„Assange will die Welt zerstören“

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WikiLeaks in italienischen Medien

Ausgehend von einem Interview mit Franco Frattini, früher Vizepräsident der EU-Kommission und Kommissar für Justiz, Freiheit und Sicherheit der Europäischen Union (2004-2008) und heute Außenminister Italiens, hat die Diskussion in Italien eine eigene Färbung erhalten. Frattini hatte am 29. November erklärt, dass „Assange die Welt zerstören will“. Deshalb sei es notwendig, zu handeln, „wie es im tragischsten Moment, dem 11. November getan worden war ... man antwortete mit einer Allianz gegen den Terrorismus, nun müssen wir mit einer globalen Allianz antworten, um das Überleben der Diplomatie zu sichern und sie nicht einer Kultur der gegenseitigen Verdächtigung auszuliefern.“

Barbara Spinelli, Il Fatto QuotidianoWikileaks, der Journalismus muss Assange verteidigen

Ich weiß nicht, welcher Verbrechen sich Julian Assange schuldig gemacht haben soll. Was ich weiß ist, dass seit Tagen, und zwar genau seitdem die Veröffentlichungen von Wikileaks begonnen haben, mir jeden Abend im TV ein Gesicht erscheint von jemanden, der in Italien den Außenminister gibt, das sich aufregt und sagt, dass jener Mann gefangen gehört, weil -wunderlich, das zu hören!- „er die Welt zerstören will“. Ich kann mich nicht an einen ähnlichen Satz in Bezug auf Bin Laden nach dem 11. September 2001 erinnern. Damals sagte man, er wolle Amerika zerstören. Aber gleich die ganze Welt, davon redete niemand.

In den Files von Wikileaks ist nicht viel enthalten, um die Wahrheit zu sagen, aber im Grunde ist es nicht das, worauf es ankommt; was wirklich zählt, und was für die Regierenden Italiens die ultimative Kalamität darstellt, ist die Revolution der Medien, die von Wikileaks bestätigt und außerordentlich verstärkt wird. Es ist der Angriff auf die Winterpaläste, der den falschen Thronen Angst einjagt, auf denen oft falsche Könige sitzen. Auch in der Information regierte bis gestern die Westfälische Ordnung: Jeder souveräne Staat hat seine Information, national eingehegt und akkurat getrennt gehalten. Und da spricht Wikileaks von und an die Welt, eröffnet über sie das große investigative Auge, entkleidet Könige, die keine sind und saubere Diplomatien, die nie den Schlamm verlassen.

Es mag sein, dass Assange ein Chaot ist; ein reißender Strom, den die Printmedien mit Intelligenz einbetten. Aber ebenso sicher ist es, dass die Welt der Informationen ihn mit öffentlichen Initiativen verteidigen muss, unabhängig vom Schaden, den er angerichtet haben mag. Gerade weil die Gleichung aufgestellt worden ist zwischen Blut und Tinte, zwischen Terror und der Information, die die Mächtigen entlarvt. Einschließlich jener im weltweiten Ausverkauf stehenden Souveräne wie Berlusconi.

Federico Rampini, La Repubblica: „Alle Geheimnisse des Julian Assange, der Mann der die Macht erzittern lässt

(Nach einem langen und ausführlichen Porträt Assanges schreibt La Repubblica:)
Alles, was Assange betrifft, eignet sich zu einer doppelten Lesart, ist von einem Hauch des Mysteriösen umgeben.

So auch der politische Gebrauch: Die amerikanische Rechte denunziert ihn als Terroristen, instrumentalisiert aber gleichzeitig die Aufdeckungen gegen die Administration Obamas. Die Massenmedien haben gelernt, wie unerbittlich Assange sein kann: Die New York Times wurde „in Quarantäne“ gesetzt, weil sie nicht blind die Bedingungen von WikiLeaks akzeptieren wollte, Walls Street Journal und CNN wurden für die Veröffentlichungen nicht in Betracht gezogen. Von Polizei und Staatsanwaltschaft gehetzt, von Hackern unter Beschuss genommen, macht sich diese Rote Primel, die alle Regeln des Staatsgeheimnisses über den Haufen wirft, lustig über die Ankündigung des Weißen Hauses und des Außenministeriums, alle Kommunikationssysteme zu überprüfen: „Das neue Gesicht der modernen Zensur ist es, die Flucht vertraulicher Nachrichten zu unterbinden. Aber so sehr sie neue Sicherungen erfinden mögen, es wird immer Systeme geben, sie zu umgehen.“

Marco Travaglio (Mitherausgeber von Il Fatto Quotidiano) in Passaparola („Sag es weiter“), Radiosendung, jeden Montag ab 14:00 Uhr für beppegrillo.it, Transkript: „ZwergenWikileaks“

Eine neue weltweite Diplomatie – Unabhängig davon, welche Folgen diese unendliche Welle hat, die Monate dauern wird, wird ab jetzt jeder, der in den verschiedenen Staaten und in den internationalen Beziehungen Politik betreibt, eines ganz sicher wissen, nämlich dass das öffentlich gesprochene Wort sofort von demjenigen widerlegt werden kann, was am selben Tag oder dem vorher privat geäußert worden ist.

Das erste, was meines Erachtens in die Augen springt, ist die Tatsache, dass die Abbildungen der andern Staatoberhäupter dreidimensional sind in dem Sinne, dass sie zwar auch das Private berühren, vor allem aber das Öffentliche, die politische Seite der Personen. Das einzige zweidimensionale Bild, das flache, ist das unsere, der unsere wird vom Gürtel abwärts beschrieben, der einzige Teil der international von Bedeutung ist. Berlusconi wird als Karikatur gezeigt, als Clown, als lächerliche Figur auf internationaler Ebene und als gefährliche auf nationaler.

Natürlich versteht man die Furcht, die Bestürzung, die Orientierungslosigkeit, die Wut auch der derzeit Regierenden, beginnend bei den lächerlichen unsrigen, die von diesem Erbeben aus dem Gleichgewicht gebracht komische Sachen erzählen, unzusammenhängend, durchgeknallt. Von internationalen Komplotten etwa, oder wie Frattini (Anm.: derzeitiger italienischer Außenminister) davon, dass Assange die Welt zerstören will. Seit den Zeiten von Fantomas und Louis de Funés hat man nicht mehr solchen dummdreisten Dreck gehört.

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Geschrieben von

ed2murrow

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