Eine reine Weste

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Korruption, suggeriert uns die Zeitungslektüre mit ihren Fallbeispielen, sei das Zahlen von Schmiergeld. Dass darunter auch allgemeine politische Landschaftspflege fallen könnte oder alleine die Gewährung eines Prestigepostens nach Beendigung einer Politikerkarriere, hat die Ebene des Unrechtsbewusstseins in Deutschland nur unvollkommen erreicht.

Diese Botschaft vermittelt der Verein Transparency International (TI) mit Sitz in Berlin bei der Vorstellung seines „Korruptionswahrnehmungsindex’ 2010” am vergangenen Dienstag. In ihm wird Deutschland auf Platz 15 von insgesamt 178 Ländern gelistet, das ist ein Platz schlechter als 2009. Zwar habe sich „im Vergleich zum Vorjahr die wahrgenommene Korruption in Deutschland nicht verändert“, positive Entwicklungen seien „unverkennbar“. Aber: „Für die im europäischen Maßstab eher mittelmäßige Position Deutschlands ist unter anderem die Tatsache verantwortlich, dass Deutschland die UN-Konvention gegen Korruption (UNCAC) bis heute nicht ratifiziert hat.“ Bedeutet dies nun, Deutschland habe so lange mit dunklen Flecken auf einer ansonsten recht sauberen Weste zu leben, bis sich das Parlament bequemt, die UN-Konvention gegen Korruption zu ratifizieren, die die Regierung bereits 2003 unterzeichnet hat?

Abgeordnete können keine Vorteile annehmen, oder doch?

Ein Hintergrund dieses Junktims, so stellt es TI in einem „Positionspapier zur Abgeordnetenbestechung“ vom März 2008 dar, sei die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH). In einem Grundsatzurteil vom 9. Mai 2006 (Az.: 5 StR 453/ 05) wurde ein Vorgang entschieden, der an vielen Stammtischen Gesprächsstoff ist – ob nicht Gemeinderat Z wegen des einen Filetgrundstücks in der Gemeinde unter einer Decke mit Bauunternehmer XY steckt.

Konkret hatte Z von XY viel Geld erhalten, und es ging unter anderem auch um ein Filetgrundstück. Aber der Gemeinderat hatte sich nur in Redebeiträgen für entsprechende Bauleitplanungen stark gemacht, sich bei Ratskollegen für XY eingesetzt. Ein bestimmtes Abstimmungsverhalten bei Sitzungen von Bauausschuss oder im Plenum war dagegen nicht vereinbart. Hatte darin die Vorinstanz, das Landgericht Wuppertal noch Bestechlichkeit und Vorteilsannahme gesehen, sprach der BGH Z insoweit frei. Denn einerseits sei ein kommunaler Mandatsträger kein Amtsträger im Sinne des Gesetzes, sondern Abgeordneter. Dessen Verhalten wiederum sei aber nur strafbar, wenn ein bestimmtes Abstimmungsverhalten Gegenstand der korrumpierenden Vereinbarung sei.

Das „Anfüttern für allgemeine Gewogenheit“, wie es die Kommentare bald nannten, ist seitdem für Abgeordnete weitest gehend straflos gestellt. Dass dies ein sachlicher Hinderungsgrund ist, die UN-Konvention zu ratifizieren, wird so nachvollziehbar. Denn wo im englischen Text einheitlich von „public officials“ und deren „Integrität, Ehrlichkeit und Verantwortungsbewusstsein“ geschrieben ist, unterschiedet das deutsche Recht zwischen Mandatsträgern und öffentlich-rechtlichen Amtsinhabern und behandelt sie unterschiedlich. Die Lücke existiert, und es gibt keine Anzeichen, dass sich jemand hierzulande des Problems annehmen will.

Maß für Maß

Gleichwohl stellt sich die Frage, was dies mit einer Wahrnehmung von, mehr noch: mit dem Stand effektiver Korruption zu tun haben soll, der in einem Ranking der vorliegenden Art zum Ausdruck kommt. Denn einerseits wird, was Deutschland betrifft, zwischen der bestehenden Regelungslücke im (Straf-)Gesetz und bekannt gewordenen (und juristisch aufgearbeiteten) Fällen kein Zusammenhang hergestellt. Die Fälle werden, etwa im veröffentlichten Begleitmaterial, nicht einmal benannt. Andererseits erhält Bedeutung, welche Kriterien generell und im internationalen Vergleich angelegt werden, um eine Skalierung erst zu ermöglichen. Ist z.B. die systemische Anlage, die in Deutschland angetroffen wurde, vergleichbar mit jener für Somalia, letzter Platz in der Liste?

Mit derartigen Ranglisten und ihrer Präsentation geht die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hart ins Gericht. In ihrer Studie „Measuring Governance“ (Policy Brief No. 39, 2010) beurteilen die Autoren Charles P. Oman und Christiane Arndt Botschaften wie die von Transparency International: „Die am meisten genutzten, und missbrauchten, Indikatoren für Systeme sind zusammengesetzte, wahrnehmungsgestützte Indikatoren.“ Mit anderen Worten – willkürliche Wahrnehmungen in der Verkleidung der Wissenschaftlichkeit sind lediglich Vehikel politischer Aussendungen. Was die vermeintlichen Indikatoren von Transparenz in Wirklichkeit in ihr Gegenteil verkehre, sei „das Fehlen jeglichen Gefüges in Konzept oder Analyse oder in der Theorie der Governance, um das eigene Wertungssystem zu formieren oder anzuleiten. Länderranglisten reflektieren daher keine Theorie von „guter“ oder „schlechter“ Governance. Sie geben nur das Verfahren wieder, das benutzt wurde, um Wahrnehmungen zusammen zu stellen und ihnen relative Gewichtungen zukommen zu lassen, um in die Indikatoren einzufließen.“ Form mangelhaft, Inhalt ungenügend.

OECD an die Italiener: Nehmt das nicht ernst

Die OECD meint das allerdings nicht nur abstrakt generell. Denn einen Tag vor Veröffentlichung des Rankings durch Transparency International sandte eine nicht näher benannte Abteilung der zwischenstaatlichen Organisation eine Mail mit der Studie als Anlage an mehrere italienische Stellen. Die römische Tageszeitung La Repubblica zitiert aus dem Mailtext: „Ohne im Einzelnen die Diskussion über die Relevanz des einen oder anderen internationalen Indikators zur Governance vertiefen zu wollen, warnen die Autoren der OECD-Studie potentielle Nutzer des Reports und empfehlen wärmstens, sehr genau auf die realen Inhalte und die Genauigkeit aller Klassifizierungssysteme hinsichtlich Governance zu schauen, um vorsichtiger mit deren Verwendung umzugehen.“ Das Italien der Regierung wird es gerne vernommen haben, nachdem das Land abgestraft worden ist und sich nunmehr auf Rang 67 befindet, zwölf Stellen schlechter als 2008, einen Platz hinter Rwanda.

Die „andere“ Politik von Transparency International

Die Warnung kann ohne weiteres für Deutschland übernommen werden. Nicht nur die Frage, welches Gewicht der Rechtslage hierzulande für den Grad der Korruption beigemessen wird, spielt eine Rolle. Und auch nicht so sehr die Einseitigkeit des Personals bei TI ist hier die Crux. Denn deren Gewährsleute wie die Afrikanische oder die Asiatische Entwicklungsbank, die Bertelsmann Stiftung und die Weltbank dürften im Land der Deutschen und der Landesbanken in etwa die gleiche Optik haben.

Es ist vielmehr das Zusammenspiel zwischen dem, was der Verein hinsichtlich deutscher politischer Entscheider in den Parlamenten und der Parteienfinanzierung („Vorschläge für die Reform der Parteienfinazierung“, 2007) erreichen will. Das ist einerseits die rigorose Ausdehnung desBegriffs der Vorteilgewährung auf jede Art von „sozialadäquater“ Zuwendung, womit eine Wertungskomponente hinsichtlich der Zweck-Mittel-Relation eingeführt würde. Dem Generalverdacht, jede Zuwendung an einen Abgeordneten sei mit dem Geruch der Korruption behaftet, würde damit Tür und Tor geöffnet, damit auch seiner potentiellen Erpressbarkeit. Andererseits die Limitierung von Einzelspenden auf maximal 50.000 Euro je Person/Unternehmen und ausschließlich an Parteien, was in der Tat die gesamte Parteienfinanzierung auf der Habenseite in einen Tropfhahn verwandeln würde. In der Gesamtschau ergäbe das Politiker, die auf sich gestellt und kraft eigenen Vermögens unsensibel gegenüber jeder Art von Vorteilen wären. Das ist nicht nur mit Blick auf immer bestehende Begehrlichkeiten, die sich aus Macht und nicht nur des Geldes wegen ergeben, diskutabel. Es entwirft vielmehr ein Zensuswahlrecht auf der Wählbarkeitsseite – der wird Abgeordneter, der es sich leisten kann. „Wir sind keine heimliche Regierung“ aus dem Mund von Gunter Thielen, Vorstand der Bertelsmann Stiftung („Du bist Deutschland“) und früherer Chef der gleichnamigen AG, jüngst zu lesen, kann so besehen auch nur eine Wahrnehmung sein. Oder eine verdeckte Drohung, ganz nach Gusto.

Lesart

Immerhin eines könnteder Skala von TI entnommen werden. Jene Länder, die ein offensichtliches Demokratiedefizit aus der Perspektive dessen aufweisen, was in Westeuropa als solches verstanden wird, rutschen nach unten. Aus dieser Warte scheint der Bericht sogar recht zu behalten: Madagaskar, durch Putsch im französischen Neokolonialismus wieder fest integriert, hat eine Regierung, die von niemandem anerkannt ist, am wenigsten vom eigenen Volk. Afghanistan hat eine, die von vielen anerkannt ist, aber von keinem ernst genommen wird. Somalia hat de facto keine. Und was ist mit dem von einem Unternehmer regierten Italien?

Es bleibt letztlich offen: Was ist Korruption, eigentlich? Weder die UN-Konvention, noch Transparency International, auch nicht das deutsche Strafrecht geben eine auch nur näherungsweise Definition. Irgendetwas zwischen einer Hand, die die andere wäscht und der, die etwas hineinlegt. Auch bei den Warnern?

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Geschrieben von

ed2murrow

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ed2murrow

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