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(Ein Entlastungsblog)

Man sagt, tausend Anwälte auf dem Meeresgrund sind ein guter Anfang.

Da ist etwas sehr Wahres dran. Weil man sie doch immer wieder benötigt, die §§-Reiter, vor allem zu einem Ende zu, das kein gutes ist, und alles hat einmal so schön angefangen. Das ist wie in der Liebe und mit dem Benutzen von Plattformen im www. Auch da ist anfangs alles leicht und einfach und nett gesagt. Ein paar Angaben, <<Enter>> und schon ist man drin, vorwiegend kostenlos. Allgemeine Geschäftsbedingungen, für Insider AGB, und überhaupt Rechtsdinge interessieren nicht oder stören nur im Moment der kreativen Vorfreude. Vielen stehen sie schlicht im Wege.


Eine Sackgasse

Denn was man soll, was nicht, sagen praktisch unjuristisch Netiquetten. Das praktische an ihnen ist das vierfache Missverständnis: Sie sind bei aller Nettigkeit im Netz meist für verbindlich erklärtund damit doch nichts anderes als lediglich eine andere Sprache von justiziablen Normen; sie verlangen kein förmliches Zeremoniell, sind aber in der Anwendung der Hauptgrund für Ächtung; sie klären nichts, schon gar nicht zwischen Menschen, sondern führen oft den Fall, dass etwas schief geht, erst herbei; und sie sind seltsamerweise nur an den Personenkreis der Nutzer gerichtet, als ob Verhalten auf der anderen Seite eines Deaktivierungshorizonts, das von Moderatoren, über jeden Verdacht erhaben wäre. So etwas sollte man konsequenterweise nicht ernst nehmen.


Und doch hat Netiquette ganz überwiegend zu einer neuen Kategorie von Recht und Gerechtigkeit geführt. Sie nennt sich Fingerspitzengfühl. Wer solches zu besitzen scheint, darf sich ohne weiteres die öffentliche Verkündung erlauben, selbiges mit zweierlei Maß anzuwenden: Ein Gefühl für den Daumen, der beim Deaktivieren von Usern runter geht, das andere in den Fingern zum Streicheln von Lieblingen, die auf der Plattform bleiben dürfen. Das wirklich absonderliche aber ist, dass dies von den derart (auch nur potentiell und damit künftigen) Betroffenen ohne Murren akzeptiert wird. Als ob Willkür etwas Selbstverständliches geworden ist statt des -via Drittwirkung von Grundrechten bis hinein in AGBs geltenden- Willkürverbotes. Den so bloßgelegten Kern von Netiquette würde dieser Blogger gerne ausspucken, aber er sitzt zäh zwischen den Zähnen.


Der Versuch eines laienhaften Befundes

Der Kipppunkt liegt, so die naturgemäß unprofessionelle Beobachtung dieses Bloggers nicht nur auf freitag.de, bei der Verschiebung des Augenmerks vom Text weg hin zum (unterstellten) Verhalten deren Verfasser. Textbetrachtung (und damit ist noch nicht einmal die eigentliche Kritik gemeint) wird zur Verhaltensanalyse mit ungenügenden Mitteln und sehr fraglichem Erfolg. Die Mittel sind ungenügend, weil der Rückschluss von Sprache auf Verhalten nicht nur äußerst diffizil, sondern eigentlich Fachgebiet einer ganz eigenen und höchst spezialisierten Profession ist. Selbst diejenigen, die am Wort selbst ausgebildet worden sind, haben lediglich eineunvollkommene Ahnung, zumeist dann nur aus Erfahrung, wann und wie aus Wort Konflikt wird und welche Subtilitäten dabei eine Rolle spielen. Die Unvollkommenheit von können und wollen geht dabei quer durch alles, was man im Betreff solcher Plattformen an Präsenzen und Hierarchien vorfinden kann. Die damit zum Spielzeug von Menschen werden, die sich diese Unvollkommenheit zunutze zu machen wissen, oder eben von Fingerspitzengefühl. Dadurch wird der Erfolg fraglich: Das Zusammenwirken, die Selbstbeherrschung, Zivilität. Auch Leserschaft. Meistens, so zeigt die Erfahrung, gleitet es aus der Hand.


Dabei spielt es nur eine völlig untergeordnete Rolle, wie viele User sich an Plattformen beteiligen oder ob sie mit ihrem urkundlichen Namen oder unter einem Pseudonym auftreten. Mehr Nutzer machen die Situation nur unübersichtlicher, ohne am Kern etwas zu ändern. Und in puncto Anonymität: Selbst hinlänglich bekannte Professoren haben sich schon darin bestätigt, die Sprache von Kesselflickern zu beherrschen, ohne diesem hierzulande ausgestorbenen Beruf nahe treten zu wollen.


Handbücher helfen in solchen Situationen recht wenig. Solche zum Bedienen eines Flugzeugs, also eines komplexen technischen Gerätes, umfassen ein notwendiges Studium von mindestens einem Jahr, die technisch notwendigen A-B-C-D-Zertifikate füllen ganze Schränke. Und dabei handelt es sich um Maschinen mit einer genau definierten Anzahl von Einzelteilen, deren Eigenschaften ganz überwiegend bekannt sind. So etwas soll, theoretisch, beim Menschen im Zusammenwirken mit anderen bei hochfliegenden Gedanken funktionieren? No way! Dann lieber gleich „Le Temple du Goût“, 1731 von François Marie Arouet, dem Aufklärer.


Einen Ausblick

kann dieser Blogger nicht geben, erst recht nicht auf einer Plattform wie freitag.de, der ein Umbruch verordnet ist. Die Interessen, die damit verbunden sind oder durch sie wiederum erst ausgelöst werden, sind dafür zu vielschichtig und letztlich undurchdringbar. Appelle irgendwelcher Art erscheinen bei dieser Gemengelage völlig sinn- weil fruchtlos.


Ein guter Anfang wäre nach diesseitigem Verständnis das klare Bekenntnis und Selbstbewusstsein, ein Tendenzbetrieb zu sein. Denn dieses Bekenntnis setzte einen Schutz in Gang: Den Tendenzschutz, der sowohl nach innen als nach außen wirkt. Nach außen, weil er ein Profil gibt, das erkennbar ist und dem man sich anschließen kann. Nach innen, weil es eine nachvollziehbar deutliche Linie gibt, wo Grenzen bei Inhalten, Form und Ton liegen. Das eigentliche Novum, in Weiterentwicklung des hinreichend bekannten Terminus‘ und seiner Beilegungen, wäre, darin auch die zugehörigen Nutzer der Plattform einzubeziehen, so wie es technisch bereits avisiert ist. Meinungsfreiheit im ureigensten Sinn erführe ohne weiteres ihre immanente Schranke, ohne das ohnehin in dem Zusammenhang dumm verwendete Wort der „Zensur“ bemühen oder gar befürchten zu müssen.


Das hätte praktische Konsequenzen. Im Vordergrund stünde von vorneherein nicht die Person, der Autor, der Blogger, der Mensch, sondern der Text mit seiner ureigenen Kraft (oder Schwäche). An ihm, und nicht an dem Verfasser dahinter, ließe sich festmachen, ob er den Anforderungen genügt, zu bestehen. Das Maß wäre unzweideutig(er). Es hat aber auch mit dem zu tun, was ich vor ein paar Tagen als Frage stellte: Was ist mit den Texten von Personen, die von der Plattform ausgeschlossen werden? Aus der bisherigen Praxis lässt sich nur erkennen, dass der Text das Schicksal seines Autors teilt, eine Art Geiselhaft, nur umgekehrt. Hier kristallisiert sich m.E. das Neue am virtuellen Netz: Nicht das Märchen von der sich potenzierenden Intelligenz, sondern die Nachvollziehbarkeit, die Genese, die Verfügbarkeit von Geschichte. Das dürfte mit einer der Gründe sein, warum einige Print-Medien bereits jetzt in ihren online-Ausgaben ältere Texte nur gegen (zumal horrende) Bezahlung anbieten, auch die längst ausgeschiedener Autoren. Wo man nur Resteverwertung vermutet, steckt auch ein schlechtes Stück Verschleierung des eigenen Werdegangs dahinter. Ich bin nicht der Meinung, dass das Schule machen sollte. Vor allem nicht bei kostenlos eingestellten Texten, die bei Veröffentlichung ganz offensichtlich mit der Plattform vereinbar waren und deswegen eigentlich auch noch sind.


Freitag.de bewegt sich bei unveränderter Handhabung der bisherigen Routine unweigerlich auf Fälle der Justiziabilität zu. Das sollte erkannt werden. Das offene Bekenntnis von substanzloser Willkür erleichtert dabei die Stoßrichtung von unguten Intentionen hinter Konflikten. Man sollte anfangen, darüber nachzudenken, was es eigentlich heißt, parteiisch zu sein. Dann wird de lege lata einiges deutlicher, man kann es sogar in AGB gießen, und von dort aus, de lege ferenda, vieles möglicher. Das hielte, vor allem, jene tausend auch zum Ende zu an ihrem Platz, wo sie hin gehören.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

ed2murrow

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ed2murrow

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