Aufgefasst und abgebissen, die 36. KW in Italien bis Freitag

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Deutschland labt sich derzeit an Homestorys über Parallelgesellschaften und ihre Entstehung. Italien lebt damit. Seit mehr als hundert Jahren, die Folgen werden immer sichtbarer. No-Go-Areas sind nicht nur einzelne Stadtviertel „irgendwo im Süden“, wie in Neapel die von Scampia oder Secondigliano. In Mailand, Bürgermeisterin Letizia Moratti zufolge „mafiafreie Zone“, gibt es sie erst recht. Sie heißen Corvetto oder Baggio, das „Fortino“ in der Via Fleming, ganze Straßenzüge, die mit fester Hand von Clans regiert werden. Darauf wies vor etwas mehr als einem Jahr Il Manifesto hin, ordnete einzelne Stadtteile den jeweiligen Familien von Camorra, ‘Ndrangheta oder sizilianischer Mafia derart akribisch zu, so dass der Titel „Clans und Drogen in Mailand, die Politik schweigt“ letztlich nur als hilfloser Stoßseufzer gelesen werden kann.

Vergangene Woche lieferte Beppe Grillo, der vom Komiker zum Wortführer mutierte und bekannteste Blogger Italiens, auf seiner Internetseite den erneuten Beweis, dass Corvetto seine ganz eigene Sezession lebt, anders allerdings als die, die die Lega Nord für Norditalien im Sinn hat. Untermalt von Videoaufnahmen vor Ort schreibt Grillo: „Einige Bewohner des Viertels waren dabei, einen Magrebiner bis aufs Blut zusammen zu schlagen. Ordnungskräfte griffen ein. Einer von ihnen blockierte einen Angreifer. Darauf wurde der Polizist von zwanzig Jugendlichen festgehalten und geschlagen, was den Bewohnern gleichgültig blieb. Der Verhaftete ist geflüchtet, besser: Er ist zum Schlafen in SEIN Viertel gegangen. Denn Corvetto ist IHR ZUHAUSE. Die Jugendlichen jubelten dem Polizisten, der ins Krankenhaus musste, zu: „Wir lassen es dich spüren, damit du verstehst, wer hier das Sagen hat“.

Grillo räsoniert darüber so: „ Corvetto dürfte das erste Beispiel eines kriminellen Föderalismus in Mailand sein. In der Gegend wird der, der sich wegen auch kleiner Sachen auflehnt wie einem Parkplatz etwa oder einer Ruhestörung, bedroht oder übel zugerichtet. Das hat nichts mit Migranten zu tun, die sind bestenfalls die Handlanger der italienischen Kriminalität“.

Vor ein paar Tagen nun wurde der Bürgermeister des kleinen Ortes Pollica, etwa 80 km südlich von Salerno erschossen, im Stile der Camorra mit 9 Schüssen hingerichtet. Angelo Vassallo, 57, war als Parteigänger des sozialdemokratischen Partito Democratico (Demokratischen Partei, PD) vor einigen Monaten wieder gewählt worden. Er galt nicht nur als Umweltaktivist, sondern als entschiedener Verfechter einer klaren Linie in dem malerischen touristischen Ort: Die Aktivitäten im Hafen genauso unter öffentlicher Kontrolle zu halten, wie die üblichen Attribute von Feriendomizilen wie Bauspekulation, Drogen, Prostitution, illegale Beschäftigung zurück zu drängen. Nicht umsonst sprechen die Ermittler von einem „Bündel an Motiven“, die zur Exekution geführt haben dürften.

Der Kenner der Gegend und der Camorra, Roberto Saviano („Gomorrha“) analysiert es, trotz der gegenteiligen Rhetorik aus Rom wie er meint, so („Der Skandal der Demokratie“): „Tatsache ist, dass der Cilento [Anm.: Geographische Lage im Golf von Salerno], dieses wunderbare Land, die Augen und Hände der kriminellen Organisationen auf sich zieht, die fast so, als wären sie die Nemesis unserer ständig in sich kämpfenden politischen Klasse, Gefälligkeiten austauschen, Kompetenzen aufteilen, um den maximalen Profit aus einer Gegend zu ziehen, die alle Eigenschaften besitzt, um als Niemandsland und damit deren Land definiert zu werden“. Als Beispiel führt er die Abfallentsorgung an: „Das ist eine Region, wo man nach der öffentlichen Ausschreibung für die Mülleinsammlung auf ein Unternehmen aus Ligurien ausweichen muss, weil es in Kampanien nicht eine gibt, die keine Verbindungen zur Camorra hätte. Und während man auf der einen Seite die Handschellen zuschnappen lässt, gibt es auf der anderen keine Politik, die darauf abzielte, jede Verbindung mit dem organisierten Verbrechen zu kappen“.

Mailand und Pollica haben drei Dinge gemeinsam: Sie liegen beide ungefähr gleich weit von Rom entfernt, die eine Stadt südlich davon, die andere nördlich; die Tatsache, dass es ein staatliches Machtvakuum gibt, gleich ob gewollt, gezielt oder fahrlässig; Und dass es etwas aufzuteilen gibt – in Pollica das Business mit dem Tourismus und dem Hafen, in Mailand die Expo 2015.

Dem Vernehmen nach sollen sich die Italiener demnächst wieder eine Regierung wählen, so hätten es gerne die Parteien, die derzeit Mailand, die Lombardei und von Rom aus herrschen. Herr Rossi hat ein ganz anderes Problem: Wie kommt er an den Lotto-Jackpot, der seit gestern Abend 134.500.00 Millionen Euro schwer ist? Fünf „Richtige“ sind immerhin 50.000 Euro wert. Fast so viel wie eine Gefälligkeit.

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Geschrieben von

ed2murrow

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