Fanatiker Ihres Vertrauens

Journal Notizen im Jahr 26 der Vierten Deutschen Republik. Hier: Die Zurichtung des „Islam“

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Ist der Spuk bereits wieder vorbei? Tage zuvor wurde davon berichtet, dass der Aufmarsch „Hooligans gegen Salafisten“ nach Hamburg auch in Berlin nicht stattfinden würde. Gewiss, die Lage hat sich vielleicht entspannt, nachdem nun in Hannover von den Behörden Sicherheit und Ordnung exemplarisch exerziert worden sind. Aber ein Gefühl der Dringlichkeit bleibt: Egal ob am „Schicksalstag“ „der Deutschen“ oder andernorts und zu anderer Zeit – wer zielt da in der 4. Republik auf wen?

Wenn es um „Salafisten“ geht, scheint die Antwort einfach: Sie wenden sich gegen alles, wofür die nord-westliche Hemisphäre der Welt steht – Fortschritt, Wohlstand, Demokratie. Die Bilder, die übertragenen wie die kolportierten, wollen den Eindruck belegen, dass sie sich als grausame Feinde dieser Werte verstehen. Das Wort vom „Völkermord“ hat dazu jüngst und gerade in der deutschen Politik besonders häufig die Runde gemacht. So etwas könne man nur bekriegen, so die übereinstimmende Meinung. Kobanê wäre in dieser Optik zur Schlacht um das neue Wien geworden, wo Orient und Okzident schon des Öfteren ihre Kräfte maßen. Wären die von den HO.GE.SA nicht doch die missverstandenen Verteidiger des Abendlandes, die neuen brutalen wie unverzichtbaren Landsknechte an der Heimatfront?

Die in weiten Teilen unmissverständliche deutsche Ablehnungdes Islam“ und nicht nur einer sich als dessen radikale Strömung ausgebende Gruppe von Banditen ist freilich umfassender. Dafür stehen auch Dahergelaufene wie PEGIDA aus Dresden: Die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ bieten einen „Schirm, unter dem alle bequem Platz haben“, wie Blogger Diaphanoskopie treffend ausführt. Das alles ist weder neu, noch in der Methode originell. Und sie ist keine Spezialität des rechten Randes.

„Aus der Mühle kommt keiner mehr raus“

Der prominente Auftakt gebührt zweifellos Thilo Sarrazin. Während seiner Tätigkeit als hoher Staatsbediensteter Deutschlands führte er Verhaltensweisen von muslimischen Religionszugehörigen biologistisch zurück auf die angeblichen Eigenschaften ihres Erbguts. Nichts hat geholfen, dass unter anderen der Verband Biologie, Biowissenschaften & Biomedizin in Deutschland sämtlichen Erwägungen des ehemaligen Bundesbankers die pseudowissenschaftliche Grundlage entzog. Obwohl Sarrazin nachweislich „grundlegende genetische Zusammenhänge falsch verstanden“ hat und damit in die Nähe der „Verfälschung und politischen Instrumentalisierung biologischer Fakten“ gerückt ist, hat sich das Machwerk „Deutschland schafft sich ab“ als angebliches „Sachbuch“ wie verrückt verkauft.

Zur gleichen Zeit veröffentlichte der mittlerweile verstorbene Karl Döhring in der FAZ den vielbeachteten wie wohlfeilen Gastbeitrag „Niemand kann zwei Herren dienen“. In ihm forderte der Rechtslehrer und frühere Direktor des konservativen Think-Tanks Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht schlicht: Keine Muslime im Staats- und Schuldienst, Islam und das Grundgesetz würden sich nicht vertragen. Besprochen bei freitag.de (-> „Döhring Empöring“) -> kondensierte Blogger Josef Allensteyn das Zusammenwirken von Bundesbanker und Hochschullehrer im Befund einer „Zange“: „Einerseits naturalistisch unabweisbare Verdummung, andererseits aber doch soviel Verschlagenheit und Tücke, die Welt hinter’s Licht zu führen — aus so einer Mühle kommt der, der da traktiert wird, auf gar keinen Fall mehr heraus.“

Dazu spielte die Hintergrundmusik in der Schmutzecke deutschen Veröffentlichungswesens, unter anderem beim Kopp-Verlag. Aus der Feder von Udo Ulfkotte stammte 2008 der Begriff vom „Fäkalien-Dschihad“. Zu der Zeit noch als rhetorische Frage verkleidet, hatten Verlag und sein Autor keine Skrupel, daraus 2011 auf dem Höhepunkt der EHEC-Hysterie schließlich eine Gewissheit zu machen: Die Verseuchung von Lebensmitteln mit absichtlich darauf verschmierten Ausscheidungen sei eine von langer Hand geplante Strategie des „Bioterrorismus“ des Islam. Und der Verlag mit seinem Autor als Einzige berufen, die Öffentlichkeit über „die mutierte Wahrheit“ in Kenntnis zu setzen. Weil: „In Deutschland ignoriert man das.“

Einen vorläufigen, publikumswirksamen Höhepunkt setzte schließlich 2012 der damalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) mit der geplanten Plakataktion „vermisst“. Die per Computertechnik gemittelte Physiognomie der Abgebildeten hätte die Morphologiedes Muslim“ geliefert, der sich jederzeit radikalisieren könne und wolle. „Die Bilder von nett aussehenden Muslimen im Zusammenhang mit dieser Kampagne suggerieren, dass jeder ein Fanatiker oder sogar Terrorist sein kann“, so Aydan Özoğuz (SPD). Die heutige Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration war eine der wenigen offiziellen Stimmen der deutschen Mehrheitsgesellschaft, die die schwer diskriminierende Wirkung der geplanten Aktion ohne Umschweife benannte und entschieden verurteilte.

Wer in dieser Zusammenschau, auf wenige Jahre begrenzt, eine Ursache für Radikalisierung sehen will, dürfte nicht falsch liegen. Wenn heute junge Menschen -derart unter Generalverdacht gestellt und bedeutet, nicht zu dieser Gesellschaft zu gehören, sondern im Gegenteil für sie eine stets präsente Gefahr darzustellen- sich in Träumen zu schlagender Schlachten verlieren, so ist eher verwunderlich: Dass nicht noch mehr speziell aus Europa Stammende die Reihen eines vorgeblichen „Kalifats“ verstärken, das neben festem Glauben und Glorie vor allem eines vorgaukelt – die entfernte Möglichkeit einer machtvollen Revanche gegen eine permanente Zuweisung eines Zustands schierer Ohnmacht.

Die andere Seite freilich, die Radikalisierung nicht nur an den Rändern, sondern der deutschen Mehrheitsgesellschaft, ist getragen von einer geradezu zwanghaften, akademisch-distanziert anmutenden Unentschiedenheit in der öffentlichen Debatte. Noch deutlicher als bei jenem vormaligen Bundesbänker wird es im exemplarischen Umgang mit Fäkalien-Udo, der kraft seines Eingeständnisses eigener Käuflichkeit ohnehin als Zeilen-Kokotte durchzugehen hätte.

Einem Verschwörungsideologen wird aufgeholfen

Wo Stefan Niggemeier der Verdienst zukommt, in seinem Artikel „Die Wahrheit über die Lügen der Journalisten“ wenigstens beispielhaft und keinesfalls abschließend die glatten wie dreisten Lügen jenes U.U. in dessen jüngstem Machwerk aufzulisten, ist Albrecht Müller bereits im Ansatz gescheitert. Der Herausgeber der NachDenkSeiten hatte sich, bis zu seiner Korrektur am 11.10., gerade einmal über eine „Enttäuschung“ verbreitet statt über die vorsätzliche Täuschung – die Botschaft, bedeutende Teile der Journalisten seien käuflich und damit korrupt, hatte Müller sich bis dahin prinzipiell zu Eigen gemacht. Dem wäre ebenso polemisch simpel entgegen zu halten: Journalismus ist käuflich und zwar als Abo oder jeden Tag einzeln in jeder beliebigen Auslage.

Dass aber im Gegenteil einem üblen Schmutzfink aufgeholfen wird, der über seine Elaborate nicht nur die für die Betroffenen fatale Verleumdung von „Brunnenvergiftern“, sondern die der angeblichen „Salber“ (italienisch: untori) verbreitet, erschließt sich aus „Die Verlobten“ (I promessi sposi). 70 Jahre bevor der Pesterreger identifiziert und wirksam bekämpft werden konnte, schildert Alessandro Manzoni in seinem Aufklärungsroman rückschauend auf die Pest im Mailand des 17. Jahrhunderts Genese und Wirkung einer Verschwörungstheorie im Angesicht unbekannter, tödlicher Krankheitsursachen: Durch Beschmieren von Türen, Wänden und Gestühl mit Unaussprechlichem – „[…] das Gift sei aus Kröten, Schlangen, Eiter und Geifer von Pestkranken, aus noch Schlimmerem, aus alledem bereitet, was eine verwilderte und verderbte Einbildungskraft nur Schmutziges und Abscheuliches ersinnen kann […] Ein ausgesuchtes, augenblicklich wirkendes, schnell durchdringendes Gift, das waren Worte, mehr als ausreichend, die Heftigkeit, all die düsteren und regellosen Zufälle der Krankheit zu erklären.“

Keine Frage: Wo die meisten Kinder in Italien „die Verlobten“ in der Schule lesen, ist für verschwörerische Schmieranten nur wenig Platz, sich fest zu krallen; das Gift ihrer Worte trifft keine wehrlosen Gemüter. Die in Verkaufscharts ausgewiesenen Lieblingslektüren der Deutschen hingegen haben daraus ein präsentes Narrativ der verwilderten und verderbten Einbildungskraft gemacht. Denn was hierzulande um sich gegriffen hat, ist eine Haltung, die sich nicht nur „den Islam“ zum Feind erkoren, sondern ein Grundmuster etabliert hat.

Dazu hat 2011der Publizist Alan Posener („Radfahrer, Juden und andere Sündenböcke“) eigentlich das Nötige gesagt: „Die soziale Grundlage – Neid und Missgunst, Angst um den Wohlstand, Misstrauen gegen die Globalisierung – ist also dafür gegeben, dass sich auch in Deutschland wie in anderen Ländern das Mem ‘Angst vor dem Fremden‘ wieder in neuer Gestalt breitmacht.“ In der treffenden Analyse wird Sarrazin mit dem Antisemiten Heinrich von Treitschke in eben dieser Eigenschaft gleichgesetzt. Posner bedient sich im Hintergrund der Motive des „bouc émissaire“ von René Girard (1982) ebenso wie desjenigen vom „Fortschritt der barbarischen Beziehungslosigkeit“ durch scheinbare Bildung bei Adorno und Horkheimer („Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug“, in „Dialektik der Aufklärung“, 1944). Die Subsumtionsarbeit im Artikel ist, bei aller gebotenen Kürze, vorbildlich.

Damit hat Posner es auf den Punkt gebracht, nämlich die beliebige Austauschbarkeit der Feindbilder. Aber was nutzt es, wenn ein gescheiter Journalist einmal und nicht nur akademisch die Mechanismen des „Othering“ offen legt, dabei die gelebte Wirklichkeit auch zu den Erkenntnissen zur „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ in Beziehung setzt, die das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) an der Universität Bielefeld seit 2002 veröffentlicht?

Es kann gar keinen Zweifel geben, dass jene höhere Etage publizierender deutscher Staatbediensteter eben diese feindbildenden Mechanismen und nicht ihre Konterkarierung salonfähig gemacht haben. Unterstützt haben sie dabei die ganze Phalanx an Innen- bis Sicherheitspolitiker, die angefangen bei der Migrantenfrage („Das Boot ist voll“) bis zum Salafismus „den Fremden“ und eben nicht dessen Integration zum Hauptgegenstand ihrer Politik gemacht haben. Fürs gemeine Volk sorgen dann Leute wie Ulfkotte.

Die zynischste Wendung der Verunsicherung ist bislang die der Sicherheitsbehörden von einer „angespannten Sicherheitslage ohne akute Bedrohung“. Was soll dann von einem Pastor und heutigen Bundespräsidenten gehalten werden, der im Jahr 2010 im Interview mit der Neuen Züricher Zeitungganz bewusst“ den Begriff der „Überfremdung“ benutzte und dies medienwirksam aufgenommen wurde als: „Gauck warnte davor, die Fremdheit des Islam zu leugnen.

Der Befund, der so weit zu stellen ist, lautet: Im Umgang mit „dem Islam“ wurde eine politische, moralische und kulturelle Hierarchie innerhalb der deutschen Gesellschaft hergestellt, die mal biologistisch, mal soziologisch oder kulturell begründet worden ist. Die sichtbarste Konsequenz sind radikale Jugendliche oder sonderbare kleinbürgerliche Vereine wie PEGIDA, die sich berufen fühlen, „das Abendland“ vor „der Islamisierung“ zu retten: Enkel und Großeltern reichen sich von Berlin bis Dresden die Hand im Namen ihrer Vorväter. e2m

[zuerst veröffentlicht in „die Ausrufer“]

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Geschrieben von

ed2murrow

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ed2murrow

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