Bemerkenswerte Übereinstimmungen

NSU-Prozess Wenn nach dem dritten Verhandlungstag von „aggressiver Stimmung“ die Rede ist, dann sollte das nicht wundern – das Höhlendasein ist kein Zuckerschlecken

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Bemerkenswerte Übereinstimmungen

Foto: Christof Stache / AFP / Getty

Prozesse, die sich lange hinziehen oder werden, erfahren oft eine Eigendynamik, die in keiner Verfahrensordnung zu finden ist. Bevor es zur Sache geht, ist da das gegenseitige Austarieren, welche und wie viel Konzilianz oder wie stark der Gegenwind bei den Verfahrensbeteiligten ist. Die Suche nach dem wunden Punkt beim anderen, die Auslotung von Fähigkeiten und Grenzen, sie sind Teil der tatsächlich stattfindenden Verhandlung, die jede Form transzendiert.

Nach drei Tagen von voraussichtlich bis zu zwei Jahren Dauer des Verfahrens gegen Beate Zschäpe u.a. ist es eine räumliche Forderung, die sich bemerkbar gemacht hat. Nicht nur wurde von der Verteidigung unter anderem deswegen eine Unterbrechung beantragt und die Verlegung in einen größeren Raum verlangt, weil die Arbeitsbedingungen und damit die verbürgten Verfahrensgarantien für die Angeklagten und deren Anwälte unzumutbar seien. In diese Richtung können auch die Äußerungen von Pressevertretern verstanden werden, die die Arbeitsbedingungen im Saal A101 des Gerichtsgebäudes an der Nymphenburger Straße mit Vehemenz beklagen.

Der taffen Gerichtsreporterin Annette Ramelsberger (SZ) nimmt man die Unzumutbarkeit ohne weiteres ab, wenn sie zunächst aus dem Saal schreibt: „Der Punkt ist erreicht, wo wir alle empört sind über die Arbeitsbedingungen. Das grenzt an Schikane“. Um das in einem online-Artikel unter der Überschrift „Vergraulprogramm für Journalisten“ noch deutlicher zu formulieren: „Die Journalisten, die aus dem Gerichtssaal über den NSU-Prozess berichten, erledigen ihre Arbeit unter Bedingungen, die selbst eine Gerichtssprecherin als ‘ein wenig clochardmäßig‘ beschreibt.“ Und das soll weitere zwei Jahre so weiter gehen? ist dazu die unausgesprochene Frage.

Das ist nicht lediglich eine boulevardeske Fortsetzung des Gerangels um Presseplätze oder eine Lotterie. Oder die Beschreibung eines Revanchefouls einer Justizverwaltung, für die OLG-Präsident Karl Huber, gleichzeitig auch für den Bayerischen Verfassungsgerichtshof zuständig, in einer Pressekonferenz meinte, „die Angriffe, denen sich das Gericht ausgesetzt sah, ist in der deutschen Geschichte ohne Beispiel“.

Die gemeinsame Klammer ist vielmehr vom Gericht selbst ausgesprochen worden. Angesichts von mittlerweile 86 NebenklägerInnen und deren 62 ProzessvertreterInnen regte der Vorsitzende des Senats Manfred Götzl gestern an, den Tatkomplex um das Nagelbombenattentat in der Kölner Keupstraße abzutrennen und gesondert zu einem späteren Zeitpunkt zu verhandeln.

Nicht nur Verteidiger hegen Absichten

Der Vorgang an sich ist keine Besonderheit, da Verfahrenstrennungen im Strafprozess hinsichtlich abgrenzbarer Sachverhalte grundsätzlich möglich sind und dabei Zweckmäßigkeitserwägungen stets eine bedeutende Rolle spielen. Allerdings dürfen diese nicht ausschließlich bestimmend sein, sondern sind gegen andere Faktoren abzuwägen. Bislang wurden diese beinahe ausschließlich auf die Rolle der Angeklagten projiziert, wenn es etwa um Fragen der Verfahrensdauer oder des Übermaßverbotes ging. Diesbezüglich hat etwa das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 12.08.2002, Az.: 2 BvR 932/02) ausgeführt, dass das Rechtsstaatprinzip „eine angemessene Beschleunigung des Strafverfahrens im Interesse des Beschuldigten“ fordere, also „das Verfahren in einer Weise zu führen [ist], die einen zügigen Abschluss verspricht.“

Dass diese Maßgabe auch eine der NebenklägerInnen sein könnte, muss sich angesichts der kritischen Reaktionen, die alleine die gesetzlich vorgesehenen Präliminarien wie die zum gesetzlichen Richter betreffen, als Frage aufdrängen. Denn wer schon in der Richterablehnung eine unzumutbare Verzögerung erkennen will, obwohl derartige Anträge gemäß § 25 Absatz 1 Strafprozessordnung grundsätzlich nur bis zum Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten zulässig sind, wird erst recht die zeitliche Verschiebung eines gesamten Themenkomplexes unbegreiflich finden.

Die geschlossene Ablehnung der gerichtlichen Anregung (bezeichnenderweise: nicht der Ankündigung einer Entscheidung) auch von Seiten der Bundesanwaltschaft hinterlässt gleichwohl einen Beigeschmack: Des Versuchs, mit einer grundsätzlich nicht revisiblen oder per Verfassungsbeschwerde angreifbaren Entscheidung zur Prozessleitung den möglichen Revisionsgrund fehlerhafter Herstellung der Öffentlichkeit auszuhebeln – mit einer Dividierung der NebenklägerInnen in zwei Verfahren entfiele auch die drangvolle Enge, wo man sich buchstäblich gegenseitig in die Karten schauen kann.

Dabei wäre jede(r) neue Nebenkläger(in) Anlass zur berechtigten und formell unanfechtbaren Frage, ob nun nicht doch der Augenblick gekommen ist, dass das Verfahren den derzeitigen räumlichen Rahmen sprengt. Nach einem historischen Bunkerprozess würde wenigstens das Wort vom Höhlenprozess im gewölbten Saal A101 obsolet. e2m

[eine interaktive Saalschau gibt es bei SPON]

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

ed2murrow

e2m aka Marian Schraube "zurück zu den wurzeln", sagte das trüffelschwein, bevor es den schuss hörte

ed2murrow

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden