Heißer Herbst ganz lau

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Wenn es darum geht, ein Kursbuch aufzustellen, ist der Terminkalender des Vielbeschäftigten zum geflügelten Wort geworden: Agenda. Lateinisch steht es für „das zu Treibende, zu Tuende“. Der September treibt schon um, also haben 40 Mannen aus Wirtschaft, Politik und Prominenz Ihre ganz besondere Vormerkung getätigt.

Sie wird bereits „Energiepolitischer Appell“ genannt und als offener Brief morgen in den meisten Tageszeitungen als bezahlte Annonce erscheinen. In der sinnigen Überschrift „Mut und Realismus für Deutschlands Energiezukunft“, versehen mit einer bedeutungsheischenden deutschen Trikolore, wird der Gegenpart zur Demonstration gegen Atomkraft am 18. September in Berlin schriftlich abgeliefert. Beider Ziel ist das energiepolitische Ringen innerhalb der Koalition, ob und inwieweit „Energie“ teurer werden soll und welcher Energieträger den Dukatenesel spielen wird: Brennelementesteuer, Erhöhung von sonstigen „Ökosteuern“, Reduzierung bei den Subventionen für regenerative Stromgewinnung sind nur einige der Eckpunkte.

Rück- oder sogar Ausbau von Atomenergie, die Frage im Sinne der Atomlobby zu beantworten ist das eigentliche Ziel des wohlfeilen Inserats. Sie steht, so die Signatare, für „sichere, saubere und vor allem bezahlbare Energieversorgung“. Und dass der Ausbau von Kernkraft für die wirklichen Auftraggeber des Elaborats, E.oN, RWE, EnBW und Vattenfall, deren Vorstände natürlich unter den 40 sind, keine schiere Illusion ist, zeigt die Landkarte. Dort stellt sich Deutschland von Ländern umzingelt dar, wo Neubauten oder lange Laufzeiten der Normalfall geworden sind. Italien will ab 2011 mit dem Bau von vier AKWs beginnen, obwohl sich die Bevölkerung in den 1970ern in einem Referendum gegen Atomkraftwerke ausgesprochen hat. Belgien hat Laufzeiten bis 2025, Tschechien baut an zwei Blöcken und einem Zwischenlager in Temelín. Frankreich, mit diesem unseren Land stets als Lokomotive Europas genannt, hält sogar nach Japan den Rekord für den höchsten Anteil an Atomstromversorgung für den Eigenbedarf. Es sind mehr als 80% und deswegen, neben dem aktuellen Reaktorneubau in Flamaville, von einer Alltäglichkeit von Anlagenstilllegung, -umbau, -erneuerung und -erweiterung gekennzeichnet, die keine Schlagzeile mehr wert zu sein scheint. Das gilt auch oder vielleicht sogar ganz besonders für den Bau von sog. Zwischenlagern, oder im Falle Frankreichs und der Schweiz von Endlagern, während Deutschland sich noch in den Wehen post-Gorleben befindet, ob Asse nun ein einzigartiger Fall von Schluderei oder tatsächlich ein Menetekel ist.

Deutschland und seine dezidierte Ausstiegspolitik stellen sich heute als das einzige real noch existierende Hindernis gegen die in gegenseitigen Allianzen gebündelte weltweit agierende Lobby des Urankreislaufs dar, bei dem am Ende unwiederbringlich eine der giftigsten Substanzen steht, die die Menschheit je produziert hat: Ihr eigener Atomabfall. Dieses Hindernis gilt es zu beseitigen, wird uns das morgige Inserat sagen, auch mit Blick auf die Erneuerung alter Anlagen in den Nachbarländern, die nicht mehr ganz so sicher sind. Die Botschaft wurde uns bereits in etwas brachialerer Form vor wenigen Tagen mitgeteilt, als mit einem Erpresserbrief die Kraftwerksbetreiber der Bundesregierung das aut aut gestellt haben. Nur zwischendurch wurde eine Stimme der Vernunft hörbar, die der Bürgermeisterin von Carinerland Heike Chrzan-Schmidt, die nach dem Besuch der Kanzlerin gestern verkündete: „Wir wollen autark werden“. Mit der Kraft von Wind, Sonne und Biomassen.

Ob es dieser Slogan ist, den die erwarteten 30.000 Demonstranten in Berlin skandieren werden, ist noch nicht klar. Dagegen haben jedenfalls Leuchten wie Schily oder Bierhoff, Co-Autor eines deutschen Träumchens schon einmal Tinte in die deutsche Agenda gesetzt. Scripta manent, Geschriebenes bleibt. Und was sind schon die paare Tausend Leutchen gegen 501 Millionen Einwohner in der EU? Die kennen das Wort Autarkie bestenfalls aus Geschichtsbüchern.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

ed2murrow

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ed2murrow

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