Geplanter Erfolg, erfolgreiche Planung

Sotschi Die Olympischen Winterspiele 2014 sind zu Ende. Der Medaillenspiegel ist einer der Planwirtschaft: Die Deutschen sind bestürzt. Und eine kleine Story am Rande

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Wie es nicht laufen sollte: Monique Angermueller beim Eisschnellauf
Wie es nicht laufen sollte: Monique Angermueller beim Eisschnellauf

Foto: Damien Meyer / AFP/ Getty Images

Ranglisten, so sagt derzeit diese republikanische ADAC-Wirklichkeit, sind etwas ziemlich Zweifelhaftes. Dessen ist Olympia nicht völlig unverdächtig. Wer nach Schiedsrichterentscheidungen beim Eiskunstlauf und Doping nicht die versteckte wie manipulative Hand erkennen will, ist selber schuld. Aber wären die so beeinflussten Entscheidungen zwischen individuellem Blech und Gold im Ergebnis etwas anderes als der in Medaillen ausgedrückte Spiegel einer „Nationenwertung“, in der sie sich niederschlagen?

Die Zeiten der systemkonformen und vor allem deswegen künstlichen Leistungssteigerungen wären ja eigentlich vorbei. Mit dem Fall von Mauern und Vorhängen gäbe es keinen Grund mehr, warum ein Ben Johnson als muskuläres Gesamtkunstwerk die freie Welt repräsentierte oder ganze Mannschaften des Staatsdopings verdächtigt würden. Selbst Serheij Bubka, dieser vergangene Held der Höhen, ist bekanntermaßen nur noch Funktionär von Gnaden in Sotschi gewesen. Wie man hört, mit/ohne Trauerflor, vielleicht der Fallhöhe daheim geschuldet.

Das alpine Österreich jedenfalls hat sich an Zweien berauscht: Mario Matt und dem Umstand, dass Männer ohne Eigenschaften durchaus ihren Weg durch den Stangenwald zum Erfolg finden. Das hat nicht einmal die Schweiz geschafft, die trotz des jüngsten Volksvotums so uralemannisch klingende Namen wie Gasparin, Trolliet oder Défago in der Mannschaft vereinigt hat. Wobei „die“ Schweiz schon übertrieben ist. Gegebenenfalls sollte sie darüber entscheiden, ob nicht jeder Kanton künftig separat antritt.

Tatsächlich scheinen sich letzte Reste geballter Skepsis nur noch gegen „die Chinesen“ zu regen; im Wintersport freilich weniger, weil dort, bis auf den einen seltsamen Cousin in Nord-Korea, Bretter für Fässer als werthaltiger erachtet werden als zum Hang-Abwärts-Fahren. Wäre das Allgemeingut, wir hätten erst recht keinen Spaß an einem Slalom-Kurs gehabt, den sich der 75-jährige Ante Kostelic ausgedacht hat: Einmal schauen, was die Jungs wirklich drauf haben. Viele sind nicht übrig geblieben - Olympia kann Spaß machen, einen dem Carving entsprechenden Humor in Schräglage vorausgesetzt.

Dennoch gibt es ein Handicap, das noch vor dem Medaillenspiegel steht: Die Erwartung. Die tatsächlich keine im Irgendwo wäre, zwischen Hoffen und Bangen der Fans. Sondern ein „Zielkorridor“, wie es Carsten Eberts gerade zutreffend für die SZ formuliert hat. Die Leistungseinschätzungen des Deutschen Olympischen Sportbundes wie deren Kontrollen dienen der Bereitstellung: Von Mitteln aus Ministerien, Plätzen bei staatlichen Betrieben wie dem Grenzschutz, des geballten Wissens und Könnens von Bundestrainern und -masseuren, -beratern und -psychologen.

Ist das Ziel nicht erreicht, wie jetzt 19 statt der mindestens fest eingeplanten 27 Medaillen, gibt es Erklärungsnot ob der vielen Verlierer. Wurde da etwa mit ohnehin knappen Ressourcen Schindluder getrieben, ist dann nur einer der minderen Verdächte. Und damit einer gegen Sozialsysteme, die ohnehin nur Hängematten produzieren: Liegt darin einer, der so aussieht wie Michelangelo sich den David samt Six-Pack vorgestellt hat, ist das der Untergang des Abendlandes.

Dass ausgerechnet diese Republik sich auf das Glatteis begibt, das vorher dasjenige von Staatsbetrieben wie dem aus Zwickau oder der VEB Monsator war, hat eher vom sprichwörtlichen Esel. Deutsche Athleten, die eine Norm so wenig erfüllen wie die zur Mobilität oder Kühlung von Viktualien in der DDR vorgesehenen technischen Geräte, ist dabei die eine Seite.

Man könnte es eine urdeutsche Eigenschaft nennen, sich nicht entscheiden zu können. Für die einen war und ist Planwirtschaft als Ausdruck des real existierenden Sozialismus‘ etwas Unvollkommenes auf dem Weg zur Besserung. Für andere hingegen eine Drohung, die vor der Vollendung der Gefahr gerade noch Dank der freien Marktwirtschaft und ihrer Kräfte aufgehalten werden konnte. Übrig bleiben Athleten, allesamt personifizierte Adolf Hennecke, der dem Flüsterwitz zufolge im eigenen Schweiß ersoffen ist.

Die andere Seite ist: Menschliches Verhalten als unkalkulierbar hinzunehmen, ist beiden Sichtweisen fremd. Das gilt für die Erkältung von Höfl-Riesch genauso wie für die Millimeter, die beim Einfädeln deutsche Skifahrer von aussichtsreichen Teilnehmern zu „Vollidioten“ gestempelt haben. Sie sind eine messbare Größe, die nicht planbar ist, aber immer ins Kalkül gezogen werden sollte, auch und gerade wenn es um Milliardenbeträge aus öffentlichen Haushalten geht.

Oder um es anders auszudrücken: Hätten Luitz und Neureuther ihre Tore passiert, läge Deutschland auf Rang Drei der Medaillenwertung und es gäbe keine Not. Müssten wir sie deswegen kreuzigen? Da sei die Robustheit vor, die die beiden jungen Männer bewiesen haben, vor allem in der Freiheit ihrer Ironie. Die sie vor der Vereinnahmung vor allem der Kommentatoren schützt, die nur einen Muskel ausgeprägt haben: Den am Gesäß. Da hilft sonst auch kein Doping mehr.

Eine Beschämung der etwas anderen Art hat Vic Wild geliefert: „I am not some American guy that decided it would be easier to get to Olympics in a country where snowboarding is not developed that well. I have chosen a difficult path, and I have walked it to the end”. Er ist einer der Sieger. Nicht weil er einen Verband oder die Nation für sich hat entscheiden lassen, sondern dem natürlichsten Gang der Welt gefolgt ist. Dort hinzugehen, wo die Frau ist. Wie es schon Ovid empfahl. True. e2m

Der Autor war begnadeter alpiner Skifahrer, bevor ihm das Leben dazwischenkam. Seine Fixierung auf Ski-Bergab-ohne-Gewehr zu einem Ort mit Schi im Namen unter Auslassung von Schlitten, Schanzen und sonstigen Nebensächlichkeiten sei ihm höflich nachgesehen.

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Geschrieben von

ed2murrow

e2m aka Marian Schraube "zurück zu den wurzeln", sagte das trüffelschwein, bevor es den schuss hörte

ed2murrow

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