genannt, aber keineswegs in den notwendigen Zusammenhang mit Ideologie und Kriegsplänen der Nazis gestellt. Die Naziideologie war für die Autoren nicht Grundlage dieser Pläne und Entwicklungen, sondern sozusagen nur individuelles "on top". "Bei Darré (Reichsbauernführer) kamen ideologische Aspekte hinzu ...", heißt es. Nein, liebe Autoren, diese "ideologischen Aspekte" waren die Grundlage seiner Arbeit wie auch der der Weinbaugremien jener Zeit.

Weinbau unter den Nazis - neutral?

Dass der jüdische Weinhandel schon in den ersten Jahren des Naziregimes fast vollständig vernichtet, arisiert wurde, wird ebenfalls dargestellt, aber Ross und Reiter werden, mit Ausnahme der mehr oder weniger bekannten Nazigrößen, an fast keiner Stelle genannt. Winzer oder Weinbaufunktionäre, die in ihren Dörfern und Regionen Juden verfolgten? Gab es nicht! Winzer oder Weinbaufunktionäre, die Sozialdemokraten oder Kommunisten denunzierten? Gab es nicht! Gab es nicht?

Ich habe in den siebziger Jahren jede Menge - inzwischen leider zum großen Teil verstobener - Zeitzeugen kennengelernt, die sehr wohl zu erzählen wussten, wie sehr Weinbau und Weinbaufunktionäre der Zeit in die Verbrechen der Nazis involviert waren, sie sogar an verantwortlicher Stelle mit vorantrieben. Vielleicht hätten die Autoren einmal mit solchen Zeitzeugen sprechen sollen. Es hätte ihre Blindheit auf dem rechten Auge zumindest zum Teil kurieren können.

Da hilft es auch nicht, dass die Evangelische Kirche für ihre Unterstützung der Nazis einen Seitenhieb abbekommt: "Diese Feier das Dankes gegen den Schöpfer (Erntedank) gibt der Kirche Gelegenheit zum Hinweis auf den Gehorsam ... wie er uns besonders durch die Gedankenwelt des Nationalsozialismus in neuer Klarheit nahe gebracht ist" - fast das kritischste Zitat des Buches.

Ein anderes Beispiel: Was soll in einer Aufarbeitung der Nazizeit die minutiöse Darstellung der Weinjahrgänge von 33 - 45, die fast 10 Prozent des Buches umfasst? Was soll eine scheinbar "neutrale" Aussage, das Naziregime und der Krieg hätten sich "zunächst positiv" auf den Weinabsatz ausgewirkt, wenn nicht erklärt wird, wie das mit Deutschnationalismus, Kriegstreiberei, Kraft durch Freude und Reichsbauernstand zu tun hat? Ja, der Weinabsatz ging - nachdem man den "Ausfall" des jüdischen Weinhandels, der fast komplett im KZ gelandet war, kompensiert hatte -, in die Höhe! Weil die Nazis im Rahmen von KdF eben Busladung über Busladung von "Weintouristen" in die Anbaugebiete karrte, damit sie gefälligst deutschen Wein und nicht ausländischen tränken.

Waren die LKW an der russischen Front "neutral"?

Dieses Beharren (über weite Strecken durch Unterschlagung) auf der "Neutralität" ist es, was diese Buch letztlich zu einem Ärgernis macht. So, wie auch das Vorwort von Weinblogger Dirk Würtz, ein einziges Ärgernis, um nicht zu sagen eine Unverschämtheit ist: "Der Weinbau in Deutschland von 1933 bis 1945 hat allerdings wenig bis gar nichts mit Massenvernichtung, Kriegstreibern und Rassenfanatikern zu tun. Die Rahmenbedingungen werden von der Politik gemacht, das Produkt ist unpolitisch." Das ist nun wirklich Geschichtsklitterung im allerübelsten Stil. Soll man diesen Satz dann auch auf andere Bereiche deutscher Wirtschaftstätigkeit fortschreiben? Waren deutsche LKW (in Frankreich und Russland) auch "neutral", war das Geld deutscher "Investoren", die arisierten jüdischen Besitz aufkauften, auch "neutral"? Waren die Baracken, die ein gewisser Wilhelm Lübke für deutsche KZ entwarf, vielleicht auch "neutral"?

Eigentlich schade! Was deutsche Banken, deutsche Industrieunternehmen und - zuletzt - sogar das deutsche Außenministerium schafften, nämlich die eigene Geschichte umfassend, kritisch und vor allem selbstkritisch aufzuarbeiten, das haben unsere Weinautoren gründlich verpatzt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Eckhard Supp

Journalist, Buchautor und Herausgeber von ENO WorldWine (www.enobooks.de)

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