Oberbürgermeister in Frankfurt: Das gallische Dorf wählt Mike Josef

Kulturkommentar Die alte Sponti-Metropole Frankfurt feiert den neuen Oberbürgermeister Mike Josef und kann sich ihren Zaubertrank endlich wieder schmecken lassen
Ausgabe 13/2023
Mike Josef (SPD) ist neuer Oberbürgermeister in Frankfurt am Main
Mike Josef (SPD) ist neuer Oberbürgermeister in Frankfurt am Main

Foto: Boris Roessler/picture alliance/dpa

Beim Teutates! Ähnelt Frankfurt am Main bei genauerem Hinsehen nicht ganz frappierend jenem berühmten gallischen Dorf aus der Hand eines Meisterzeichners? Wie das wehrhafte Dorf liegt es an der äußersten Grenze des Römischen Reiches (diesseits des Limes) und entzieht sich im Lauf der Geschichte genauso hartnäckig der Besetzung (durch herrschsüchtige Imperatoren, Lange Kerls, wen auch immer).

Selbst die von den Hugenotten hinterlassenen elegant-gallischen Sprachspuren (z. B. Portefeller = Portefeuillle/Feintäschner), könnten als Indiz dafür gelten, dass sich das Leben an der Furt der Franken oftmals aufführt, als nähme Uderzo es mit dem karikaturistischen Vergrößerungsglas seiner Cartoonwelt wahr. Das geht vom südlichen Flussufer, das hier bescheiden „Das Nizza“ heißt, bis ins Rathaus, das noch bescheidener „Der Römer“ genannt wird. Wer hier sein ehrwürdiges Amt als Oberbürgermeister(in) antreten will, schultert nicht nur sprichwörtlich die Last politischer Verantwortung, sondern muss auch die Frankfurter Goldkette des Würdenträgers modisch zu kombinieren wissen.

Das prunkige Kleinod aus 18 Karat mit dem Elfenbeinmedaillon des Römer über dem Stadtwappen ist über hundert Jahre alt, wiegt fast ein Kilo und macht aus Bürgermeistern sofort Meisterbürger oder gleich Häuptling Majestix daselbst. Ist Goethe dann der Literatur-Druide und die magische Grüne Soße sein sieben Kräuter starker Zaubertrank? Haben Landesväter wie „der Holger“ mit Dachlatten Politik gemacht, weil sie als Kind wie Obelix in den Zaubertrank gefallen sind? Genau wie „Dynamit Rudi“, eine andere überlebensgroße Figur meiner Frankfurter Kindheit? Der erlangte seinen Spitznamen vor der Zeit als Oberbürgermeister, weil er vorgeschlagen hatte, die im 2. Weltkrieg bis auf die Grundmauern zerstörte Alte Oper zu sprengen. Typisch Frankfurt, dass er die Restaurierung des Schmuckstücks dann doch noch mit auf den Weg gebracht hat.

Vielleicht ist es ja den Wolkenkratzern der hollywoodtauglichen Skyline zu verdanken, dass hier Politiker sogar Schauspieler sein dürfen und dabei mit Batschkapp und Lederjacke als Taxifahrer fast aussehen wie Marlon Brando in The Wild One. Kein Wunder, wenn man wie „der Joschka“ damals mit „dem roten Dany“ im Denk-Cafè namens „Größenwahn“ abhängt, eine Nordend-Institution, die zu Frankfurt gehört wie Wacker’s Kaffeegeschäft am Kornmarkt und Ernos Bistro im Westend.

Dieser Vornamen-Wahn überhaupt! Nur in einer alten Sponti-Metropole, wo man sich im nebligen November beim nächtlichen Fassadenblick nach oben in Gotham City wähnt, während unten das Speiselokal „Mutter Ernst“ heimleuchtet, kann „die Petra“ als konservative Sonnenkönigin im Römer drei Amtszeiten und sagenhafte 17 Jahre lang (länger als Kohl und Merkel!) regieren. Und ihr Nachfolger als hoffentlich letzter Repräsentant des lokal leider stark herausgebildeten Parteienfilz, ein geschmacklich eher unschönes Stöffsche ohne jegliche Bembeltauglichkeit, von der mündigen Bürgerschaft abgewählt werden.

Als am vergangenen Sonntagabend unweit der Wiege deutscher Demokratie ein frisch gebackener Oberbürgermeister mit „Mike, Mike, Mike“-Rufen gefeiert wird, für den auch der einstige OB von Schoeler „der schöne Andi“ auf Plakaten warb, ist Frankfurt wieder ganz bei sich. Höchste Zeit für einen Schluck Zaubertrank? Mike Josef, der einer syrischen Flüchtlingsfamilie entstammt, schlug in seinen Dankesworten einen erfrischend uncartoonigen Ton an, indem er dem herbeigesehnten Neuanfang einen Namen gab: Demut vor dem Amt.

Eckhart Nickel ist gebürtiger (intra muros) und überzeugter Frankfurter. Sein letzter Roman „Spitzweg“ stand 2022 auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises

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