Heute schon exorziert?

Medienschau Wenn die Presse die Rolle von Inquisitoren übernimmt, kennt sie keine halben Sachen

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Heute schon exorziert?

Foto: Carsten Koall/Getty Images

Als die Zeitschrift Brigitte für einen Presseplatz beim NSU-Prozess in München gelost wurde, war die Heiterkeit auf der Pressekonferenz groß. Not amused waren die, die sich als Vertreter von Qualitätsjournalismus verstehen.

Kurt Kister als Chefredakteur hat das für die Süddeutsche Zeitung umgehend und unmissverständlich klar gemacht („Eine Liste wie eine Farce“): Selbst solche Medien seien zum Zuge gekommen, „die sich nie mit Rechtsterrorismus oder ernsthafter Gerichtsberichterstattung beschäftigt“ hätten.
Noch deutlicher wurde der politische Korrespondent der FAZ in München, Albert Schäffer („Sie haben es gewollt!“). In einem offenen Brief hat er sich direkt an den Vorsitzenden des 6. Senats Manfred Götzl gewandt und klar gemacht, wer den Widerhall des Prozesses bestimmt: „Aber wie der NSU-Prozess verläuft, wird auch und gerade jenseits der deutschen Grenzen beobachtet. Das Bild, das sich die Welt von Deutschland macht, wird durch die überregionalen Zeitungen bestimmt.

Eine arrogante Sichtweise, die von einem selbstbewussten Paul-Josef Raue eindrucksvoll erwidert wurde. In seiner ebenso offenen Erwiderung an Schäffer („Offener Brief aus der Provinz an die hochmütige FAZ“) erinnert der Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen daran, wo die verhandelten Delikte ihren Ausgang genommen haben und wie die Frankfurter (Main) in der Vergangenheit aus der Region berichtet haben: „Wenn die FAZ über den Osten berichtet, dann reitet sie nicht selten auf den Vorurteilen durchs Land, die wir in der Provinz überwinden wollen und auch überwunden glaubten“. Und: „Mir graut davor, dass Ihr Bild vom Osten in der Welt verbreitet wird.

Dass bislang von diesen Qualitätsmedien vom ersten Verhandlungstag inhaltlich kaum Unterscheidbares gekommen ist, lässt sich trocken zusammenfassen mit „Beate hat die Haare schön“ (danke, Christian Wolf). Denn egal ob stern und Brigitte in Kooperation, ob SZ oder FAZ – der Blick der BerichterstatterInnen war der überraschte, dass da eine Angeklagte aufgetreten war, der weder die 18 Monate U-Haft anzusehen gewesen sein sollen noch ein Funken Reue. Im Dress wie zum Termin in einer Geschäftsbank statt auf der der Anklage, so war der Tenor, ge- und beschrieben von ReporterInnen, die unter diesen Umständen ganz sicher mit einem untrüglichen Instinkt ausgestattet gewesen sind.

Die Wirkung von Presse „jenseits der deutschen Grenzen“

Es sei denn, man ist eine der größten überregionalen Zeitungen, heißt BILD und lässt einen Reporter namens Kai Feldhaus auf die Menschheit los. Dann setzt man eine ganz eigene Duftmarke mit „Der Teufel hat sich schick gemacht“ und berichtet: „Als Beate Zschäpe (38) den Saal betritt, stehen wir Journalisten auf unseren Sitzen. Einen Blick erhaschen auf den Teufel, der kurz in unsere Richtung blickt. Was ist das, das da in ihren Augen blitzt? Reue? Angst?

Das ist auch, und damit wären wir bei der Frage von der Wirkung „jenseits der deutschen Grenzen“, der Aufmacher im Magazin von Österreich Eins gestern um 19:45 Uhr gewesen. Allerdings nicht als lobende Erwähnung, sondern mit dem eigenen Statement von der „Vorverurteilung auf den ersten Blick“. In dem knapp 2 Minuten langen Feature wurden zwei weitere Beispiele angeführt: Das der in Wien im vergangenen Jahr verurteilten Mörderin Estabiliz-Carranza, die sich im Gerichtssaal mit einem „kleinen grauen Kleid“ präsentiert hatte. Und das der Amanda Knox, nach einem nicht rechtskräftigen Freispruch in Italien auf freien Fuß gesetzt, die mit „Engel mit den eiskalten Augen“ tituliert wurde.

Das Fazit des ORF: „Egal ob schuldig oder nicht, vorveruteilt wurden sie alle, ihre Beinamen werden sie nie wieder los.“

BILD ist neben anderen (darunter auch Focus und SZ) weit verbreiteten Medien in Deutschland in den letzten Jahren damit aufgefallen, dass sie direkt in die Rechte von am Strafprozess Beteiligten eingreift. Hiervon legt etwa die lange Liste Zeugnis ab, die die Anwälte von Jörg Kachelmann zusammen gestellt haben, um die unter anderem gegen BILD, bild.de und die Springer AG angestrengten Verfahren zu dokumentieren und die Stefan Niggemeier bei BILDblog auszugsweise veröffentlicht hat. Auch in dem bislang letzten Urteil (19. März 2013, Az: VI ZR 93/12) stellte der Bundesgerichtshof fest: „Wegen der aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz) folgenden und in Art. 6 Abs. 2 der europäischen Menschenrechtskonvention anerkannten Unschuldsvermutung und einer möglichen durch die Medienberichterstattung bewirkten Stigmatisierung war die Veröffentlichung im Juni 2010 wegen einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers rechtswidrig.“

Unschuldsvermutung ist keine Frage von Solidarität, sondern Prinzip einer zivilen Gesellschaft und seiner Verfahren

Bei der jetzigen Wahl des Aufmachers zum NSU-Verfahren mag vielleicht die unausgesprochene Erwartung eine Rolle spielen, dass die so Beschriebene kaum die Gelegenheit haben wird, sich neben ihrer Verteidigung auch noch um die Postille zu kümmern. Oder dass ein gewisses Unbehagen Kommentatoren davon abhalten könnte, für Zschäpe die Unschuldsvermutung zu reklamieren.

Und doch ist genau das eines der Grundprinzipien des modernen deutschen Strafprozesses: Nicht die beschuldigte Person hat sich zu exkulpieren, sondern „gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig“. Welchen Stellenwert kann also eine Gerichtsberichterstattung haben, die wissentlich (sie wurde oft genug auf Grenzen und Rechtswidrigkeit hingewiesen) eben dieses Prinzip außer Acht lässt und damit das Verfahren auf den Kopf stellt?

Die mindeste Wirkung ist, das Gericht selbst unter Zugzwang zu setzen. Denn welche Erwartungshaltung sollte sonst bei einem „Teufel“ bedient werden als dessen Exorzierung durch Strafe. Einschneidender aber ist die Selbstvergewisserung, dass derartig Dämonenhaft-Mytologisches eigentlich nichts mit der deutschen Wirklichkeit zu tun habe, es also nicht darauf ankomme, sich mit der Genese von Taten und Tätern auseinander zu setzen. Es reichten der Blick und ein Gefühl, um das Urteil zu fällen, alles andere wäre lästige Formalität.

Medien als Vertreter der Öffentlichkeit?

BILD steht damit nicht alleine. Albert Schäffer war in dem offenen Brief, den er direkt an den Vorsitzenden des 6. Senats in München gerichtet hat, mit seiner unverhohlenen Drohung deutlicher: „Wir werden sehen, ob Sie in einem so schwierigen Verfahren wie dem NSU-Prozess in der Hauptverhandlung besser zurechtkommen als bei seiner Vorbereitung “. Die FAZ hat damit bekannt gemacht, wer letztinstanzlich entscheidet: Sie selbst und sonst niemand.

Die Herstellung der Öffentlichkeit ist eine der grundlegenden Errungenschaften des modernen Strafprozesses. Die bisherige Berichterstattung zum NSU-Prozess legt es darauf an, sie kraft erwiesener Tendenz zur Kompetenzüberschreitung einzuschränken.

Das war im Kachelmann-Prozess so, da ernsthaft das Primat der von der Presse verletzten Persönlichkeitsrechte vs. Öffentlichkeit diskutiert wurde und letztere einer gesetzlichen Beschränkung unterworfen werden sollte. Wie wird es erst sein, wenn es um intime Kenntnisse und Anomalien bei V-Leuten und damit des Staatswesens gehen wird?

In seinen „Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege“ legte Anselm von Feuerbach (1775 – 1833) in Abkehr vom Inquisitionsprozess, in dem auch viel von Teufeln und Hexen die Rede war, den Grundstein für eine Bezeugung gerichtlicher Handlungen durch die „volkstümliche Öffentlichkeit“. Und zog in Erwägung (Band I, S. 159 ff.), ob „es hinsichtlich der beglaubigenden Handlungen, und überhaupt räthlich sey, die Thüren blos einem auf Gerathewohl sich darbietenden Publikum zu öffnen, oder bestimmte, vom Volk zu erwählende Gerichtszeugen, in gesetzlicher Zahl, den Gerichten beizuziehen?

Auch dazu könnte man sich eine Meinung bilden, wenn es so weitergeht wie bisher. e2m

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Geschrieben von

ed2murrow

e2m aka Marian Schraube "zurück zu den wurzeln", sagte das trüffelschwein, bevor es den schuss hörte

ed2murrow

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