Clubhausatmosphäre mit Fragezeichen

Gipfeltreffen Statt simplen Fragen nachzugehen, üben sich die G7-Teilnehmer in Distanz. Werden zu den Gesprächen Tee und Häppchen gereicht? Und wen interessiert‘s?

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Welche Fragen gestellt werden, ist noch nicht raus. Ebenso wenig zu welchem Thema und wem gegenüber. Wird es am Ende so wie vor einigen Tagen bei Al-Sissi sein, als in einer zur Pressekonferenz umdeklarierten Claque-Show nur handverlesen und dann nicht einmal zu Ägypten so etwas wie Neugier befriedigt werden sollte?

Eine der Sachen, die seit je die Menschen bewegen, ist der Preis von Brot oder eines sonstigen Grundnahrungsmittels, das dann auch gleich zum nationalen Symbol wird. Was dem Italiener sein Teller Pasta ist dem Japaner seine Schale Reis. Genauso bewegt aber die Menschen, ob die sie Regierenden überhaupt (noch) eine Ahnung haben, was eben dieses Tägliche kostet. Auch wenn es nur ein Gerücht war: Mit „sollen sie halt Torte essen“ hatte es sich die französische Monarchie gründlich mit dem Volk verscherzt.

Der G7-Gipfel böte für die entsprechende Fragestellung ein geradezu ideales Pflaster. Nachdem dort die weltweiten Probleme, mithin unter Ausschluss von China, Indien und Russland erörtert werden, eben grenzüberschreitend: Kennt Monsieur Hollande nicht nur den Preis seiner Baguettes, sagen wir, im 17. Pariser Arrondissement, sondern des Laibes zu Berlin? Oder kann Frau Merkel spontan über den Sack Reis hinaus referieren, der irgendwo umfällt, nämlich über dessen Verbraucherpreis, sagen wir: in Fukushima, der bekanntermaßen importabhängigen japanischen Küstenstadt? Zu den USA dürfte sich selbst der polemischste Pressemensch jede Frage verbeißen. Was dort als Grundkost gilt, kann wirklich niemand mit gutem Gewissen beantworten.

Die Chancen, dieser ziemlich simplen Neugier nachgehen zu können, stehen naturgemäß schlecht. Erstens, weil Quertreiber wie Fagr Eladly wohl kaum akkreditiert werden. Zweitens, weil der Fragehorizont dort, wo es irgendwie ums Große und Ganze geht, mindestens ebenso metamäßig daherkommen will. Und drittens: Wo kämen wir hin, wenn … ?!

Dabei ist die Distanz zwischen Regierenden und Regierten ohnehin so sichtbar wie anno dazumal die zwischen Paris und Versailles. Das liegt weniger daran, dass dieses Jahr ein veritables Schloss als Konferenzort gewählt wurde. Auch die CSU tagt in schöner Regelmäßigkeit in einem solchen zu Wildbad Kreuth und hat dort sogar seinen nach Hanns Seidel benannten Thinktank platziert. Trotzdem wird die Partei in ebenso unschöner Regelmäßigkeit gewählt.

Sondern es ist der Cordon Sanitaire, den die Führer dieser Welt um sich aufbauen, sobald sie zusammenkommen. Gleich ob als Schutzzone oder als befriedeter Bezirk, die Unzugänglichkeit lässt im Grund nur eine Frage zu: Gilt das, was im Deutschen sich das Wort „Bannmeile“ sogar als Rechtsbegriff verdient hat, nun der Isolation oder doch eher dem Ausschluss?

Am Konferenztisch des Jahres 2015 sitzt wie sonst auch Italien, vertreten durch Ministerpräsident Matteo Renzi. Übertüncht von Grexit und Graccident repräsentiert er eine Bevölkerung, die in den letzten Jahren ihre Ausgaben für Lebensmittel um rund 20 Prozent gekürzt hat. Nicht um weniger wegzuwerfen, sondern weil das Geld sonst bis Monatsende nicht reicht. Dario Fo und die mittlerweile verstorbene Franca Rame hatten 2010 ohne jede Übertreibung von -> „Hungern und bestrafen: Szenen aus dem neuen Italien“ geschrieben: Schüler, deren Eltern das Geld für die Schulmensa nicht aufbringen konnten, mussten mit knurrendem Magen zusehen, wie die anderen sich über ihre tägliche Portion Pasta hermachten.

Das wäre gerade jetzt Anlass, andere Fragen oder bekannte Fragen anders zu stellen, auch weil die Siebener-Kirmes wieder in Deutschland stattfindet. In seltener Einmütigkeit haben sich ein amerikanischer Nobelpreisträger für Wirtschaft und ein italienischer für Literatur über Zeit und Orte hinweg getroffen: Während Fo glaubhaft berichtet, wie Kaputtsparen sich zu einer kaputten Gesellschaft auswächst, hat Joseph Stiglitz das dazugehörige ökonomische Modell in den Boden gestampft; zuletzt mit zwei offenen Briefen in der Financial Times und seinen Äußerungen gegenüber der New York Times. Wo der eine die angebliche „Nächstenliebe“ von sogenannten Christen beim Mahl vorführt, attestiert Stieglitz den Sparideologen made in Germany unverblümt „Besessenheit“.

Davon hat das hiesige Publikum mit seltenen Ausnahmen nichts erfahren. Der Isolationsgürtel wirkt nicht nur als Polizeikette in den bayerischen Alpen, sondern hält die Beinkleider am germanischen Schmerbauch brav auf Nabelhöhe.

Die Mächtigen dieser Welt und ihre Berichterstatter sollten sich klar sein: Hunger versaut das Klima in jedem Club, so sorgsam auch versucht wird, den Leidern als Ungebetenen den Zutritt zu verwehren. Und Hungerrevolten sind noch immer die, die zu jeder Zeit und an jedem Ort jeglicher Kultur als legitim angesehen werden. Den Preis von Brot zu kennen ist durchaus von Vorteil; selbst wenn es als Sandwich mit Gürkchen daher kommt. e2m

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Geschrieben von

ed2murrow

e2m aka Marian Schraube "zurück zu den wurzeln", sagte das trüffelschwein, bevor es den schuss hörte

ed2murrow

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