Naturschutz nach Herrenmenschenart

Kommentar Ein Nürnberger Naturschützer und sein Editorial über ein „Volk ohne Raum“

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Natur-, Arten- und Landschaftsschutz – wem brennen die Themen nicht unter den Fingernägeln? Denn natürlich ist es so, dass jedes menschliche Projekt in die „Wunder, die wir Schöpfung nennen“ eingreift. Statt aber „eben dort demütig“ zu werden und „dem Herrgott danken“, errichten die Ungläubigen wie Undankbaren „Riesentotems eines Kults der unbegrenzten Energie“.

Schrieb es Enoch Freiherr von und zu Guttenberg wortgewaltig per FAZ und trat im vergangenen Mai aus dem BUND aus. Dem oberfränkischen Edelmann aus dem Weiler Guttenberg bei Kulmbach war die Haltung des Bundes für Umwelt- und Naturschutz in Deutschland im Widerstand zu lasch: Gegen eolische Anlagen, die „Geländefresser“ und mit dem „Elendsbild eines besetzten, seiner selbst beraubten Landes nunmehr auch in Bayern“ vor Augen.

Einen Landschaftsverbraucher ganz anderer Art hat nun Günther Raß ausgemacht. Der Vorsitzende der Kreisgruppe Nürnberg im Bund Naturschutz Bayern hat im Editorial des Ende Februar erschienen Mitgliedermagazins Der Mauersegler an „Liebe Mitglieder, liebe Freunde der Natur“ geschrieben:

Im Grunde genommen ist Deutschland aus Naturgesichtspunkten überbevölkert. Es gibt nur noch Reste von natürlichen Lebensräumen mit all ihrer Artenfülle. Ein Volk ohne Raum also?

Die Ursache hat Raß parat:

Nürnberg wächst und wächst. Noch nie lebten so viele Menschen in unserer Stadt. Vor allem Zuwanderer aus dem Ausland zieht es hierher.“

Und es meint der Gruppenleiter, der vergangenes Jahr vom Bayerischen Lebensministerium als „grüner Engel“ für sein Engagement ausgezeichnet wurde:

Migranten sollen und wollen sich auch bei uns in Nürnberg wohlfühlen und eine schöne Natur genießen können. Doch schnell sind wir bei einem Problem: Wie viele Migranten/Ausländer verkraften wir?

Die Lösung hat der Experte natürlich auch schon parat: In „vielen Ländern“ das „Bevölkerungswachstum zurückschrauben“ und dort den Frauen erlauben, „keine Kinder gebären zu müssen, wenn sie es nicht wollen.“

Das Weltbild des Mannes, der unter anderem für Exkursionen mit Kindern und Jugendlichen verantwortlich zeichnet, ist fatal.

Da ist nicht nur die Sache mit dem „Volk ohne Raum“, das als Buchtitel höchst zweifelhaften Inhalts 1926 erschien und später als politische Parole für den Eroberungsfeldzug des „Dritten Reichs“ im Osten herhielt. Da ist nicht nur der Beleg für den Verbreitungsgrad der Sarrazin‘schen Thesen, von denen eine lautet, die Türken würden „Deutschland genauso erobern, wie die Kosovaren das Kosovo erobert haben: durch eine höhere Geburtenrate.“ Und da ist nicht einmal die interessante Frage, was wohl solche Vereine, denen Beteiligungs- und Verbandsklagerechte nach den Naturschutzgesetzen in Bund und Ländern eingeräumt sind, tatsächlich für Ziele verfolgen, wenn sie mit derlei Spitzenpersonal ausgestattet sind.

Was wirklich fassungslos macht, ist das Wiederkennen einer Struktur. Keineswegs wird wie noch bei Dieter Wieland die völlig verfehlte urbane Planung in den meisten Ballungsräumen dieser Republik als Übel genannt – diese Zersiedelung per Flächennutzungsplan mit Kleinstparzellen und den 50 qm-Häuschen obendrauf, die Naturnähe nur bukolisch vortäuschen, statt sich auf Projekte wie die 2008 zum UNESCO-Welterbe erhobenen Siedlungen in Berlin zu besinnen.

Es ist vielmehr die buchstäbliche Impotenz von Figuren wie Raß gegenüber den kommunalen Planungsreferaten, die einen hinlänglich bekannten Automatismus erwachen lassen: Nach anderen Verantwortlichen zu suchen, auf die man wesentlich ungenierter und ohne Furcht, einen Nachteil im eigenen Nest gewärtigen zu müssen, mit dem ausgestreckten Zeigefinger hinweisen kann.

Auch das ist nicht das erste Mal, dass ein solcher Geist durch deutsche Landen wabert. Hier der oberfränkische Großgrundbesitzer, der um den Wert seiner Wälder fürchtet, weil Rotoren für das einfache Volk und dessen Bedürfnisse ganz im Wortsinne: seine Landschaft verschandeln. Und dafür den Herrgott als Zeugen beruft. Dort der Kleinbürger, der sein Lebenswerk durch eine Projektion in Grün gekrönt sehen will und sich eigens potemkinsche Dörfer nebst Jägerzaun erschafft. Als Schutz vor Ausländern und Migranten. Dieser Zangenbewegung hat sich noch kein erkorener Sündenbock auf deutschem Boden entziehen können.

Das ist der Geist des Reichsnaturschutzgesetzes von 1935, das in seiner Präambel rezitiert:

Heute wie einst ist die Natur in Wald und Feld des deutschen Volkes Sehnsucht, Freude und Erholung […] Die deutsche Reichsregierung sieht es als ihre Pflicht an, auch dem ärmsten Volksgenossen seinen Anteil an deutscher Naturschönheit zu sichern.“

Eine Frage des, wie das Gesetz meint: ideellen Schadens.

Oder um es mit Dieter Wieland zu widerlegen: Zeigen, „wie unglaublich gut man drei Stockwerke übereinander wohnen kann“. Dann erledigt sich das mit dem Lebensraum nebst Herrenmenschenalbträumen wie von selbst. e2m

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

ed2murrow

e2m aka Marian Schraube "zurück zu den wurzeln", sagte das trüffelschwein, bevor es den schuss hörte

ed2murrow

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