Justitia auf Bairisch

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Justizministerin Beate Merk macht ihre Hausaufgaben nicht und kritisiert deswegen das Bundesverfassungsgericht

Den Beteiligten, die nicht von Berufs wegen an einem Justizverfahren teilnehmen, kann es oft nicht schnell genug gehen. Das hängt natürlich damit zusammen, dass der Suchende möglichst bald zu seinem Recht kommen möchte. Aber auch der Umstand, in einem meist recht karg eingerichteten Raum unter lauter gravitätischen Spezialisten in Robe, weißen Kragen und Binder mitunter recht private Dinge verhandeln zu müssen, tut das seine. Weswegen die Kürze von Gerichtsverfahren auch Gradmesser für das gute Funktionieren der Justiz ist, ohne dass sie gleich summarisch würde.

Eine neue Betonung hat nun am Wochenende die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) eingeführt. Das Bundesverfassungsgericht verzögere die gebotene Entscheidung zur Sicherungsverwahrung, es „ziert sich in einer Art, die unangemessen ist.“ Das ist deshalb bemerkenswert, weil die Ministerin dabei weniger das Schicksal jener Männer vor Augen hat, die Ende 2009/Anfang 2010 vor dem deutschen Höchstgericht ihre sofortige Freilassung aus der Verwahrung erreichen wollten und nun der endgültigen Entscheidung harren. Ihr geht es um den Bau neuer Verwahranstalten, deren Ausgestaltung, so wird kolportiert, eher an Studentenheime erinnern denn an Gefängnisse. An deren Realisierung sieht sich die bayerische Justiz gehindert, da konkrete Anhaltspunkte fehlten, wie die Unterbringung letztlich auszusehen habe. Die soll Karlsruhe liefern.

Was bei derartiger Richterschelte überdeckt wird, ist der Umstand, dass das Sanktionssystem des deutschen Strafrechts insgesamt auf dem Prüfstand liegt und damit auf dem Schreibtisch der Gescholtenen. Denn in bisheriger Lesart, auch die des Bundesverfassungsgerichts selbst, war die Sicherungsverwahrung eine „Maßregel der Besserung und Sicherung“, also keine Strafe. Genau diese Einteilung hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit seiner Entscheidung vom 17. Dezember 2009 beanstandet und festgestellt, dass die Sicherungsverwahrung eben doch eine Strafe ist. Dies bedeutet zweierlei: Sie kann nur auf der Grundlage klarer Gesetze und nicht einfach nachträglich verhängt werden. Und zur Aufrechterhaltung einer Unterteilung zwischen Freiheitsentzug und Verwahrung ist die Justizpolitik genötigt, für ein deutlich besseres Lebensumfeld der Verwahrten gegenüber Häftlingen zu sorgen. Die Schaffung künstlicher Oasen für besondere Täter zur Aufrechterhaltung eines juristischen Kunstgriffes ist die Folge.

Paradigmenwechsel im deutschen Strafrecht

Während die Politik sich weiter dem Luxus hingeben will, wegsperren zu können, um das Volk zu beruhigen, fällt den Richtern in Karlsruhe die Aufgabe zu, die Hinterlassenschaft des sog. Gewohnheitsverbrechergesetzes vom 24. November 1933 neu zu sortieren. Mit dem Gesetz waren die Maßregeln -etwa für „Trunkenbolde und Gewohnheitstrinker“- in das Strafgesetzbuch aufgenommen worden. Die Rechtsentwicklung, vor allem die zu den Menschenrechten hat gezeigt, dass das vormalige Konstrukt, das der Gesundung des Volkskörpers dienen sollte, definitiv an seine Grenzen gestoßen ist, menschlich wie juristisch. Sich solch grundlegende Aufarbeitung von den Justizministern zu erwarten, könnte fatal sein. Denn selbst die geballte Sachkompetenz ihrer Konferenz Mitte des Jahres in Hamburg konnte nicht verhindern, dass Strafe, Nebenstrafe und Maßregel heillos durcheinander geworfen wurden bei der Forderung, Straftaten, die unabhängig vom Straßenverkehr begangen werden, mit Führerscheinentzug zu sanktionieren.

Bei der Diskussion um den jüngsten Haushalt des Freistaates monierte die SPD, in Bayern würden an den Landgerichten 58 und an den Amtsgerichten 186 Richter nebst 146 Staatsanwälten zur Aufrechterhaltung des justiziellen Betriebs fehlen. Würden sie besetzt, gäbe es keine durchschnittliche Verfahrensdauer von 12,4 Monaten vor dem Regensburger Sozialgericht in der ersten Instanz. Wenn es also Schelte zu üben gibt an langen Verfahren, dann weil im eigenen Land gespart wird, wo Ausgabe erforderlich wäre und Gesetze ihren Ursprung finden, die bereits den Keim der Unrechtmäßigkeit in sich tragen. Leichter ist es freilich, mit nacktem Finger auf andere zu zeigen, vor allem wenn die außerhalb Bayerns sitzen.

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Geschrieben von

ed2murrow

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ed2murrow

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