Die gefährliche Revolution von Giorgio II

Italien Ein Blogbeitrag von Stefano Feltri aus Rom nach der Vereidigung von Giorgio Napolitano als alter und neuer Staatspräsident

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Die gefährliche Revolution von Giorgio II

Foto: Franco Origlia

Er ist gerührt, die Parteien klatschen. Und doch gibt es keinen Grund, diese nüchterne und etwas traurige Zeremonie besonders zu begehen, mit der Giorgio Napolitano zum zweiten Mal seinen Amtseid als Präsident der Republik geschworen hat. Dessen ist sich auch das Staatsoberhaupt bewusst, das die offizielle Eskorte ebenso zurückgewiesen hat wie den offenen Wagen; das ist nicht der Augenblick für Pomp und ein Bad in der Menge. Weil das, was sich heute im Parlament abgespielt hat, das Begräbnis der Zweiten Republik ist, ohne dass die Politik Anzeichen für eine Auferstehung in einer Dritten von sich geben würde.

Die relevanteste Nachricht ist der Übergang Italiens in ein faktisches Präsidialsystem. Napolitano hat erklärt, dass seine Amtszeit von zwei Variablen abhängen wird: Wie lange ihn seine Kräfte tragen und wie sich die Parteien verhalten werden. Sollten sie nicht zur Zusammenarbeit bereit sein, so hat er zu verstehen gegeben, wird er sich nicht mehr verpflichtet fühlen, zu bleiben.

Das hat eine sehr konkrete Folge: Wer auch immer dieser im Entstehen begriffenen „Regierung des Präsidenten“ das Misstrauen aussprechen wollte, würde auch den Rücktritt des Präsidenten bewirken und nicht nur des Premiers. Das ist ein Zustand nach französischem Muster: Der Premierminister ist der Emissär des Präsidenten, des eigentlichen Bezugspunkts. Das ist nicht lediglich eine Randnotiz, auch weil sie mit einem monarchischen Element verbunden ist: Das Bestehen der Institution ist mit dem der Person vereinigt, die sie verkörpert, die Gesundheit des Quirinals hängt von der Napolitanos ab (der in guter Form erscheint, aber doch 88 Jahre alt ist). Gerade hat der Vatikan das tiefe Trauma erlebt, das daraus entsteht, die Institution -die ihrer Natur gemäß die Person überfordert- an die Fragilität des Körpers zu fesseln.

Die Kombination der beiden Elemente führt Italien auf noch unerforschtes Gebiet, wie sich am Umstand zeigt, dass keinerlei Spannung mehr dazu herrscht, wer die Regierung stellen wird. Ihr Sitz ist ohnehin in den Quirinalspalast verlegt worden.

Und dann sind da die Parteien. Während Napolitano mit allen äußerst hart ins Gericht gegangen ist, haben alle Parlamentarier applaudiert. Beinahe als ob die Vorwürfe der Ziellosigkeit, Korruption, Verantwortungslosigkeit ein anderes und nicht dieses Parlament betreffen würden, das unfähig gewesen ist, ein annehmbares Wahlgesetz zu verabschieden, eine Regierung oder einen neuen Präsidenten der Republik zu wählen. Sie haben geklatscht, sind aufgestanden, haben Ovationen angedeutet. Die Bestätigung von Napolitano im Amt sanktioniert aber lediglich diese politische Klasse, die nichts zustande bringt und die wie immer jede Kritik abprallen lässt, dabei die Verantwortung bei anderen oder sogar im Schicksal sucht.

Die erste Bilanz ist jedenfalls: Der PD [Anm: Partito Democratico] geht zerstört hervor, das Staatsoberhaupt hat Bersani [Anm.: Pier Luigi Bersani, zurück getretener Parteichef des PD] das ganze Gewicht der Lähmung aufgeladen. Silvio Berlusconi zeigt sich triumphierend; wie immer hat Napolitano die Aussöhnung und den Dialog, also breitest mögliche Zustimmung gefordert und damit das, was sich Berlusconi erhofft hat (zumindest kurzfristig, es dabei dem PD überlassend, sich selbst zu demontieren, um dann Neuwahlen auszurufen, die den PdL [Anm.: Popolo della Libertà, die Partei Berlusconis] wieder an die Macht bringen bis hin zu einer etwaigen Abänderung der Verfassung, die eine Direktwahl des Staatspräsidenten, mithin von Berlusconi selbst ermöglicht).

Der 5-Sterne-Bewegung kommen die Würde und die Anerkennung zu, hauptsächliche (wenn nicht sogar einzige) Opposition zu sein. Sicher, Napolitano hat dazu eingeladen, jede Form von Anbetung des Netzes zu vermeiden, weil die Demokratie konkrete Personen und die Konfrontation benötigt. Und er hat auch die Gegensätzlichkeit zwischen „öffentlichem Platz und Parlament“ kritisiert, um dann allerdings zu betonen, dass die M5S die Wahl getroffen hat, ihre Anstrengung in die Institutionen fließen zu lassen statt sie gegen sie zu verwenden.

Mit diesem Diskurs beginnt keine neue Phase. Das politische System hat für sich ein weiteres Jahr herausgeholt, vielleicht zwei. Eine Ausgleichsstelle, die die einzige Alternative zur Anarchie zu sein schien und in der Hoffnung, dass irgendetwas die Blockade aufheben möge: Entweder durch Austausch der Protagonisten (ein anderer statt Bersani; früher oder später mit dem Ausscheiden von Berlusconi), durch Neuausrichtung der Parteien und damit der Allianzen (mit einem PD, der nicht mehr lange durchzuhalten scheint) oder des internationalen Szenarios (die Verbesserung oder Verschlechterung der Wirtschaftslage werden ihr Gewicht haben).

Damit sind wir der Lösung der Probleme nicht näher gekommen, die uns bis hierher gebracht haben. Aber die Reaktion des Systems mit seinen weiteren Ausnahmen und Gängelungen in Richtung eines Präsidialsystems könnte die Voraussetzung für weitere künftige Krisen sein.

Übersetzung von ed2murrow, Hervorhebungen folgen dem Originaltext, mit freundlicher Genehmigung

Der Artikel ist unter dem Originaltitel „La pericolosa rivoluzione di Giorgio II” am 22.April 2013 im Blog von Stefano Feltri auf der online-Plattform der Tageszeitung Il Fatto Quotidiano erschienen.

Stefano Feltri, Jahrgang 1984, hat Wirtschaftswissenschaften in Mailand studiert und ist Journalist. Neben der Tätigkeit für andere Medien zeichnet er für den Wirtschaftsteil des Fatto Quotidiano verantwortlich.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
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ed2murrow

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ed2murrow

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