Wer behauptet, der (Qualitäts-)Journalismus sei tot und auch die Blogger, dessen natürliche Feinde, hätten keine Zukunft, hat womöglich immer nur sein vor allem ältliches Spiegelbild am Monitor im Aufmerksamkeitsfocus. Oder ganz anderes im Sinn. Dabei kann man selbst im Nachgang die vielen freiwilligen Helfer (über 200 aus mehr als 30 Ländern) auf dem Festival del Giornalismo am vergangenen, verlängerten Wochenende in Perugia nicht übersehen: Jung, begeistert, aufgeweckt, „con tanta voglia di fare“, wie der Italiener sagt: Mit viel Lust, etwas zu tun, suggerieren alleine schon die Bilder.
Mehr kann dieser Blogger nicht anbieten, denn er war nicht „live“ dabei, sondern immer nur am Monitor, der allerdings entspiegelt ist und daher nicht an nachträglicher Recherche, an ein paar Zitaten hindert. Zu den Organisatoren etwa, über die relativ wenig im Netz steht. Sie gehören offensichtlich nicht zu denen, die sich selbst in einem wiki-Artikel in Positur gebracht haben. Bei der Jagd auf Daten zwar nervig, aber ein sehr sympathischer Zug. Nach ein wenig graben ist zu erfahren, dass die Neapolitanerin Arianna Ciccone nach ihrem Philosophiestudium dem vorgezeichneten Präkariat entfliehen wollte und deswegen im Juli 2000 die Kommunikationsagentur Il Filo di Arianna gründete. Dass der Brite Christopher Potter irgendwie an Reporter sans Frontières interessiert ist und Teilhaber bei Ciccone. Dass ihr gemeinsames Kind, das Festival, im Juli 2007 geboren, nach dieser 4. Auflage der Nachwuchs ist, den man sich als Medieninteressierter nur wünschen kann: Rund 30.000 Teilnehmer an 5 Tagen bei über 100 zentralen Veranstaltungen, von den zufälligen Begegnungen auf den Wegen in Perugia ganz zu schweigen. Live Vernetzt in die Columbia University und die London School of Economics, in Fernsehkanälen und Radios, hinein in Redaktionen per Web-tv, in zahlreiche Plattformen der Social-Media.
Die Größe der Namen, die teilgenommen haben, reflektiert nur wenig von dem, was das Erleben für das Publikum gewesen sein dürfte, das überall kostenlos Zugang hatte, zum Mitmachen und Themenvorschlägen animiert. Natürlich waren zwei der Magneten, Al Gore und Roberto Saviano (Autor von Gomorra“ und aus Sicherheitsgründen erst spät als Gast bekannt gemacht), zur besten Zeit am Samstagabend platziert, genauso prominent wie ihr Thema: Unabhängigkeit der Information. Was im Italien unserer Tage ganz besondere Brisanz besitzt, hatte doch Ministerpräsident Berlusconi erst vor wenigen Tagen Saviano vorgeworfen,er tue nichts anderes, als die Mafia bekannter zu machen. Da musste nun erst einer seiner „guten amerikanischen Freunde“ (O-Ton Berlusca) auf die Bühne treten, um dem unter Polizeischutz lebenden Schriftsteller und Journalisten moralisch beizuspringen: „… in Italien gibt es viele gute Journalisten. Und viele von ihnen mussten sich mit einem Businessmodell arrangieren, um Tatsachen bringen zu können […] Das Businessmodell der News mündet aber darin, deren Inhalte zu beeinflussen, und das ist eine Bedrohung der Demokratie“. An dem Ort zu der Zeit gesagt, konnte es nur als Ohrfeige gegenüber dem Mailänder Tycoon aufgefasst werden, der über seine privat gehaltene und als Ministerpräsident mit politischer Kontrolle der öffentlich-rechtlichen buchstäbliche Medienmacht besitzt. Wen wundert es, dass nicht nur das Auditorium im ehrwürdigen Teatro Morlacchi voll besetzt war, sondern auch der Vorplatz mit einem Maxi-Bildschirm.
Und natürlich waren nur die Medienvertreter präsent, die keine Berührungsängste mit Themen haben wie: „Politics is a circus much of the time. The media is a circus some of the time. Hence political journalism is more circusesque than serious. Sound syllogistic reasoning or neat nonsense?“ Wolfgang Achtner, der schon bei ganz anderen Gelegenheiten den italienischen Journalismus auseinander genommen hatte, hatte leichtes Spiel, als er zu den jungen Menschen sagte: „Geht ins Ausland“. Und meinte damit, um das Metier zu lernen und es nach Maßgabe ihres Könnens ausüben zu können. Fern von Freundchenwirtschaft, die der Anfang allen Scheckbuchjournalismus‘ ist. Schade, dass an dieser Stelle, und überhaupt, kein deutscher Medienvertreter anwesend war, der seinerseits etwas über „ökonomische Notwendigkeiten“ hätte einstreuen können.
Die Veranstaltung hat kein Thema der Aktualität ausgelassen: Wie Medien das Bild des Lokalen und seine Wahrnehmung prägen; wie Nachrichten nach einem Fall der Zeitungsimperien aussehen könnten; „Fixer: the taking of Ajmal Naqshbandi” (die Entstehung einer Geschichte aus Afghanistan); Zukunftsstrategien von Al Jazeera (New Media an Creative Commons repository), geführt von Moeed Ahmad, dem Chef von new media Al Jazeera und Laith Mustaq, einem prominenten Blogger aus Al Jazeera Talk; das Referat von Julian Assange (wikileaks) im Rahmen des Kreises media140 mit Workshops und Debatten; Paul Steiger, dessen ProPublica gerade einen Pulitzer gewonnen hat, mit einer Vorlesung über investigativen Journalismus und einer Debatte zu deren Zukunft.
Francesco Piccinini, Dozent an der Ecole Supérieure de la Gestionin Paris und Direktor der angesehenen mehrsprachigen Plattform AgoraVox, meinte in einem vorbereitenden Artikel: „Das Problem ist heute nicht der Mangel an Inhalten im Web, sondern das ungenügende Mehr an Wert. Die Artikel sind Reproduktionen der Papierversion, das Web-tv entspricht der Programmierung von Sendern. Es ist alles so, als ob ...Als wäre das Web bedrucktes Papier, als wäre das Web Fernsehen. [...] Die abertausend jungen Menschen, die in diesen Tagen in Perugia wohnen und aus 30 Ländern kommen, sind einen Gang schneller. Das muss man einfach zugeben. Man sollte Ihnen den Raum dazu geben. [...] Ich erinnere mich immer an die Worte meines Doktorvaters Imad Saleh in Paris: ‚Ich spreche nicht von Web 2.0, darum müsst ihr euch kümmern. Ich schreibe über das, was war, aber die Zukunft gehört nur euch‘“.
Mit ihren eigenen Worten, während und nach dem Ereignis, antworteten eben diese. Kiara Napoli: „Das Festival ist eine Gelegenheit für den, der den schweren Beruf des Journalisten angehen will, um von denen zu lernen, die Erfahrung haben und sich mit denen zu vergleichen, die auf Augenhöhe sind“. 鄭國威 aus Taiwan: „Back to Taiwan yesterday. Thank everyone for managing and participating in such a wonderful festival. (portnoy zheng from globalvoices)”. Mariapia Ebreo entdeckt, dass nicht alles in Medien von Journalisten bestimmt wird und nimmt die Schilderungen von Moeed Ahmad, dem Direktor Social Media von Al Jazeeramit: „Ich bin vor fünf Jahren zur IT-Abteilung von Al Jazeera gekommen. Als Techniker hielt ich es mit der Innovation, und als entschieden wurde, ein Team für die Social Media einzurichten, sind wir zu Dritt los. Mit mir ein Experte für Media Relation und ein Kerl von 23 Jahren, mobile focused“ Samt allen anderen Einträgen und Links alleine auf der Facebook-Seite. Es sind vor allem diese Stimmen, die einige italienische Redaktionen dazu veranlasst haben, ihre Sitzungen nunmehr via Web-tv zu übertragen. Auch Journalisten sind lernfähig und können manchmal charmant sein. Wie denn auch anders, wenn einem Kultur derart geballt entgegenkommt, von Theateraufführungen über Ausstellungen, Camps und Bühnen, einem wirklichen Markt der Möglichkeiten, der jeden Mensch, der halbwegs bei Trost ist, eigene Grenzen wenigstens kurzzeitig vergessen läßt?
Arianna Ciccones Worte machen Lust auf noch mehr: „Warum Perugia? Weil wir hier leben. Weil Perugia eine wunderbare mittelalterliche Stadt ist. Sie ist die Kapitale Umbriens, eine der faszinierendsten Regionen Italiens auch wegen ihres Gemeinschaftssinns. Eine einzigartige Zusammenführung, die nach vorne schaut, ohne auf die Tradition zu verzichten: Exzellente Speisen, atemberaubende Ausblicke, Kultur, Kunst .. und Journalismus aus aller Welt im grünen Herzen Italiens“. Der Guardian, mit zwei Redakteuren vor Ort, hat das auch schon entdeckt.
(editiert 30.04., 09:30, durch Änderung von Formatierungen; Inhalt unverändert)
Kommentare 15
Sich selbst empfehlen muss ja nicht (immer) Eigenlob sein :))
Lieber Hardob,
was wollen wir denn mit Blick auf die Umsetzung, auf die eigentliche Betätigung von Meinungsfreiheit hoffen? Nur das Beste.
Schauen Sie, da der Blog ohnehin länglich geraten musste (wie erzähle ich 100 Veranstaltungen an 5 Tagen, ohne zum PR-Gig zu geraten?) habe ich meine italienische Leib- und Magenzeitung, Il Fatto Quotidiano außen vor gelassen. Obwohl die erst seit rund 6 Monaten als Tageszeitung existiert, hat sie über 40.000 Abos und rund 80.000 Exemplare am Zeitungsstand hinbekommen. Aus dem Stand. Was es ermöglicht hat, dass der Fatto sogar Mitsponsor des Festivals geworden ist, mit eigener Veranstaltung nebst Trailer, einer wunderbaren Persiflage auf Inglourious Basterds, Version italienische Politik. Weil da ein paar gute Journalisten (Padellaro, Gomez, Travaglio u.a.) arbeiten, die ihr Geld zusammengewürfelt haben und gesagt haben: Wir schreiben auf unser Risiko das, was uns passt. Und das ganz schräg, vor allem gegen den Strich des Mainstreams: Bei Themen, Wortwahl, Präsentation. Auch der Fatto wird seine bisherige Online-Ausgabe umstellen, um die Blogger und das Publikum stärker einzubinden, auch dort gibt man die Details noch nicht preis. Ich verfolge sehr gespannt diese unterschiedlichen Formate von Freitag und Fatto, die bei allen kulturellen Unterschieden ganz ähnliche Ziele verfolgen. Das gibt in der Mitte der Uniformität (sic) Mut.
Wenn man bei solchen Veranstaltungen auch noch Spaß haben kann, was viele Teilnehmer sichtlich hatten, warum sollte man nicht als Optimist nach Hause gehen?
Ich möchte die Worte von Francesco Piccinini, Dozent an der Ecole Supérieure de la Gestion in Paris, unterstreichen. Das Web ist ein eigenes Medium. Das Übertragen von Stilmitteln aus dem Print- oder TV/Radio-Bereich ist nicht förderlich. Das Web als Medium ist kommunizierendes Medium, abgesehen von den visuellen Gestaltungsmöglichkeiten, die die jetzigen und zukünftigen Webtechnologien bieten. Da werden noch einige Konventionen über Bord geworfen.
Danke luggi, für diesen Einwurf. Vor einigen Tagen schrieb ich zu einem Artikel von Jäger (zu dem Bio-Wahn), es wäre schön, wenn man die hierher in die online-Ausgabe versetzten Artikel anreichern könnte mit Links. Das könnte helfen, einen Gedanken klarer darzustellen (etwa durch Inbezugnahme von bereits geschriebenen Dingen) oder als Angebot zum Einstieg/zur Vertiefung für den interessierten Leser. Das ist nur ein ganz klitzekleiner Ausschnitt dessen, was denkbar und ohne weiteres machbar ist. Multimedia nur als Dressing von Nachrichtensalat schwebt mir auch nicht unbedingt vor.
So fies das an der Stelle auch klingen mag: Ciccone und Potter sind Kleinunternehmer, die ein Risiko eingegangen sind. Sie verstehen sich offensichtlich sehr gut auf Kommunikation, auch in eigener Sache, dabei wohltuend zurückhaltend im Auftritt. So eine Rezeptur funktioniert.
Das wäre jetzt schon möglich, wenn der MIME-Type für html für den object-tag passierbar wäre. Dann hättest du den Kommentar nicht nur als profanen Link sondern mit seinem gesamten Inhalt zur Verfügung. Ist aber erst nur eine technische Betrachtung. Außen vor bleiben rechtliche und sicherheitsrelevante Bereiche.
Hey cool, wenn man auf das kleine Dreieck unterhalb der Anzahl der Unterkommentare klickt, dann sindse eigeklappt. Am Anfang ist da nie was passiert. Ho, was ich jetzt da wegklicken kann...
:))
Tja, die Frage stellte sich auch Marco Travaglio im Buch "L'Odore dei Soldi", jetzt gerade wieder neu aufgelegt und aktualisiert. Dafür wurde er von Fininvest und Berlusconi mit Millionenklagen überzogen, die der Journalist alle gewonnen hat. Er hat die Prozesse durchgestanden, weil sein Verleger ihm den Rücken frei gehalten hat, vor allem finanziell. Sonst wäre er alleine wegen der Anwaltskosten, die er zu verauslagen hatte, eingeknickt.
Diese Praxis, jemand so mundtot machen zu wollen, wiederholt sich. Dem Fatto wurde vorgestern die Zivilklage des Senatspräsidenten Schifani (PdL) über sagenhafte 750.000 € zugestellt, weil sich die Zeitung erdreistet hatte, einige geschäftliche Aspekte seines Wirkens genauer zu betrachten. Die Klagesumme entspricht ca. dem Doppelten des Gesellschaftskapitals der Zeitung.Strafanzeige wegen Verleumdung hat Schifani erst gar nicht gestellt, denn dann würde ja die Staatsanwaltschaft von Amts wegen den "wahren" Sachverhalt ermitteln können.
Hierzulande haben gerade Bild ggü. BildBlog und Cicero, man hat davon hier gelesen, ihre Versuchsballons gestartet. Das wird noch richtig spannend.
gelesen, e2m
Liebe Freunde von der "Twitter"-Redaktion,
das hier ist kein "Bericht vom Journalismus-Festival von #Perugia is.gd/bOgJy #ijf10", da ich a) nicht dort war, sondern b) nur die Medienpräsenz ausgewertet habe und das c) ziemlich parteiisch. Wohler hätte ich mich bei "Feature über" gefühlt.
Liebes TTG,
da ging es um einiges mehr: Um einen Palazzo, in den sich mehrere der höchsten Mafia-Bosse einkauften, um Berichte eines Kronzeugen der Mafia, der jemandem mit jemandem anderen gesehen haben will, um Gesellschaften, in denen später als Kriminelle Verurteilte Mitgesellschafter waren und noch eine ganze Reihe anderer, recht ominöser Umstände.
Und ja, Schifani ist Anwalt. Wobei ich für den Einwurf besonders danke, weil: Er bekleidet nach der Verfassung das zweithöchste Amt im Staate. Das Immunitätsgesetz, das kürzlich vom Verfassungsgericht aufgehoben wurde, schützte auch ihn. Ad personam.
Nach den neueren staatsanwaltschaftlichen Rekonstruktionen sollen einige der Killer von Borsellino von diesem Palazzo aus agiert haben. Es hat Zeiten gegeben,da haben sich die Palermitaner nicht einmal getraut, das Gebäude näher zu bezeichnen.
Ich finde "Bericht" sehr angemessen. Danke für den Beitrag. JK
Vielen Dank für den Beitrag! LG aus Hamburg