Die Spalter, eine Spezies neu entdeckt

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Aus den diversen Blogs und Threadfolgen, die auf Freitag.de zu dem Thema Minarettverbot entstanden sind, ergibt sich aus Sicht des schnellen Beobachters ein reichlich buntes Bild. Anna preist die weltbeste Schule, wo Familienbiographien nicht kulturell aufeinanderprallen, sondern harmonieren; Klara formuliert in einer Gedankenwolke Abwehrhaltungen, die sie in der Form, so will es scheinen, zum ersten Mal zu Papier gebracht hat; Magda schöpft aus ihrer ureigensten positiven Erfahrung beim Gang durch eine Moschee; Michael Angele setzt sich unfreiwillig und doch nicht ganz den Damen mit seinem „Die Frauen natürlich“ entgegen; Rahab(*), die ich mangels eigenen Beitrags nicht verlinken kann, fragt dabei allerorten ganz genau nach; sie ist um Klärung bemüht.

Quod capita, tot sensus wäre der erste Analyseschritt, in der Vielfalt spiegele sich eine Harmonie der Pluralität. Und doch ist diese an sich selbstverständliche Folgerung schon fehlerbehaftet, denn vor allem die jeweils daraus resultierenden Diskussionen, und das fällt erst beim genaueren Hinschauen auf, drehen sich um ein Thema: Angst. Wie kann aber dieser Urinstinkt, dem nachgesagt wird, er erzeuge Gewalt, harmonisch wirken?

Wovor Angst bleibt im Nebulösen, im nur Angedeuteten. Angele schreibt von einer „Kultur, die als autoritär, machohaft und aggressiv“ empfunden werde. Es lohnt sich, bei dem Wort „Kultur“ kurz zu verharren. Stellt man es dem Begriff der „Natur“ entgegen, dann ist dominantes Verhalten, denn nichts anderes beschreiben die Adjektive, die Angele verwendet, etwas von einer „Kultivierung“ weit entferntes, vielmehr primäres, wenn nicht gar primordiales: Das eines (Rudel-)Führers, der sich täglich in der (Beute-)Versorgung behauptet. Nekulturnij sagt der Russe dazu, in linguistischer Feinheit geschult, sehr selbstbewusst und drückt viel mehr aus, als was zu Deutsch „Unkultiviertheit“ vermag, eine ganz innige Verachtung. Die Adelung von Verhaltensweisen (sic!), die nekulturnij sind, als „Kultur“ ist daher nicht nur das buchstäbliche Oxymoron in gleich mehrfacher Hinsicht, sondern vor allem die Bedienung der Klischees eines fahrlässig oder absichtlich falsch verstandenen „Clash of Civilisations“. Hier wird erst gar nicht mehr gefragt, „Wer bist du“, sondern gleich „Was tust du“. Auf dieser Ebene abgehandelt, wird jeder Muslim mit breiter Brust und einem sarkastischen Lächeln antworten: Das gleiche wie du, wenn du deine Frau schlägst, Christ.

Wären aber zumindest die Verhaltensweisen, die uns fremde Menschen charakterisieren sollen, geeignet, Angst zu rechtfertigen? Selbstverständlich, aber um den Preis, die gleichen Projizierungen auch auf eigenes Handeln anzuwenden. Die aggressive Haltung des Militanten, ob religiös motiviert oder parteipolitisch, ob dogmatisch begründet oder als Ausdruck reiner Machtgewinnung, durchzieht Europa, seine Nationen, Menschen, Geschlechter seit jeher und bis heute. In den letzten Jahren zwar überwiegend unbewaffnet, aber jederzeit bereit, sich gewaltsam Bahn zu brechen. Dem Balkan-Konflikt liegt eine gelehrte Äußerung der damals jugoslawischen, heute serbischen Akademie der Wissenschaft und Künste zugrunde, das sog. „Manifest“. Es reklamierte die nationalistische Sichtweise Serbiens als Leitbild für die Zukunft nach Tito für sich. Aus Worten wurden Waffen, die gegen Andersdenkende, zuletzt sogar gegen „Andersgläubige“ eingesetzt wurden. Hier war der erste moderne Krieg auf europäischem Boden geboren, der so verbrämt als „religiös“ bezeichnet wird. Das Memento, das aus dieser ganz jungen Vergangenheit zu uns spricht und fortwirkt, wird mit einer Leichtigkeit übergangen, die dem Anspruch, anderen Kulturen zu „begegnen“, in der ganzen Doppeldeutigkeit des Verbs, Hohn spricht.

Uns prägen nicht die Fakten, sondern deren Wahrnehmung, sagte Marion Dönhoff. Diese Feststellung eigne ich mir ganz bewusst an. Es ist nämlich eine Tatsache, dass es Unterschiede im Tagtäglichen, in Kleidung, sittlichen Verhaltensweisen, religiösen Obliegenheiten zwischen „Hiesigen“ und „Sonstigen“ gibt. Aber es ist (nur) eine Wahrnehmung, dass sie etwas Fremdartiges oder gar Bedrohliches ausstrahlen. Die Enumeration der damit gleichgestellten Fallbeispiele steigert ihrerseits die Wahrnehmung und entfernt sie doch immer mehr von ihrem Boden. Sie zwingt im Diskurs wiederum zu Gegenaufzählungen, auf das Herauskehren der jeweils dortigen Gräuel und diesseitigen Errungenschaften. Avicenna würde sich im Grabe umdrehen, wüsste er, wofür das Beispiel seiner Gelehrtheit und Lebensweise heute herhalten muss, Leonardo da Vinci auch. Der gemeinsame Nenner, dass zu jeder Zeit in jedem Raum jeder Mensch imstande ist, Außerordentliches zu leisten, wird um die Zähler der Befindlichkeiten gegen Null dividiert. Es öffnet Schleusen zu in Papier gegossenen, steilen Parolen wie „Tödliche Toleranz, Die Muslime und unsere offene Gesellschaft“, die ihre ignoranten, dafür umso gefährlicheren Emulanten finden. Mag man sich wundern, dass die Reaktionen darauf mindestens genauso heftig ausfallen? Dass damit das Ideal einer freundlichen, denn nichts anderes bedeutet tolerant in seiner Quintessenz, Gesellschaft gleicht mit erledigt wird, beschäftigt erkennbar nur wenige Spezialisten. Es war einmal ein Projekt, ist man versucht zu sagen, eine Spirale ist es nun.

Woher die Wahrnehmungen, vor allem die ganz Speziellen herrühren, kann ich meinerseits nur vermuten. Realsatirisch betrachtet könnte man behaupten, so manche Meinungsäußerung zum Debakel in der Schweiz sei eine späte und stille Rache für unausgesprochene Verpflichtungen im Zeichen der Gleichberechtigung, die ihrerseits Grundtenor von Toleranz sei. „Frauen stimmten gegen Minarette“ wäre dann durchaus als Revanchefoul zu betrachten gegenüber denen, „die sich als Feministinnen und als links verstehen“. Der Autor dieses Artikels der taz vom 2. Dezember ist gehalten, Personen, die er darin zitiert hat, ein Mann und eine Frau, als „PolitologInnen“ zu bezeichnen, was für den in anderen Zeiten ausgebildeten Journalisten eine ziemliche Zumutung sein mag.

Die näher liegende Deutung dürfte sich in der Antwort auf die Frage erschließen, was eigentlich bedroht ist. Unsere Kultur, die Gesellschaftsform, unsere physische Existenz? In Europa eher etwas ganz Triviales: Unsere Bequemlichkeit. Fremd lässt sich mit Neu übersetzen, mit etwas Ungewohntem und das verträgt sich ganz schlecht mit dem Wunschtraum eines geordneten Lebens von der Krippe bis zur Bahre. Im Rest der Welt, wo eher Hunger als Sattheit die Regel ist, das Prekäre nicht den Arbeitsvertrag meint sondern eine Existenz, Abenteuer nicht Spielplatz ist sondern der tägliche Schulweg, wo also Unordnung(en) die Wirklichkeit präg(t)(en), begreift man das Neue grundsätzlich als eine Chance, dem eigenen Zustand entfliehen zu können. Im Speckgürtel des Wohlstandes ist es hingegen satte Gewissheit, dass Neues nur stören kann, egal ob es im Gewand der (Gen-) Technik daher kommt oder in den Lumpen von Migranten. Oder gar als Migrantenlumpen. Selbst das Ergebnis der einzigen wirklich friedlichen Revolution auf dem Boden, der als Deutschland bezeichnet wird, wird in Teilen nicht als zivilisatorische Errungenschaft erachtet. Man klassifiziert es missmutig resignativ als tristen Privatversicherungsverein oder klagt gegen solidarische Transferleistungen, und wünscht sich das Zwangskollektiv auf Einseitigkeit zurück, denn es war, so der Tenor, immerhin heimelig. Dass angesichts solcher Beharrungskräfte, man nenne sie guten Gewissens Trägheit, ein Gespräch über Offenheit, gar gegenüber der Welt, sehr schwierig ist, versteht sich von selbst; es in die Tat umzusetzen ein Ding der Unmöglichkeit. Das überlässt man praktischer Weise dem spezialisierten Entertainment namens Fußball und singt dazu die Internationale als nationale Hymne.

Der Auswanderer ist dem nicht nur gewachsen, er schlägt den Inländer am Zielort mit dessen eigenen Waffen. Er hatte sich einst aufgemacht, mit wenig mehr im Gepäck als viel Hoffnung, gestählt durch die Übergriffe der (in-)offiziellen Schleuser, selbstbewusst, nicht mehr viel zu verlieren zu haben, und trifft auf die Ablehnungen, die ihn sein ganzes Leben lang begleitet haben. Die ihn motiviert haben, sein früheres Leben hinter sich zu lassen. Fragt man ihn nach dem Morgen, wird er immer häufiger antworten: Inschallah. Diese Einsicht in das Fatale hat nur er, wir haben sie schon lange verlernt.

(*) widme ich den Exkurs, weil ich sie an anderer Stelle um ihre Worte brachte. Ich kenne sie nicht und fühlte mich dennoch verpflichtet, meine Motive zu benennen. Dieser Eintrag ist dabei entstanden.

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Geschrieben von

ed2murrow

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ed2murrow

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