Momentaufnahme: Hauptstadt Rom

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Fern ist die Zeit, da deren Berechnung ante oder ab urbe condita erfolgte, die Gründung einer Stadt also Bezugspunkt war für die Datierung aller wichtigen und ganz besonders wichtigen Ereignisse. Varronischen Kalender nannte man das und ging von der Gründung der ewigen Stadt am 21. April 753 vor dem Nullpunkt heutiger Zeitrechnung aus. Was eine wirkliche Neuerung war, denn wer konnte sich schon die Namen von jeweils zwei Konsuln merken, ab deren Amtsantritt stets ein neues Zeitfenster geöffnet wurde? Zumal ab einem bestimmten Zeitablauf unweigerlich nur der des Lesens Mächtige sich eine historische Abfolge vorstellen konnte. „Weißt Du noch, damals ...“ mündete wahrscheinlich im Laufe eines jedenGesprächs in die verzweifelte Suche nach dem Namen eines oder beider hochmögenden Herrn. Oder war Grund für Peinlichkeit, wenn die heroischen Taten des Caesar in dessen Anwesenheit ausgerechnet mit dem Namen einer seiner Todfeinde in Verbindung gebracht wurde, weil der eben zu der Zeit Konsul war.

Weswegen die Datierung der Entstehung Roms eine eminente Rolle einnahm: Die Herrscher in der Kaiserzeit konnten die Kontinuität bis zurück in die Entstehung des Gemeinwesens demonstrieren und dafür feierliche Umzüge veranstalten, das Volk endlich dem Jahr, als der Umzug prächtiger gewesen war (und es mehr Brot gegeben hatte) einen Namen geben. Der alte Julius freilich hatte ohnehin, aber das stellte sich erst viel später als gängige Praxis heraus, die Naturwissenschaft als Basis für seinen eigenen Kalender genommen und damit Sinn für Unsterblichkeit demonstriert. Sein Ende ist bekannt.

Rom ist als Hauptstadt wieder im Gespräch, dem Menschen auf der Straße aber eigentlich nicht so ganz klar, warum. Denn das Dekret, das heute in Kraft tritt, trägt die verwirrende Bezeichnung „Roma Capitale“. Technisch gesehen aber bleibt die Stadt die Kapitale Italiens, so wie es in der Verfassung festgeschrieben ist. Und eigentlich ist das Dekret nur eine weitere Ausformung des Föderalismusprogramms, das das Land in einen Bundesstaat, angelehnt an den deutschen, verwandeln soll. Dem Bewohner, der schon Schwierigkeiten hat, sich mit dem Abstraktum regionaler Autonomien anzufreunden, das Konzept einer kreisfreien Stadt zu erklären, ist dagegen ein Politikum. Denn das, was bisher das unbestrittene Machtzentrum war, ist nun lediglich „Gebietskörperschaft innerhalb der Gemeindegrenzen“. Die „besondere Autonomie“, die ihr zufällt, ist als „Garantie für die beste Ausrichtung in den Funktionen“ ausgedrückt, „die Rom als Sitz der verfassungsrechtlichen Institutionen sowie der diplomatischen Vertretungen ausländischer Staaten bei der italienischen Republik, bei dem Staat der Vatikanstadt und den internationalen Institutionen ausübt.“

Was für die Lega Nord der separatistischen Nationalisten schon weit im Vorfeld Anlass war, den Umzug von Ministerien „nach Norden“ und aktuell „eine eigene Hauptstadt“ einzufordern. Nach der rein funktionalen Definition, bleibt nur noch das Problem der Verfassung: „Rom ist die Hauptstadt der Republik“ und die Frage: Was ist Republik? Man darf sicher sein, dass auch da, zwischen Konsuln und Herrschern, Volk, Brot und Spiele eine Lösung gefunden wird. Ab urbe constituta.

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Geschrieben von

ed2murrow

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