Gebt ihnen, was sie wollen. Massenweise

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Gebt ihnen, was sie wollen. Massenweise

Foto: Sean Gallup/ AFP/ Getty Images

Eine der populäreren Aktionen von WikiLeaks war „Cablegate“. Einmal, weil das Material der gesamten Crowd zur Verfügung gestellt wurde. Vor allem aber, weil diese Masse die Meinung von Diplomaten zur politischen Crème de la Crème in jeder Hinsicht ungefiltert auskosten durfte. Etwas, was sogar Journalisten, ob als Stilfrage, aus Gründen der Zensur oder reiner Opportunität, immer öfter nicht wollen oder dürfen.

Das hatte Unterhaltungswert. Denn die hingeschriebenen Despektierlichkeiten der Meister in Sachen Soft-Skills haben gezeigt, was hinter jedem noch so zuckersüßen Lächeln lauert. Entsprechend plump fielen die Reaktionen der meist treffend Portraitierten aus. Ein Sachverhalt, den man sich für jedes künftige Bewerbungsgespräch und die Probezeit merken kann, nicht nur im diplomatischen Dienst.

Die Wahrheit hat freilich ihre unfreundliche Kehrseite. Denn ein Beschaffer des Materials, Bradley, heute: Chelsea Elizabeth Manning sitzt in einem Gefängnis bei Fort Leavenworth bei mittlerer Sicherheitsstufe eine 35-jährige Haftstrafe ab. Und der Veröffentlicher Julian Assange lebt seit mehr als einem Jahr in einer Botschaft segregiert und so genau mit dem Personenkreis hautnah zusammen, in deren Intimsphäre er eingebrochen war. Von dort darf er auch zusehen, wie er und sein Lebenswerk mit der Hollywood-Produktion „Fünfte Gewalt“ demontiert werden.

Geht damit, kaum dass sie begonnen hat, die Zeit schon zu Ende, da das unethische Treiben von Regierungen und Unternehmen nicht nur kolportiert, sondern im Original nachgelesen werden kann? Keineswegs, nur haben sich die Rollen vertauscht.

Denn seit Mitte des Jahres ist es Gewissheit, dass aus allen Menschen dieser Welt jede Sekunde Informationen tropfen, die eben diese Unternehmen und Regierungen schnell wie gierig aufsaugen, speichern und prozessieren: Vom Konsumverhalten über unsere kleinen schmutzigen Gedanken bis hin zum Reich der Ideen, die als gefährlich eingestuft werden. Und die so Geleakten haben seit Monaten nichts Besseres im Sinn, als sich das Verhalten ihrer Peiniger zu Eigen zu machen.

Selbst die biederste Postille „dieser unseren Republik“ hat plötzlich das Widerständchen entdeckt, wenn sie zu „Tarnidentitäten“ rät (SZ, 12.6.), die „Geburt einer Netzguerilla“ (carta, 1.7.) ausruft oder für vertrauliche Mitteilungen den Spaziergang im Wald empfiehlt (Zeit, 24.6.). Der Gipfel: das „abhörsichere Telefon für alle“ (Freitag, 25.10.). Ohne zu bemerken, dass damit nicht anderes verbunden ist als die Abschottung, diesmal sogar die von einem Individuum zum anderen. Alles verbunden mit der sehr leisen Hoffnung, dass sich schlussendlich irgendwer für dieses Leaken von Staats wegen zu verantworten haben wird, am besten vor einem Gericht.

Die schlechte Nachricht ist: Sogar für #ozapftis (erinnern Sie sich?) ist niemand belangt worden, sondern es haben dessen Verwender im September krachende Wahlsiege gefeiert. Der Infilterierungslust sind keine Grenzen gesetzt, weder geographisch noch technisch, wenn in Haushaltsgeräten Chips implantiert werden, die sich in die Kommunikation einklinken. Und gerade der Umstand, ein Handy nicht einmal dabei zu haben, ist besonders verdächtig, weil man sich damit einer möglichen Ortung entzieht, natürlich in böser Absicht.

Ganz geheime, böse Verschwörung (for your eyes only)

Wir sollten nicht versuchen, die mit deren eigenen Mitteln zu schlagen, die darin unendlich mehr Erfahrung und unbegrenzte Möglichkeiten dafür haben. Erst recht nicht, wenn wir bei Cookies eher nach einem Kochbuch greifen statt zum Handbuch für Browser (nein, das ist kein Getränk!). Wir sollten deren Hunger nähren.

Wenn es richtig ist, dass in Deutschland die Mitesser an unserer digitalen Tafel Milliarden Mitteilungen nach 2752 Suchbegriffen sieben, wollen wir sie gerne liefern. Unter jeder Mail, jeder SMS, als ceterum censeo zu jedem unserer Telefonate, als Operation Overload statt Overlord, Antennen- und nicht Ardennenoffensive:

„#Krieg # Bombe oder # Attentat, was der # BND so im # Rucksack hat. Don’t # worry, be # happy“

Oder so; mindestens 2745 Wörter (wie Kanzler, NSA, Präsident, Freude) sind noch frei.

Kostet pro Mitteilung nur ein paar Cent mehr, die Dienste aber Zettabytes. Und hilft vielleicht sogar gegen die Angst: So viele Zellen, wie es dann Verdächtige gibt, hat nicht einmal Deutschland. Angst macht die Masse, die unüberhörbar ist.e2m

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Geschrieben von

ed2murrow

e2m aka Marian Schraube "zurück zu den wurzeln", sagte das trüffelschwein, bevor es den schuss hörte

ed2murrow

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