Die Parlamentswahlen in Zahlen

Italien „MoVimento 5 Stelle" stärkste Einzelpartei - Mehrheit für Mitte-Links in der Abgeordnetenkammer - ungewisse Konstellationen im Senat. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse

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Wahlurnen werden am Montag in Rom zur Auszählung geöffnet. Wie eine Regierungsbildung aussehen kann, ist bislang unklar
Wahlurnen werden am Montag in Rom zur Auszählung geöffnet. Wie eine Regierungsbildung aussehen kann, ist bislang unklar

Foto: Filippo Monteforte/ AFP/ Getty Images

Bereits unmittelbar nach Schließung der Wahllokale am Sonntag um 15.00 Uhr gab es eine Nachwahlumfrage. Und die exit-polls zeigten eine ziemlich deutliche Marschrichtung: Komfortable Mehrheit für die linke Wahlplattform unter Federführung des Partito Democratico (Demokratische Partei, PD) mit ihrem Kandidaten Pier Luigi Bersani. Der Rest würde nur noch eine Randnotiz sein. Die ersten online-Zeitungen, auch in Deutschland, begannen sich auf das Szenario einzurichten.

Es ist alles anders gekommen. Denn der überwältigende Sieger der Parlamentswahlen ist nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis die erst 2009 als Partei eingeschriebene „MoVimento 5 Stelle“ (M5S) des Entertainers und Schauspielers Beppe Grillo. Die 5-Sterne-Bewegung hat für die Abgeordnetenkammer 8.688.545 Stimmen erhalten, erst danach positionieren sich die Sozialdemokraten des PD mit 8.642.700 und der Popolo della Libertà (Volk der Freiheit, PdL) mit 7.332.121 Stimmen. Beinahe gleiches Ergebnis für den Senat, wo der Partito Democratico 8,4 Millionen Stimmen gegen 7,28 des M5S und 6,8 des PdL erhalten hat.

Beppe Grillo wird dennoch in absehbarer Zeit nicht mit einer Regierungsbildung beauftragt werden, dafür sorgt die Arithmetik des seit 2005 geltenden Wahlgesetzes. Bevorzugt werden dabei die Parteien, die sich bereits in den Wahllisten zu Koalitionen zusammengefunden haben. Die derart privilegierten Plattformen gleichen nicht nur die individuellen Schwächen der Koalitionäre aus, sondern garantieren derjenigen mit einer relativen Stimmenmehrheit eine stabile Mehrheit in der Abgeordnetenkammer, mindestens 340 von 630 Sitzen.

Hier ist die Demokratische Partei abgestürzt. Ihr Ergebnis sind rund 4 Millionen Stimmen weniger als in der voraufgegangenen Parlamentswahl 2008, das sind 25,4% zu 33,18%. In der Hinsicht wird sie nur von PdL und Lega Nord (Liga Nord für Padanien) unterboten, die auf jeweils 21,6 (2008: 37,38%) und 4,1 (8,3) verloren haben. Zwischen den beiden verlierenden Plattformen aber hat sich im Ergebnis nur ein hauchdünner Vorsprung von rund 120.000 Stimmen ergeben (29,5 zu 29,1%), der auch die 5-Sterne-Bewegung (25,5%) aussticht.

Was eine stabile Mehrheit suggeriert, ist dagegen im Senat, der zweiten parlamentarischen Kammer, völlig offen. Denn dort wird der „Preis für die Gewinner“ jeweils auf die Sieger bei den regionalen Stimmenanteilen verteilt. Mit dem Ergebnis, dass die populistische Plattform des Silvio Berlusconi zwar insgesamt weniger Stimmen (9.405.786, 30,7%; 2008: ~ 47,2%) hat als die sozialdemokratische (9.686.398, 31,6%; 2008: ~ 38%). Nachdem sie aber in 7 der größten Regionen (u.a. Lombardei, Piemont, Venetien, Kampanien) gewonnen hat, will es die Arithmetik des Wahlgesetzes, dass sie im Senat über 116 Sitze verfügen wird gegenüber 113 der sozialdemokratischen Koalition und 54 des MoVimento. Zwar sind zu den Sitzen der Sozialdemokraten noch 6 für die Regionen Südtirol und 1 für Valle d’Aosta hinzuzurechnen, da in diesen autonomen Regionen die jeweils stärksten Parteien als Koalitionäre des PD aufgetreten sind. Die erforderliche Mehrheit von 158 Sitzen ist damit aber nicht erreicht.

Selbst das von Mario Monti eingefahrene Ergebnis, dessen Verhandlungen mit Pier Luigi Bersani vor der Wahl gewisse Übereinstimmungen erkennen ließen, reicht nicht aus. Seine bürgerliche Wahlplattform hat insgesamt nur 18 Sitze (8,1%) errungen, so dass rechnerisch selbst bei engster Zusammenarbeit noch 20 Sitze fehlen.

Ein Reservoir punktueller Zusammenarbeit für die Sozialdemokraten, die Italia die Valori (Italien der Werte, IdV) ist dagegen völlig ausgefallen. Nachdem sich deren bisher bekanntestes Gesicht, der ehemalige Staatsanwalt Antonio di Pietro zurückgezogen und das Feld seinem Kollegen Antonio Ingroia überlassen hat (Rivoluzione Civile, Zivile Revolution), ist diese Kraft verschwunden. Ingroia hat in beiden Kammern das Quorum nicht erreicht.

In einem System des beinahe perfekten Bikameralismus hat der Italienische Senat bei praktisch allen Gesetzesvorhaben volles Mitwirkungs- und Stimmrecht, so dass die Regierungsbildung in jedem Fall auch die dortigen Mehrheitsverhältnisse zu berücksichtigen hat.

Beppe Grillo hat bereits vor der Wahl jede Form der Zusammenarbeit mit den beiden Lagern von Pier Luigi Bersani und Silvio Berlusconi kategorisch ausgeschlossen. In der Nacht auf heute hat er diese Position noch einmal bekräftigt.

Die italienischen Medien titeln demgemäß von „Italia ingovernabile“ (Italien unregierbar, La Repubblica und Il Fatto Quotidiano), „Senato, non c’è maggioranza“ (Senat: keine Mehrheit, Corriere della Sera), „Caos al Senato“ (Chaos im Senat, Avanti). e2m

[Quelle der Zahlen per 26.02.2013, 09:00 Uhr:
Innenministerium der Italienischen Republik
Auswertungen der Tageszeitung La Repubblica für Abgeordnetenkammer und Senat]

update 27.02.2013, 13:00 Uhr - Der Tagesspiegel berichtet, dass sich die Stimmenzahl für den Partito Democratico erhöht hat, nachdem die Auslandsstimmen ausgewertet worden sind. Das entspricht auf der Grundlage der Mitteilungen des Italienischen Innenministeriums den Tatsachen. Damit ist der Partito Democratico um rund 150.000 Stimmen auch die stärkste Einzelpartei in der Abgeordnetenkammer. Am Kräfteverhältnis ändert sich dadurch nichts. e2m

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Geschrieben von

ed2murrow

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ed2murrow

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