Die (nicht mehr ganz so) Ahnungslosen

44Fußballerbeine Über Aufklärung sollte sich niemand beklagen; über den Spaßfaktor auch nicht

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Was fürchtet Mann in Reifung mehr als die immer unbarmherziger wirkende Kraft der Erdanziehung? Völlig klar, den Bartwuchs. Mag das Haupthaar dank Dopings noch so füllig und mittels verschämter Ampullen colormäßig frisiert sein: Graue Stoppeln sind solche, bleiben es und sagen alles. Da fällt es nicht weiter ins Gewicht, dass die einhergehende Seneszenz als kontrafaktischer Fortschritt auch das Erinnerungsvermögen trübt – Phrasen bekommt man, einmal gelernt, immer hin. Aber wo zum Teufel hat vor vier Jahren die Fußballweltmeisterschaft stattgefunden?

Während ich mich also des Belegs meiner Humuswerdung entledige, rieselt der Kalk. Ach ja, genau, Südafrika. Aber es hat sicher nicht an der Grellheit der Eingebung gelegen, dass ich mich gleich geschnitten habe. Oder dass mir ums Verrecken nicht das Maskottchen, Logo oder die Eröffnungsfeier einfallen wollten. Nur Vuvuzuela – ich fand die Tröten klasse. Ein paar pingelige Nachbarn hatten damals gemeint, das sei zu laut. Echte Fußballexperten halt, die zum eleganten Schlenzer auch hören wollen, wie der Grashalm unterm Stollen knackt.

Richtig erschrocken bin ich freilich, als mir der ganze Rest eingefallen ist, -> die Ahnungslosen. War das nicht -> Kalle Wirsch mit dem -> Vorschlag: „Ich wär für einen 'Blog der Ahnungslosen'. So wie bei der NRW Wahl Berichterstattung auf Freitag.de.“ Und war es nicht das Community-Team aus Maike, Tessa und Jan gewesen, die das -> arrangierten? Ich hatte das glatt vergessen.

Über das „warum“ mache ich mir keine Illusion, dieser Teil meiner Synapseninsuffizienz ist eindeutig püchosonstwas, nämlich Verdrängung. Denn Spaß ist vier Jahre später Fremdwort.

Am ärgsten hat mich getroffen, ich verhehle es nicht, dass als eines der Vorzeichen zur WM mein Leib- und Magenblatt auf der Sentenz besteht, die -> Fußball-WM sei „nationalistisch“. Wissenschaftlich untermauert natürlich per Studie aus dem Beritt des Instituts für Gewalt- und Konfliktforschung. Wie sollte man gegen derartige Evidenz und wissenschaftliche Kompetenz argumentieren?

Einmal natürlich mit Transparenz. Denn weder der jetzige Artikel meiner Zeitung, noch der der Süddeutschen vom 15.06.2012 geben auch nur einen Fetzen Link her, um die Worte des Instituts im Original anzubieten - zu verstehen, was „nationalistischer“ nach einer WM sein soll. Denn so wenig ich mir ein wenig schwanger vorstellen kann, so sehr ist mir schleierhaft, was eventuell bissi, viel und ganz nationalistisch sein soll. Aber das natürlich am Rande.

Punkt ist, dass sich die Erhebung des Instituts auf Deutschland bezog und nicht auf die Bevölkerungen anderer (Austragungs)Länder. Richtigerweise wäre also allenfalls davon zu sprechen, dass der Befund auf Deutschland zutrifft, um dann die schelmische Frage zu stellen, ob das eventuell eine hiesige Spezialität sein könnte. Nicht nur bei den Befragten, sondern auch bei den Erhebenden.

Aber WM ist eben Weltmeisterschaft. Und wenn in Stadien ganze Kleinstädte Platz nehmen und trotz aller versammelten Nationalitäten nicht explodieren, wird die Frage ernst: Wenn ich zu „meiner“ Mannschaft halte, was unterscheidet mich dann vom BVB- oder Kreisligafan, dann aber übertragen auf das globale Dorf? Jede Wette, in den erwähnten Studien finden sich allenfalls Fußnoten dazu.

Keine Frage: Jede Sportart hat ihre Wettbewerbssituation. Und sie ist in ihrer Selektion auf den einfachsten Darwinismus zu bringen: Die Fittesten setzen sich unweigerlich durch.Aber ist deswegen, weil die nationalen „Wettbewerbsgesellschaften“ als sozialdarwinistisches Prinzip ausgerufen wurden, nun auch der Sport in den Boden zu rammen, obwohl er eine andere Zielsetzung verfolgt?

Denn eines muss klar sein: Diese Großveranstaltungen sind rein privatim organisiert – vom Reglement über die Verbände bis hin zur eigenen Gerichtsbarkeit gehen sie allesamt zurück auf einen im Handelsregister eingetragenen Verein im Sinne der Art. 60 ff. des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB) namens FIFA. Im Gegenteil geben also die Austragungsorte und –länder bedeutende Teile ihrer Souveränität ab, nicht nur die über die eigenen Kassen. Weniger national geht kaum.

Das betrifft auch die Kraft des Sports. Und Südafrika samt Vuvuzuela. Selbst wenn sie die FIFA als Werbung nutzt, die Worte sind die von Nelson Mandela: „Auf Robben Island konnten wir die WM höchstens im Radio verfolgen. Der Fussball war die einzige Abwechslung und Freude, die die Gefangenen hatten.“ Und: „Sport hat die Macht, Menschen zu inspirieren und zusammenzuführen.“ Vorausgesetzt, man ist wie Tata nicht nur ein Kämpfer, sondern immer auch ein Mensch mit einem Lächeln.

Nein, ahnungslos bin ich dank Aufklärung durch mein Blatt nicht mehr. Und die Nostalgie nach etwas Verschmitztem bei Themen wie Fußball, der Milliarden Menschen bewegt, glasklar ein Zeichen des Alters. Aber eines ist sicher: Schnitt und Pflaster sind out, rasiert wird ab sofort trocken. Und aus der Dose kommt dann nur noch Atomstrom. e²m

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

ed2murrow

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ed2murrow

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