Zeit online und die Weinblogger – eine unsägliche Geschichte

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Eigentlich hielt ich das Ganze für gar nicht wichtig und wollte es einfach übergehen: Zeit online hatte gerade – aus der Feder von Wolfgang Lechner - eine Auseinanderssetzung mit der Szene der Weinblogger veröffentlich, die mir so dünn und fadenscheinig vorkam, dass ich sie gleich ad acta legen wollte. Schließlich war ich ja von den Vorwürfen oder besser Anwürfen auch gar nicht betroffen.

Nicht nur, dass ich immer betont habe, dass ich mich nicht als Blogger im eigentliche Sinne verstehe. Der Artikel erwähnte darüber hinaus zwar eine Reihe von Blogs, aber weder meinen WorldWine Blog, noch meine Hauptpublikation, ENO WorldWine. Grund genug also, mich ruhig zurückzulehnen und mir die Nachtruhe nicht verderben zu lassen.

Bis ich dann heute vormittag auf die ersten, teils belustigten, teils befremdeten, teils beleidigten Reaktionen (z. B. hier und hier) auf den Artikel stieß und ihn mir daraufhin noch einmal vornahm. Was ich dabei fand, war dann allerdings von einem Kaliber, dass ich es für richtig erachtete, mich intensiver damit zu beschäftigen. Der Artikel ist, um es gleich vorweg zu sagen, in seinen Annahmen und Unterstellungen dermaßen unter der Gürtellinie, dass ich es schon fast skandalös finde, ihn auf einer Seite mit dem guten Namen “Zeit” lesen zu müssen.

Bereits die Ausgangsbehauptung Lechners hat es in sich: “Was also tut ein Weinliebhaber, wenn ihm seine Freunde nicht mehr zuhören? Er eröffnet ein Weinblog.” Dann wären Weinblogger eine Art frustrierter, kontaktscheuer Menschen, die es nur noch schaffen, via Computer ihre Freude am, ihre Emotionen beim Trinken von Wein zu kommunizieren? Da fragt man sich natürlich, wen Herr Lechner von diesen Weinfreunden persönlich kennt, um so etwas behaupten zu können. Diejenigen, die mir bekannt sind – und das dürften nicht wenige sein – fallen jedenfalls nicht in die Kategorie der kontaktscheuen Neurotiker. Bei weitem nicht! Eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Weinbloggerei jedenfalls, finde ich, hätte anders beginnen müssen!

Mehr noch: Ist es überhaupt richtig, dass Weinblogger sich gegenseitig ständig erzählen wollen, wie ihnen dieser Weiße oder jener Rote geschmeckt hat? Besser, erzählen müssen, weil sie’s auf “normale” Art und Weise, im Kreis ihrer Freunde (wenn sie denn überhaupt welche haben!) nicht mehr schaffen? Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, und eine kleine, willkürlich ausgewählte Auswahl viel gelesener Blogs und Microblogs (Twitter) auf Weinbeschreibungen und/oder Weinbewertungen hin durchgezählt. Das Ergebnis ist erstaunlich (man mag mir minimale Zählfehler verzeihen): Auf Twitter, liegt der Anteil solcher Mitteilungen im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Bei der Weinakademie, beim WorldWine Blog, beim Weinmacher Würtz und beim Weinfreund "Gazzetta del Vino" finden sich genau 0 (in Worten: Null) Prozent, sieht man vom einen oder anderen Link zu einer Weinbeschreibung im Internet ab. Beim Weinfreund Hörtrich sind es rekordverdächtige 8 Prozent, und beim Journalisten "weinreporter" ist es 1 Prozent, zuzüglich wiederum einiger Links.

Nehmen wir uns die “richtigen” Blogs vor, so bietet sich im Grunde das gleiche Bild. Von Lecher zitiert werden "Vinissimus", aber unter dem Link findet man gar keinen Blog, sondern einen Internet-Weinshop, "drinktank" (der Journalist "weinreporter"), wo in immerhin 5 von 20 Beiträgen Wein beschrieben wird, Wolfis Weinworte (5 von 15), Captain Cork (ebenfalls kein wirklicher Blog, sondern eher eine klassische Online-Publikation wie “Zeit online”, “Wein-plus” oder “ENO WorldWine”), Nikos Weinwelten, mit einer Rate von 0 aus 20 und schließlich der Schnutentunker (ein Amateur, wenn ich es richtig interpretiere) mit sagenhaften 16 aus 20 Blogposts. Bei den von Lechner gar nicht erwähnten Blogs wie dem bereits genannten "Gazzetta del Vino", dem WorldWine Blog, bei Wuertz-Wein oder Weinverkostungen.de bietet sich das gleiche Bild.

Statt dessen finden sich in den Blogs und Microblogs des Weinsegments eine Menge Themen, die jedem “klassischen” journalistischen Medium gut zu Gesicht stehen würden: Der Niedergang der Weinzeitschriften, die Nutzung von Social Media im Weinbusiness, die Entwicklung des Weinmarkts, des Weinkonsums – national und international, der neue Prohibitionismus, Wein & Gesundheit, Eigenhinweise (Links auf eigene Artikel bei Twitter, ganz wie das “Zeit online” macht!), Internationale Entwicklungen, Wein-&-Food-Trends, Klimawandel und natürlich auch Veranstaltungs-Ankündigungen und –berichte.

Wie Sie, Herr Lechner, das alles unter den Oberbegriff “Erfahrungsaustausch” (“Tatsächlich sind viele Weinblogs in erster Linie als Erfahrungsaustausch zwischen Hobbyverkostern und einigen wenigen Profis zu verstehen”) kriegen, das ist schon eine sprachliche Meisterleistung! Natürlich twittert der eine oder andere der oben Genannten auch mal über Musik, Fußball, ein gutes Rezept, sogar Privates. Aber insgesamt machen solche Mitteilungen einen genauso geringen Anteil der “posts” und “tweets” aus wie bei IT- oder Auto- oder Food- oder Reisebloggern.

Um es noch einmal deutlich zu sagen: Das Weinbloggen auf eine Kommunikation kontaktscheuer oder -gestörter Säufer zu reduzieren, ist unterste Schublade des Journalismus. Das sollten Sie, Herr Lechner, in einem Hause wie dem Zeitverlag eigentlich gelernt haben. In diese Schiene passt auch, dass Sie ausgereichnet einen Blog, Nikos Weinwelten, zu ihrem expliziten Favoriten erwählen (“Ein Blog, das sowohl Laien als auch Profis viel Wissenswertes vermittelt”), wo ganz explizit und offen Artikel von PR-Agenturen (Südafrika) als Teil des „journalistischen“ Angebots präsentiert werden. Gehört denn, lieber Giovanni di Lorenzo, sauberer und unabhängiger Journalismus jetzt doch nicht mehr zum Unverzichtbaren bei “Zeit” und “Zeit online”?

Übrigens, lieber Herr Lechner, es ist richtig: Während die gesamte deutsche Print- und leider auch ein Gutteil der Online-Publizistik voll auf die Angstkampagne bestimmter deutscher Institutionen reingefallen sind (“Antibiotika im Wein”) haben es tatsächlich nur einige Online-Publizisten und Blogger geschafft, durch die pingelige Unterscheidung zwischen Antimykotika und Antibiotika dieser Kampagne den Saft abzudrehen. Nichts, wofür man sich als Journalist schämen müsste. Dass Sie sich über diese Art genuiner journalistischer Arbeit nur noch lustig machen können, finde ich ziemlich traurig. Und kann nur hoffen, dass dies nicht der zukünftige Stil von “Zeit” und “Zeit online” ist!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Eckhard Supp

Journalist, Buchautor und Herausgeber von ENO WorldWine (www.enobooks.de)

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