Die Entpuppung

Tunesien/Feminismus Die tunesische Schriftstellerin Hélé Béji setzt sich in ihrem jüngsten Essay für Le Monde mit dem Frauenbild in der Revolution am Beispiel von Amina Sboui auseinander

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Ukrainische Femen-Mitglieder protestieren im März 2012: "Muslim Women let´s get naked"
Ukrainische Femen-Mitglieder protestieren im März 2012: "Muslim Women let´s get naked"

Foto: Kenzo Tribouillard/ AFP/ Getty Images

Vor einiger Zeit war folgende Wendung in einem von mehreren Medien in Deutschland veröffentlichten Artikel („Femen und die Muslima“) zu lesen: „Die radikalen und einseitigen Ansichten von Femen unterscheiden sich nicht besonders von der Einstellung jener, die Aminas Bestrafung forderten.

Das war Anfang April und die junge Frau, deren blanker Busen für so viel Aufsehen gesorgt hatte, zu der Zeit im Gewahrsam der eigenen Familie. Für den Augenblick der scheinbar sicherere Hafen als die Öffentlichkeit eines vom Hate-Speech eines selbsternannten Moralapostels aufgestachelten hauptsächlich männlichen Mobs.

Amina Sboui sitzt mittlerweile seit einem Monat in einem tunesischen Gefängnis in Untersuchungshaft. Ihre Geschichte auf die des persönlichen Exhibitionismus‘ oder einer zurück zu weisenden Radikalität zu reduzieren, weil sie sich selbst genügten und darin sich der Zweck erschöpfte, ist eine durchaus gängige Methode. Wir begegnen dem auch in „Nacktes Fleisch für jeden Zweck“ einer sicher akkurat argumentierenden Kia Vahland. Freilich kommt auch sie über das Bild vom unreifen und deshalb unbedarften Menschen nicht hinaus.

Hélé Béji, Autorin u.a. von „Islam Pride – Derrière le voile“ (2011), hat in „Amina, l’histoire en marche“ (Le Monde online, 15.06.2013) die Prämisse aufgenommen, aber bereits im Kern erweitert. Amina schreibe „sich wegen ihrer Beherztheit in die gegenwärtige Kultur des Extremen ein, die mittlerweile das Schicksal entpolitisierter Gesellschaften ist, wo die persönliche Meinung des exzessiven Spektakels bedarf, um das Credo zu exaltieren.“ Und stellt dann eine erste entscheidende Frage: „Aber ist es dann -angesichts des ultra-puritanischen muslimischen Eifers, das Dämonische weiblicher Erscheinungsformen unter einem klösterlichen Habitus auszulöschen- tatsächlich so absurd, dass eine Jugendliche revoltiert, indem sie die Nonnen und Pfaffen mit der Prahlerei ihrer Nacktheit verhöhnt?“

Béji könnte es sich leicht machen wie Bochra Bel Haj Hmida oder Noura Borsali. Beide, bekannte wie engagierte Feministinnen und Frauenrechtlerinnen, haben pünktlich auf das „zweierlei Maß“ aufmerksam gemacht, das sich im Fall Amina konkret auswirkt: Die Tat einer Beschriftung auf einem Mäuerchen, für die die Freiheit ohne Weiteres genommen wird, während die klerikalen Anstifter eines Mordaufrufs an ihr völlig unbehelligt bleiben.

Aber Béji begnügt sich nicht mit dem Offensichtlichen. Die wirklich unheimliche Allianz sieht die Autorin vielmehr unter denen, die sich in Staatsdingen unversöhnlich gegenüberstehen, aber in einer gemeinsamen Empörung gegen die „schamlose Göre“ zusammen finden: „Der sonst unauffindbare Konsens hat sich in einem fast einstimmigen tadelnden Raunen zusammengeschweißt, das sich gegen diese neue Vestalin der Freiheit richtet.“

Dass die Autorin dabei dort hinein stößt, wo es weh tut, nämlich in eine Empörung, die sie als „bürgerliches Anstoß nehmen“ qualifiziert, ohne dass die Beteiligten sich ihren tatsächlichen Obsessionen stellten, mag paradox scheinen. Denn sie ist als Gründerin des Collège International de Tunis selbst eine tragende Person der so angegriffenen Zivilgesellschaft.

Aber Béji ist Kummer gewöhnt. Schon in „Islam Pride“ hat sie sich dezidiert gegen das französische Verschleierungsverbot in der Amtszeit von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy gewandt. Allerdings nicht als Ausdruck der Freiheit der Entscheidung, sich zu kleiden, wie man möchte: „Gesetze gegen die Burka? Sie und sie alleine zu verbieten in einer umfänglich gewährenden Gesellschaft, die mit Blasiertheit jede Ausuferung beäugt? Mit welcher Berechtigung will man da die eine Übertretung ahnden und nicht auch die andere?

Die Herangehensweise in „Islam Pride“ ist eine andere: „Ich stellte mir eine Frage, auf die ich keine Antwort fand. Warum bedienen sich diese Frauen eines Symbols der Unterwerfung, wenn sie doch frei sein wollen? Ich versuche nun eine Antwort. Weil sie die Moderne wie eine Last erleben. Und wenn die Moderne wie jede Erwartung zur Last geworden ist oder als solche erlebt wird, dann klingt der Ruf nach Tradition wie eine Befreiung. Der Schleier wird so die Entgegnung auf die Rohheit einer Wettbewerbsgesellschaft, in der selbst die familiäre Harmonie entzweit ist, ohne dem Individuum, sei es Mann oder Frau, das erwartete Gleichgewicht zu bringen.

Keine Frage, dass sich Hélé Béji weder unter den Dezisionisten des französischen Parlaments noch bei deren Widerparten in der Pariser Moschee besonders viele Freunde gemacht hat. Das wird sich mit dem jetzigen Exploit auf den Seiten von Le Monde kaum bessern. Denn dort knüpft die Autorin an eben diese Frage der Tradition an. Sie ist in ihren Augen „die sinnliche Grundstimmung, nicht mit der Vorstellungswelt der Ahnen zu brechen, sondern diese mit den neuen Wünschen in Einklang zu bringen und zwar mit allem, was es an spielerischer Wissenschaft bedarf, die Tradition zu übertreten ohne je den Eindruck zu erwecken, sie zu verraten.“

Und genau das Gegenteil sei der Islamismus. Denn mit ihm sei„ein Phänomen aufgetreten, das in das subtile Gleichgewicht zwischen Freiheit und ihrer Übertragung einen brutalen Moment des Stillstands eingefügt hat. Mit einem Mal haben Frauen, stark der sektiererischen Doktrinen im Bruch mit der Tradition, begonnen, im industriellen Maßstab die schreckliche Arbeit zu verrichten, den künstlerischen, musischen, poetischen Schatz der Vergangenheit seiner Wurzeln zu berauben.“

Béji bezeichnet das in Anlehnung an Julia Kristeva als „grässlichen Verrat am weiblichen Genie“, gegen den sich Amina Sboui auflehne. Habeas Corpus ist dabei das Stichwort. Einerseits als der hinreichend bekannte Rechtsgrundsatz von der Unverletzlichkeit des Körpers einschließlich der Willensentschließung, sich frei zu bewegen. Andererseits eine Rückbesinnung auf die Körperlichkeit als der „ursprüngliche, brutale Beweis, dass das Bewusstsein des Selbst verbunden ist mit der Souveränität über den Körper, mit der Gesundheit und Schönheit der fleischlichen Hülle.“ Und: „Was soll eine Kreatur, strotzend vor Leben und Kraft, die mit der Revolution den mächtigen Atemzug der eigenen Entpuppung getan hat, anderes als diesen Riegel aus Vergessenheit und Ignoranz zu brechen, anderes als aus genähten Mauern ihre nackten Konturen schlüpfen zu lassen? Welcher Gott wäre damit gekränkt?

Dieses Selbstverständnis versage sich die tunesische Gesellschaft derzeit. Aus den Erwartungen an die Revolution sei ein „atemloses Zuschauen“ geworden der „von einer Religion gequälten“ Menschen, „die sie des Götzendienstes, der Häresie, des Schismas, der Dissidenz für schuldig erklärt, weil sie aus dem göttlichen Wesen den perfektesten aller Demokraten macht“. Das Fazit: „Mitten in diesem Sabbat wo alle Vernunft verloren ist, steht Amina: Sie ist im Vollbesitz der ihren.“

Dem Essay in all seinen Nuancen nachzuspüren, wäre eine lohnende Aufgabe, die hier nicht geleistet werden kann. Denn wir müssten uns desweiteren der Aufgabe stellen, die etwa das Werk der weithin bekannten marokkanischen Soziologin Fatema Mernissi seit den 1990er Jahren beherrscht: Die Auswirkung der Massenmedien auf die Rolle der Frau im Islam. In einem lesenswerten Interview mit babelMed, einer kulturellen Plattform für den Mittelmeerraum, hat es Mernissi auf eine prägnante Formel gebracht. Am Morgen von Tausend und Einer Nacht schwieg Scheherazade, weil die Zeit des gestatteten Wortes zu Ende war. „Scheherazade sprach nicht zum Tag, weil es der Mann ist, der tags spricht. Sie darf nur des Nachts sprechen. Und nun spricht Scheherazade auf Al Jazeera non stop!“ Keine Frage, dass auch Mernissi dem Schleier nachgegangen ist (Beyond The Veil, Male-Female Dynamics in Modern Muslim Society, 1991).

Die unterschiedliche Lektüre von 1001-Nacht, die spezialisierte Verlage in saftig-erotischen Exzerpten für das deutsche Publikum bereit halten und andererseits das Reden um das eigene Leben ist eines der Momente, die Kia Vahland übersieht. Das hat nichts mit orientalischem Charme oder Exotik zu tun, sondern ist vitale, zudem tradierte wie geschriebene Geschichte der Frau, mag sie auch verschlüsselt sein. Auf sie bezieht sich Hélé Béji in Teilen, wenn sie von einer Entwurzelung spricht.

Angesichts der Aktion Berliner Piratinnen („Die große Entblößung“) im Oktober vergangenen Jahres wäre die nahe liegende Frage zu stellen, was es eigentlich noch bedarf, damit Nachrichten und ihre Macher, zu denen auch so manch entrüstete Edelfeder hierzulande gehört, die Lüsternheit in der Auswahl und Behandlung verlieren, um dem Kern der Information Platz zu verschaffen. FEMEN ist darin bereits weiter. Sie nutzen den Mechanismus klever aus und sind damit weitaus smarter als die, die Urständ beklagen – sie führen die auch in Deutschland um sich greifende Bigotterie exemplarisch vor.

Vor allem aber ist der Essay eine Kampfansage an all jene Obskurantisten, die ein natürliches Selbstverständnis an das andere Ende einer Extremismusskala relegieren wollen, um mit ihrer Theologie, die sie als gemäßigt bezeichnen, einen Gott zum perfekten Demokraten zu machen. Für sie, egal ob christlich oder muslimisch, hat Béji schlechte Nachrichten. „Nachdem es keine Holzstöße mehr zur Verbrennung von Hexen, diesen Exaltierten des Teufels mehr“ gebe, bleibe „den modernen Inquisitoren nichts als das Strafrecht“. Und dagegen gibt es exzellente Verteidiger, nicht nur unter Juristen. e2m

Quelle: Hélé Béji, Amina - l'histoire en marche, Le Monde online, 15.06.2013, http://www.lemonde.fr/idees/article/2013/06/15/amina-l-histoire-en-marche_3430681_3232.html

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Geschrieben von

ed2murrow

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