http://www.valerytours.com/02/images/pictures_iva/RomaColosseo.jpgIn den 1950ern bis hinein in die 70er war es dem italienischen Trickbetrüger angelegen, einem reichen Ausländer ein großes Bauwerk anzudrehen, das ihm, also dem Verkäufer, nicht gehörte. Das war nicht nur ein Quell für Lebensunterhalt, sondern immer auch der Erheiterung. Die stellte sich spätestens ein, wenn der geprellte Anglophone (denn in vorglobaler Zeit waren Briten und deren transatlantische Cousins noch der Inbegriff von reich) merkte, dass er das Kolosseum, das er gerade bezahlt hatte, nicht abtragen und –transportieren durfte. Etwa Richtung Wyoming und per Römerbrocken zu adelnde Rinderranch.
Das änderte sich erst, als auch Deutsche wieder begannen, sich in die Kategorie „erkennbar wohlhabend“ einzureihen. Denn neben Pünktlichkeit barg deren andere herausstechende Qualität, die der Genauigkeit, in den Augen von Beutelschneidern http://negozi-online.biz/blog/wp-content/uploads/2008/07/saldi2008.gifauf die Dauer mehr Risiko als Chance. Und nachdem sich im Club der oberen Zehntausend die Dinge ohnehin schnell herumsprechen, war es mit Spaß und Verdienst am historischen Stein vorbei. Weswegen in sinnfälliger Analogie zum damaligen Bankencredo, dass vor allem Kleinvieh viel Dünger produziere, der gesamte Handel auf „Saldi“ verfiel. Das ist das italienische Pendant zum saisonalen Schlussverkauf und zieht seitdem mit der Einfachheit seiner fünf Buchstaben jeden noch so sprachunbegabten Besucher in seinen Bann: Abzüglich soundsoviel Prozent ist allemal weniger als der reguläre Preis, auch wenn der ein paar Tage vorher noch schnell angehoben worden war. Besonders kundenfreundlich ist dabei, dass die Regionen und Kommunen, die die Modalitäten regeln, verpflichtet sind, das Datum des Verkaufsbeginns zu veröffentlichen. Dank Internet ist es dem Publikum vom Wühltischgrabbler bis zum Valentino-Abstauber diesseits der Alpen geläufig, wann man sich alleine durch die erzielbaren Sconti die nächste Reise nach Rom wird leisten können. Dort geht es übrigens am 3. Juli los, ist heute zu lesen.
Der Erfolg war derart durchschlagend, dass Verramschen mittlerweile nicht nur ein gängiges Verfahren der Ladengeschäfte, sondern sogar eines des italienischen Staates geworden ist. Freilich nennt sich das im „Ersten Dekret zur Durchführung des fiskalischen Föderalismus“ vom Mai dieses Jahres „valorizzazione“(Aufwertung) und „alienazione“ (Veräußerung). Das sprachliche Brimborium beiseite schiebend bleibt, dass ebenfalls ab heute die Listen derbegehrenswerten Dinge veröffentlicht sind, die Italien an Regionen und Kommunen verschenkt: Parks, Baudenkmäler, ganze Strände. Die später, so das Dekret, nach http://www.settemuse.it/viaggi_italia_sardegna/foto_sassari/maddalena/isola_santo_stefano_01.JPGetwa erforderlicherAufwertung von den Beschenkten freihändig verkauft werden dürfen. Schon titeln die Zeitungen, dass etwa die Insel Santo Stefano im Golf von Gaeta ins Visier von Spekulanten geraten sei. Auf ihr befindet sich ein ehemaliges Gefängnis, in dem unter Mussolini unter anderem der spätere Präsident der Republik Sandro Pertini gefangen gehalten worden war. Das künftige Ressort bietet neben Historie und einer beachtlichen Bausubstanz auch noch ein Meeresschutzgebiet, auch wenn der Preis noch nicht bekannt ist. Saldi und Inseln, wenn das nur gut geht, denn im Gegensatz zum Breitenhandel wird dieser Schlussverkauf weder weiter angekündigt noch ausgeschrieben sein.
Und diesmal wird es auch keine Spaßbremse geben, die pingelig das Vergnügen verderben könnte. Dafür ist die potentielle Käuferschicht von Europa bis Asien und den mittleren Osten zu breit gestreut. Dort wird man es auch verschmerzen, dass vielleicht der eine oder andere Unvorsichtige bei „Vermittlungen“ auf der Strecke bleibt, man ist ja Kummer gewöhnt. Hauptsache es ist bekannt, dass hier am Ursprung des Geschäfts nicht ein windiger Verkauf, sondern ein Geschenk war. Wirklich ein Geschenk und rechtsgültig, von Ministerpräsident Berlusconi höchstpersönlich. Timeo Silvium et dona ferente.
(Teaserfoto: mario_ghezzi)
Kommentare 25
Mh, danke für den Beitrag, der mir einmal mehr die Aehnlichkeiten zwischen Italiern und der Türkei verdeutlicht hat. Das "Reinfallen" trifft hier manchmal auch sehr potente Geschaeftsleute, die Unsummen in letztlich unbrauchbare Artikel investieren.
Der Steinehandel war in den vergangenen Jahrhunderten eher das Piratisieren der Grossmaechte. Wie es in Italien steht, weiss ich nicht (ausser, dass einer der berühmtesten frühen "Aegyptologen" Italiener war), aber "The Cloisters", ein romanischer Kreuzgang, wurde Stein für Stein in den französischen Pyrenaeen abgebaut und ebeso in New York wieder zusammengesetzt, im Britischen Museum, im Louvre und auch in den Berliner Museen gibt es viel viel mehr aus Bodrums Vergangenheit zu sehen, als hier im Ort selbst, die Obeliske aus Aegypten stehen auf vielen Plaetzen Europas, die Engin-Marbles aus Athen......
Auch mit der Landspekulation ists hier just dasselbe. Wir haben sogar ein eigenes "Ministerium für Privatisierung" (tönt doch astrein Orwellsch, gell?). Der Strand war früher hier aussschliesslich dem Publikum, dem Volk vorbehalten. Nun entstehen grosse Resorts dicht am Wasser, natürlich mit Zaeunen drumrum.......
Was ich ja in Bayern schon beinahe revolutionäre finde: Da ist der "freie Zugang zu den Naturschönheiten" per bay. Verfassung garantiert, so dass tatsächlich um den Starnberger See die Eigentümer der Privatparks ihr Sach öffnen mußten.
Weil Sie die Obelisken erwähnen: Der auf dem Petersplatz in Rom ist ja für mich sowieso das Sinnbild der menschlichen Kulturgeschichte: Aus Heliopolis von Caligula importiert und dort aufgestellt, wo der Zirkus des Nero war, nämlich an der Stelle, wo sich heute die Sakrestei der Basilica, wurde er erst von dem fünften Sixtus (angeblich bei seinem Tod der reichste Mann Europas) an seinen jetzigen Platz gestellt. In der Nadel an der Spitze befinde sich eine Reliquie des hl. Kreuzes. Gleichzeitig zeigt der Obelisk die Sommer- und Wintersonnwende mit seinem Schatten auf dem Mosaik am Boden an. Aber ich schweife ab: Der Obelisk wird nicht zum Verkauf stehen, er gehört, wie die ganze Piazza, dem Vatikan.
@ed2murrow
Was ich ja in Bayern schon beinahe revolutionäre finde: Da ist der "freie Zugang zu den Naturschönheiten" per bay. Verfassung garantiert, so dass tatsächlich um den Starnberger See die Eigentümer der Privatparks ihr Sach öffnen mußten.
Mir san mir und im Vergleich zum Westerwelle ist Seehofer der reinste Bolschewik.
Als ich noch in Italien war, wurde in der Familie viel über den Linksradikalen Fini gewitzelt (für Deutsche: Fini ist der Chef der Nachfolgepartei der Neo-Faschisten), der im Vergleich zu Berlusconi (und übrigens auch der sog. Linken in Italien) durchaus zu bestechen wußte. Aber klar, als Ministerpräsident hätte ich Fini nicht wirklich gewollt. Es war eher so ein Effekt, wenn du im Sommer von der Hitze draußen ins Haus kommst und dich die Kühle umfängt. Dann schaust du aufs Thermometer, siehst es bei 30 Grad Celsius stehen und merkst, daß die Kühle doch eher nur relativ ist.
Es ist ein Jammer. Heute habe ich in Passau mit einem aus Italien kommenden, seit 46 Jahren in Deutschland lebenden Barbesitzer gesprochen (der Espresso dort schmeckt tatsächlich wie in Italien!), der mir sagte, seiner Ansicht nach werde es in spätestens zwei Jahren zu einem bewaffneten Bürgerkrieg zwischen Nord und Süd kommen. Seine Argumente waren so überzeugend, daß mir Angst und Bange wurde.
Ab und an bekomme ich Heimweh nach Italien. Dann wieder bin ich froh, daß ich das Land verlassen habe. Es ist zum Weinen.
Ciao
Wolfram
Wenn es der Barbesitzer in der Fußgängerzone war, dann war ich bei der Einweihung (so um 1980) seines damals winzigen Lokals und hab mich mit ihm prächtig unterhalten.
Heute tönte Bossi via Internet, dass es entweder so laufe, wie er es wolle, oder es komme zur Sezession. Wörtlich: "Ich will es ja an sich friedlich, aber wenn man uns zwingt ...". Seine derzeitige Forderung: Finanzministerium weg von Rom nach Mailand, ein Industrieministerium nach Turin und "gegebenenfalls ein Tourismusministerium nach Venedig". Europa schaut bei der Salami-Taktik Richtung Balkanisierung zu und kann (!!!) nichts tun.
Man sollte sich keiner Illusion hingeben. Das hier ist weitaus militanter als die Geschichte zwischen Flamen und Wallonen.
Meine Herren,
von welcher Bar reden wir denn hier eigentlich? Ich habe zwar damals nur unterhalb von Mariahilf gewohnt, also doch etwas vom Schuß weg, war aber bislang der Ansicht, daß ich wirklich jedes Etablissement in der Dreiflüssestadt schon einmal von innen gesehen hätte.
Für nähere Auskünfte wäre dankbar
Ihr J. A.-P.
@ed2murrow
Wenn es der Barbesitzer in der Fußgängerzone war, dann war ich bei der Einweihung (so um 1980) seines damals winzigen Lokals und hab mich mit ihm prächtig unterhalten.
Damals war dort wahrscheinlich noch keine Fußgängerzone, aber wir meinen anscheinend den gleichen. Die Bar ist immer noch winzig.
Heute tönte Bossi via Internet, dass es entweder so laufe, wie er es wolle, oder es komme zur Sezession. Wörtlich: "Ich will es ja an sich friedlich, aber wenn man uns zwingt ...".
Davon hat er mir heute erzählt.
Europa schaut bei der Salami-Taktik Richtung Balkanisierung zu und kann (!!!) nichts tun.
Wenn ich dran denke, was für ein Theater das damals war, als Waldheim österreichischer Bundespräsident wurde, ähnlich machtlos wie der Bundespräsident in Deutschland. Und wie lange ist jetzt Berlusconi schon Ministerpräsident? Wenn Italien ökonomisch zusammenkracht - und das ist wirklich nur noch eine Frage der Zeit - dann... ich mag es mir gar nicht vorstellen.
Man sollte sich keiner Illusion hingeben. Das hier ist weitaus militanter als die Geschichte zwischen Flamen und Wallonen.
Das sehe ich auch so. Bossi verhöhnt offen die italienische Hymne, die italienische Fahne und seine Leute sitzen in der Regierung. Wenn ich das auf Deutschland übertrage...
Die Leute hierzulande verstehen es nicht. Sie können sich das nicht vorstellen, Bertelsmann, Burda, Springer, Leo Kirch und Ackermann in einer Person und diese eine Person ist Kanzler. Seehofer ist mit in der Regierung und fordert lauthals und seit Jahren schon die Abspaltung Bayerns von Deutschland, notfalls mit Gewalt. Und die organisierte Kriminalität hat die allerbesten Beziehungen zur Regierung. Asylanten, die hier eintreffen, werden einfach ins nächste Flugzeug gepackt und zurückgeschickt, keine juristische Gegenwehr ist möglich. Der Innenminister fordert, alle Kinder von Roma (vulgo: Zigeuner) sollten eine Personenkennziffer auf den Unterarm tätowiert bekommen...
Jeder weiß das und die überwiegende Mehrheit wählt trotzdem weiter diese Regierungskoalition.
Als die Sache mit Europa immer intensiver wurde, hatte ich eine zeitlang die Illusion, dadurch würde vielleicht ein neuer Faschismus in Deutschland verhindert, die anderen Länder in der EU würden das nicht zulassen. Gut, ich hoffe, ich unterliege jetzt nicht einer weiteren Illusion, aber in Deutschland ist der Faschismus nicht akut. In Italien brodelt er seit Jahren und die EU tut so, als wäre da nichts. Nicht, daß sie machtlos wäre, sie versucht gar nicht erst, etwas zu unternehmen.
Ich muß jetzt aufhören, sonst übergebe ich mich.
Ciao
Wolfram
Lieber Herr Heinrich,
wenn ich Ihre und ed2murrows steigende Besorgnis bemerke, dann kommt mir ein Name in den Sinn: Salò, und ich meine damit nicht Pasolini, sondern Mussolini. Gehe ich denn recht in der Annahme, daß Sie derlei befürchten?
Soweit ich ed2murrow verstanden habe, zielte das erwähnte Nichtverhindern wohl nicht so sehr auf europäische Isolation à la Waldheim (es war ja nicht nur bei dem so, sondern nachher auch bei Haider/Schüssel), denn de facto befindet sich jemand wie Berlusconi ja schon auf dem gemeinschaftlichen Abstellgleis, auch wenn das mehr hinter den Vorhängen liegt und nicht im Orchestergraben, sondern wohl auf ein europäisches Pendant der Bundesexekution bzw. des Bundeszwangs.
Grüße
J. A.-P.
@j-ap
wenn ich Ihre und ed2murrows steigende Besorgnis bemerke, dann kommt mir ein Name in den Sinn: Salò, und ich meine damit nicht Pasolini, sondern Mussolini. Gehe ich denn recht in der Annahme, daß Sie derlei befürchten?
Na ja, Salò. Dort durfte Mussolini noch einmal in einem geographisch sehr eng begrenzten Gebiet den Großen Duce spielen.
denn de facto befindet sich jemand wie Berlusconi ja schon auf dem gemeinschaftlichen Abstellgleis, auch wenn das mehr hinter den Vorhängen liegt und nicht im Orchestergraben, sondern wohl auf ein europäisches Pendant der Bundesexekution bzw. des Bundeszwangs.
Daß sich Berlusconi schon auf dem Abstellgleis der EU befände, das sehe ich nicht. Es wird hinter vorgehaltener Hand viel gespöttelt und gelästert über ihn, aber offiziell ist er ein Ehrenwerter Mann.
Ciao
Wolfram
Sehr geehrter Wolfram Heinrich,
Ihrem gestrigen „sfogo“, diesem sich vom-Herzen-schreiben, was sollte ich dem hinzufügen? Es ist richtig, und vor etwas mehr als zehn Jahren sagte ich zu Freunden: Ihr habt aufgehört zu lächeln. Es ist Ton der dortigen Blogosphäre, der (online-)Medien, es ist Kriegssprache, die ganz ungeniert benutzt wird.
Was man hier nicht begreift, ist noch etwas anderes. Die Lega Nord ist eine faschistische Partei, wie sie sich ein Historiker nicht klarer wünschen könnte. Aufnahmeriten, Mystifizierung des Ursprungs (Wir sind Kelten), Transzendierung des Flusses Po (Neopaganismus), Uniformierung (grünes Hemd und Halstuch), Korpsdenken und –handeln (ronde padane), mit klarem Feindbild nach innen (diebisches Rom) und nach außen („Migranten“, egal ob Rumänen, „Zigeuner“ oder „Afrikaner“), übersteigertem Nationalismus (der sich, parallel zu FPÖ, Flaams Belang u.a. in einem Regionalismus einer „Keimzelle“ ausdrückt) samt eigener Sprache (Dialekte wie Venezianisch, Mailändisch oder Genuesisch sind heute auf wiki.it die am meisten verbreiteten in Bezug auf Einzahl und Fundierung der Einträge), philosophischem Unterbau (der Jurist, Politologe und Politiker Gianfranco Miglio „Eine bessere Republik für die Italiener“ u.a., sich berufend auf die Ausführungen von Lorenz von Stein und Carl Schmitt), organisatorischem Überbau (nach wie vor als Bewegung gekennzeichnet) und schließlich Law Order fürs Volk.
Das „Padanien“, das man anstrebt, ist der fruchtbarste Teil Italiens, der strukturell am besten organisierte und natürlich der wohlhabendste. Was also Bossi wieder von sich gegeben hat, ist keine (All)Machtsphantasie, sondern plakativer Ausdruck des italienischen „L’appetito vien mangiando“: Der Appetit kommt beim Essen.
Es stellt sich freilich die Frage: Wenn das so klar im Licht der Sonne ist, warum in drei Teufels Namen wird darüber ein Tuch des Fast-Schweigens gezogen? Das, was in ital. Zeitungen (und ich schreibe hier nicht von einem Pendant zu einer Bild) täglich Brot ist, findet nicht einmal ein müdes Echo hierzulande, es sei denn, es ist so eklatant, dass man gar nicht anders kann. Wo sind die Schönaus, die Ladurners?
Das Thema wird von mir weiter gebloggt.
sehe das mit "Padanien" genauso, schlimmer als Flamen und Wallonen vielleicht, aber wer weiss? Und interessant: die Reichen wollen sich hier wie da von den Armen trennen. Was ist mit KirgiSİstan? Transnistrien? Bosnien? Bayern :-))? hehe. Aber zum Lachen ist es freilich net.
Sehr geehrter J. A.-P.,
bei Ihnen muss man ja immer zwei Mal hinschauen, bevor man antwortet: Könnte da hinter der banalen Frage nicht ein ganzes Gebäude warten?
In der Tat kann man die Repubblica Sociale Italiana, die Soziale Republik Italien, nach Salò volkstümlich benannt wg. einer der Hauptstädte (nachdem Rom ja eigentlich nicht mehr zur Verfügung stand), als ein Spielzeug betrachten. Oder anders, die Aufrechterhaltung des Anscheins einer noch existierenden Achse zwischen Reich und Impero, trotz oder wegen der vormarschierenden alliierten Truppen, die da schon in Italien gelandet waren.
Auf den zweiten Blick war es eine reine Strohmannregierung, das Vorhalten eines machtlosen Menschen, Mussolini, vor dem Karren des Bestimmers von diesseits der Alpen. Und in gewisser Weise trifft das auch auf die Regierungen (mittlerweile 4) Berlusconi vor. Der braucht die Lega, um an der Macht zu bleiben (die er wiederum braucht, um nicht ins Gefängnis zu gehen) und sekundiert daher beinahe jeden ihrer Wünsche, begonnen beim Schlüsselministerium des Inneren und geendet bei den sog. Sicherheitsgesetzen. Ist er aber nur ein Popanz?
Ich denke nein, Berlusconi hätte durchaus die Wahl anderer Bündnispartner, etwa die UDC von Pier Ferdinando Casini. Die Karte zieht er aber nicht, da er dort wesentlich mehr zu arbeiten und debattieren hätte: Die monokratische Entschiedungs“achse“ Berlusconi – Bossi – Maroni ermöglicht leichtes Regieren, um sich nebenher noch um Scheidung, 2 Strafverfahren und etliche Zivilverfahren mit Millionensummen betreuen zu können.
Also Jein, geehrter J. A.-P., aber wie immer interessant und Anlass zur (Selbst)Reflexion , Ihren Fragen nachzugehen.
Ihr e2m
Lieber Hibou,
wir waren jetzt ein paar Generationen gewöhnt, Regionalkonflikte unter dem Blickwinkel der Befreiung zu sehen, etwa von einem "ungerechten" oder hegemonialen Zentralstaat. Der Zerfall der UdSSR oder die Zerreißprobe in der Russischen Föderation, der Konflikt um Irland, Baskenland in Spanien, Korsika für Frankreich, alles irgendwie „Lossagungen“, die viele Unterstützer gefunden haben.
Nun erleben wir, begonnen bei Jugoslawien, über Tschechien und der Slowakei, weiter über Kärnten in Österreich, „Padanien“ in Italien, Flamen und Wallonen in Belgien als homogen gesehene Staaten, eigentlich Nationen, unter dem Druck von, ja, von was eigentlich? zerfasern. Was ich hier unmittelbar in der Umgebung beobachten kann, ist eine neue Form des Nationalismus, den Regionalismus, der national so ausgekleidet wird, dass er als Hort, als Nest, als Heimat, nennen Sie, wie Sie es wollen, für mich: Stützpunkt für ein größeres Projekt dienen kann. Insofern bedauere ich es sehr, dass Fidelches Artikel zum Schwundgeld „Chiemgauer“ nicht mehr greifbar ist, denn auch das gehört in diesen sehr sonderbaren, für mich anrüchigen Regionalismus hinein.
Bayern unter FJS war ja eher ein Kokettieren mit der eigenen Staatsbürgerschaft, die es ja sogar implizit gab: Das populistische Pendant zum klaren Dictum ggü. der CDU „Mischt Euch nicht bei uns ein“. Die Bundestreue wurde damit aber nie auch nur annähernd in Frage gestellt wie dies nun mit den unverhohlenen Sezessionsbekundungen der Lega Nord der Fall ist. Kleine Schlußbemerkung: Wäre Brüssel nicht Zentrum der EU, Belgien wäre wahrscheinlich schon lang zerfallen.
P.S.: Die Bar, die ich meine, war am Übergang zwischen Ludwigstraße und Heuwinkel, auf der linken Seite Richtung Dom gesehen.
Das Inselchen könnte mir auch gefallen.
Lieber ed2murrow,
wir haben Ihren Text nach vorne auf die Startseite gestellt und dort auch bebildert.
Herzliche Grüße
Maike Hank
Vielen Dank für Titel/Photo auf der Startseite, das Alles gefällt mir sehr gut und ist ganz in meinem Sinne.
Dass wir zwar immer an "Befreiung" dachten, ist richtig. Andererseits hat schon Wilson 1918 (?) diese Kleinstaaterei (wohlgemerkt nicht für die USA) gefordert. Ein Thema "Übernationalitaet" oder "Transnationalitaet" waer mal nötig.....
...weswegen ich schon vor Jahren in mein damals noch nicht öffentliches Tagebuch schrieb, Globalisierung (nimmt man den Begriff wörtlich und nicht gleich wieder normativ) berge auch Chancen, wenn man sie sehen wollte.
@ed2murrow
"Nun erleben wir, begonnen bei Jugoslawien, über Tschechien und der Slowakei, weiter über Kärnten in Österreich, „Padanien“ in Italien, Flamen und Wallonen in Belgien als homogen gesehene Staaten, eigentlich Nationen, unter dem Druck von, ja, von was eigentlich? zerfasern."
Staaten brauchen identitätsstifende Erzählungen/Mythen, um dauerhaft zu funktionieren. Ohne das daraus erwachsende, teilweise irrationale Zusammengehörigkeitsgefühl tritt früher oder später genau dieser Zustand der "Zerfaserung" ein.
@gweberbv
Staaten brauchen identitätsstiftende Erzählungen/Mythen, um dauerhaft zu funktionieren. Ohne das daraus erwachsende, teilweise irrationale Zusammengehörigkeitsgefühl tritt früher oder später genau dieser Zustand der "Zerfaserung" ein.
Nun ist es bei Italien ja nicht so, daß dieser Staat von außen irgendwie zusammengepreßt worden wäre. Ganz im Gegenteil, es waren immer wieder auswärtige Mächte, die Teile Italiens, vor allem im Süden, unter ihre Oberhoheit brachten. Das hat schon Dante beklagt, Machiavelli hat dies fortgesetzt und vor ca. 150 Jahren hat dann die staatliche Einigung geklappt.
Ich weiß nicht, ob es immer noch so ist, aber früher ist auf Veranstaltungen der Lega Nord gern der Gefangenenchor aus "Aida" gespielt worden, Bossis Lieblingsmusik. Der obszöne Witz dabei ist, daß genau diese Arie auch die Hymne des Risorgimento war, also das musikalische Symbol für die Einigung Italiens.
Ciao
Wolfram
Da bin ich mir nicht sicher, zumindest nicht für Italien. Dort ist nicht der Mythos, Italien sei auf der Resistenza aufgebaut, eingegangen und daraus die Lega entstanden. Es ist vielmehr das Machtvakuum gewesen, das durch das Verschwinden der großen "Volksparteien" PCI und DC entstanden ist, das das Entstehen erst ermöglicht hat. DC, und mit ihr letztlich auch PSI und PRI, gingen aufgrund strafrechtlicher Implikationen ihrer Führungspersönlichkeiten, der PCI teils aus politischer, teils aus finanzieller Konsequenz des Untergangs der UdSSR. Was die Lega dabei bedient hat (und auch den Wunsch selbst befeuert, seitdem sie das Innenministerium innehat), ist Law Order, weil an "Gesetzlosigkeit die erste Republik eingegangen ist". Dass diese "Sauberkeit" auch noch esoterisch angehaucht wurde/wird, zeigt, wie sehr die Lega in einer faschistischen Tradition steht.
Das war eine Antwort auf gwerberbv.
@ed2murrow
Was die Lega dabei bedient hat (und auch den Wunsch selbst befeuert, seitdem sie das Innenministerium innehat), ist Law Order, weil an "Gesetzlosigkeit die erste Republik eingegangen ist".
Bemerkenswert dabei ist, daß diese Law-and-order-Politik mit einem Ministerpräsidenten durchgeführt wird, von dem jeder weiß, daß er Gesetz und Ordnung scheißt.
Ciao
Wolfram
Ein "auf" zum Geschenk und ein dankbares Nicken für die noch klareren Worte.
Daraus entsteht in den deutschen Medien immer wieder der Eindruck, der Berlusca würde immer gewählt. Dabei stagniert seine PdL bzw. geht zurück, während LN immer stärkeren Zuspruch erfährt: Parlaments- über Europa- bis hin zu den Regionalwahlen.
@ed2murrow
Ein "auf" zum Geschenk
Ich bedanke mich für den Hinweis auf diesen Tippfehler. Ohne das "auf" bekommt der Satz die gegenteilige Bedeutung.
Daraus entsteht in den deutschen Medien immer wieder der Eindruck, der Berlusca würde immer gewählt. Dabei stagniert seine PdL bzw. geht zurück, während LN immer stärkeren Zuspruch erfährt: Parlaments- über Europa- bis hin zu den Regionalwahlen.
Der eine macht Law-and-order-Politik mit einem landesweit bekannten Gangster, der andere koaliert mit Separatisten, welche die Bevölkerung des Südens mit rassistischen Beleidigungen überziehen und fährt damit im Süden ziemlich gute Ergebnisse ein.
Den Italienern haben sie, so scheint es, ins Gehirn geschissen. Wahrscheinlich ist das sogar wörtlich zu nehmen, denn die Medienmacht von Berlusconi ist offensichtlich tatsächlich in der Lage, einen Großteil der Italiener so zu beeinflußen, daß sie nicht mehr mitbekommen, was eigentlich um sie rum passiert.
Ciao
Wolfram