(Die Nachwehen der Regionalwahlen) Als Gianfranco Fini die Partei Alleanza Nazionale (AN) 2009 mit Forza Italia (Vorwärts Italien, FI) von Silvio Berlusconi zusammenführte, sollte das ein Pakt fürs Leben sein. Sie vereinigten sich im Popolo della Libertà (Volk der Freiheit, PdL) und sind seit den Parlamentswahlen 2008 eine tragende Kraft des Regierungsbündnisses mit der Lega Nord (Liga Nord, LN). Seit den Regionalwahlen Ende März ist die Säule jedoch brüchig. Denn der Wahlsieger war nicht der PdL, derin allen Wahlbezirken nur sechs Sitze gegenüber 2005 (aus einer Summe der damaligen Sitze für AN und FI) hinzugewinnen konnte, sondern die LNmit +38 Sitzen und ganzen 2 Regionen, obwohl sie in 5 von 13 Regionen nicht angetreten war. Nun hat die Regierung drei Probleme: Umberto Bossi fordert die Beschleunigung des Föderalismus gemäß seinem Programm, Europa einen neuen Staat Padanien zu bescheren; Was Fini, inspiriert von der konservativen Haltung einer Einheit Italiens in einem zentralisierten Staat, nicht gefallen kann; Und Berlusconi, der an der Macht bleiben muss, um gegen ihn laufende Strafprozesse aussitzen zu können . ist auf den parteiinternen Partner und den Koalitionär LN angewiesen ist. Fini hatte vorige Woche in Aussicht gestellt, dass er ggfs. „seine“ Abgeordnete in eine eigene parlamentarische Gruppe umformen werde, wenn Berlusconi den Begehrlichkeiten von Bossi nachgibt. Die da sind: Eine föderale zweite Kammer im italienischen Parlament und … nordische Banken. Was nichts anderes bedeutet, als dass im italienischen Bankensystem, das überwiegend seine Entscheidungsstellen nach parteipolitischen Gesichtspunkten vergibt, die LN ein gewichtiges Wort mitreden will. Erste Sondierungsgespräche zwischen Fini und Berlusconi zur Klärung der Situation wurden im heftigen, persönlichen Streit beendet. Am Donnerstag wurde er in aller Öffentlichkeit auf einem Parteitag des PdL live, but not love (Berlusconi nennt „seine“ Partei in letzter Zeit eine „der Liebe“) fortgeführt. Bis Freitag wollte sich Fini nunZeit lassen, seine Entscheidungen zu verkünden. Angesichts des Wortwechsels, überflüssig: „Wir sind von der Lega zerdrückt“; „Wenn Du Politik machen willst, gibt Dein Amt als Parlamentspräsident auf“; (Und wenn ich es nicht tue) „Verjagst Du mich sonst?“
Und was macht die Opposition?
Eigentlich müsste sie sehr viel tun, weil Berlusconi eigentlich gar keine Zeit zum Regieren haben dürfte. Denn er hat derzeit nicht nur zwei Betrugsprozesse am Hals, sondern auch noch das Scheidungsverfahren, in dem seine Noch-Ehefrau, Veronica Lario, einen Jahresunterhalt von vorläufig (!) 43 Mio. € fordert. Er will ihr nur maximal bis 300.000/Monat zubilligen. Und stellt das geschickt an: Im Scheidungsverfahren lässt er vortragen, er könne Termine wegen Regierungsarbeit nicht einhalten. Im Strafverfahren, dass er das wegen der Scheidungstermine nicht könne. Um dann in keinem der drei zu erscheinen. Was also macht Silvio den lieben langen Tag? Eines der Strafgerichte hat nun die Nase voll und lässt die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung, die dies ermöglicht, überprüfen. Das kann dauern, während die Verjährungsfristen für die vorgeworfenen Delikte (ua. Betrug und Bestechung), die durch die Verfahren wohl nicht gehemmt sind, weiter läuft.
Und was macht die Opposition?
Eigentlich nichts, während Berlusconi doch noch die Zeit findet, Roberto Saviano wieder einmal mit besonderem Lob zu bedenken: Der habe nichts anderes getan, als die Mafia bekannter zu machen. Worauf sich dieser mit einem offenen Brief wehrt („Es ist das Schweigen, was die Organisationen wollen“) und sich fragt, ob er noch bei seinem Verlag Mondadori richtig beheimatet sei. Worauf die Verlagsmitarbeiter ihm ihre Solidarität ausdrücken; woraufMarina Berlusconi, Tochter des Lobredners und Chefin von Mondadori in einem offenen Brief erwidert: „Lieber Saviano, das ist keine Zensur, mein Vater darf auch kritisieren.“; worauf Saviano mit offenem Brief reagiert: „Es ist meine Pflicht, die Freiheit zu verteidigen.“
Worauf die Opposition?
Sie diskutiert, intern, wie die desaströse Wahlschlappe bei den Regionalwahlen (alles, was einmal links und grün war, hat 82 Sitze verloren, einschließlich 4 ganze Regionen) zu verarbeiten sei. Letzter Vorschlag: Dem Partito Democratico (Demokratische Partei, PD) eine föderale Struktur verpassen, um interne Strömungen einzudämmen. Vielleicht bereitet sie sich auf eine Koalition mit der Lega Nord vor.
L’Italia der Valori (Italien der Werte, IdV) hat ein Referendum eingereicht, um die Gesetzeslücke zu schließen, die Berlusconi das Justizballspiel über Bande ermöglicht. Es wird zu berichten sein. Und ihr Chef, Antonio di Pietro, der ehemalige Staatsanwalt von „Mani Pulite“ darf sich freuen: Weil die Tageszeitung Il Giornale der Familie Berlusconi ihn mehrfach übel nachgeredet hatte, wurde sie zu einer Entschädigung von 250.000 € verurteilt. Plus Zinsen. Peanuts für den Berlusca, aber ein Grund mehr, warum Italien immer mehr in Justizialisten und Garantisten zerfällt.
Andere Parteien navigieren derzeit ganz nach Maßgabe der Aschewolke über Europa: Auf Sicht und unter der Wahrnehmungslinie.
Und sonst?
Für die Brücke nach Sizilien („Ein Jahrhundertbauwerk“) ist noch nicht einmal der erste Spatenstich getan, schon gibt es wegen illegaler Absprachen das erste Strafurteil.
Das Veröffentlichen in Medien von Abhörprotokollen aus Ermittlungsakten soll künftig schwer bestraft werden. Das Parlament diskutiert bis zu 5 Jahre Haft.
Eine Petition zur Meinungsfreiheit zugunsten der Bloggerin Yoani Sanchez wurde von der kubanischen Botschaft nicht angenommen. Sie sieht dahinter einen weiteren Akt „eines Cyberkrieges der Desinformation, der schon seit vielen Jahren von den U.S.A. geführt“ werde. Die Petition ging von der Tageszeitung Il Fatto Quotidiano aus, die das mit den Worten kommentiert: „Wir danken dem Botschafter Clemente dafür, dass er uns in Erinnerung gebracht hat, was in Cuba funktioniert und die Erfolge der Castropolitik.“
Ein neues Buch ist erschienen, ein Interview aus Südafrika mit einem der letzten überlebenden Verantwortlichen der italienischen Geheimdienste im Zusammenhang mit den Attentaten von Brescia und Bologna: „Da "Piazza Fontana, noi sapevamo" (Aliberti editore). Wenn es vorliegt, könnte man hineinschauen.
Kommentare 5
Vor ca. 40 Jahren meinte mein Vater, als er im TV in den Nachrichten von der neuesten italienischen Regierungskrise hörte: "Irgendwann findet da einer den Stöpsel und zieht ihn raus - dann schlagen da nur noch die Wellen des Mittelmeeres zusammen." Er würde sich wohl kaum wundern.
Komischerweise funktioniert Leben in Italien aber anscheinend trotzdem. Auch wenn ich es nicht verstehe.
Was ich allerdings wirklich grauslich finde, sind die Wahlergebnisse - was denken sich die Italiener dabei?
Sehr untechnisch ausgedrückt: Es ist eine Suche nach Führung. Dass ausgerechnet Fini, der den faschistischen MSI-DN in AN umwandelte, sich als Gralshüter gegen den Anspruch der LN zu profilieren versucht, ist Teil dieser paradoxen Geschichte.
Paradox, ja. Danke für die Antwort.
Ich muss ja auch nicht alles verstehen.
Die Opposition scheint mir in Italien konfus. Dabei müßte sie jetzt verstärkt handeln, ist aber lahm. Berlusconi hat ein leichtes Spiel, trotz Prozessen und eigenem Chaos.
P.S. ich fand ja früher die Partido Radicale interessant, gibt´s die noch?
Aber sicher. Sein Problem ist das Personal: Pannella wird im Mai 80, Bonino ist gerade 62 geworden. Sie ist derzeit Vizepräsidentin des Senats im ital. Parlament. Der Rest ist sehr jung und vor allem kaum bekannt.
Nicht nur das Programm hat die Radikalen bewogen, überwiegend auf den Listen anderer zu kandidieren: Sie stellen sich programmatisch gegen das Parteiensystem und haben daher stets betont, eine Bewegung zu sein. Zumindest der Teil, der sich immer hinter Pannella und Bonino gehalten hat. Auch die Zersplitterung des linken Spektrums spielt dabei eine wichtige Rolle.
Einen großen Anteil am Bekanntheitsgrad hat der Umstand, dass Pannella immer wieder zu radikalen Aktionen zur Untermauerung der politischen Positionen griff, nicht zuletzt ausgedehnte Hunger- und Durststreiks. Solchen Torturen setzt sich der Nachwuchs natürlich nicht aus, auch weil es heute kein pazifistischer Kontrapunkt mehr zur bewaffneten Meinungstrübung der 1970er und 80er wäre. Damit ist auch eine Aura vergangen.