Out of Journalism

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Selten war ein Profi so unumwunden persönlich und bitter : „Die junge Wissenschaftlerin, die sich über Drittmittel finanzieren muss, die jeweils nur für sechs Monate garantiert sind – sie hätte gern ein Kind, aber ihr Mann arbeitet ebenfalls prekär, unterbezahlt und 60 Stunden pro Woche; er ist Onlinejournalist.“ Das ist nicht etwa ein Revanchefoul des als Chefredakteur von ZEIT-online abgelösten Gero v. Randow, sondern das ohnmächtige Kopfschütteln gegenüber dem Niedergang einer ganzen Streitkultur, die,ökonomischen und anderen Zwängen ausgesetzt, Meinungen, deren Transportvehikel und letztlich auch die private Dimension umfasst. In puncto Medien kann die Diskussion an der „Hamburger Erklärung“ vom Juni 2009 festgemacht werden, die, von 166 Verlagen unterschrieben, kämpferisch artikuliert: „Wir widersprechen all jenen, die behaupten, dass Informationsfreiheit erst hergestellt sei, wenn alles kostenlos zu haben ist.“ Wie schon vorher, im Mai, amerikanische Verlagshäuser, u.a. Gannett, McClatchy, New York Times Co., Scripps und Hearst die Fragen stellten: Wie können wir, alle zusammen und ohne den freien Wettbewerb zu behindern, Nachrichten online bringen, ohne dass das Produkt sofort kannibalisiert wird, ohne demjenigen, der es ins Netz gesetzt hat, irgendein Revenue zu verschaffen? Oder ist an der Misere gar die digitale Revolution selbst schuld, wie etwa Nicholas Carr zur „Zukunft in der Matrix“ vermutet: „Das Elektrizitätsnetz trug einst dazu bei, breite Mittelschichten zu erschaffen; es könnte sein, dass das Computernetz dazu beiträgt, diese Mittelschichten wieder zu zerstören.“ Vom grundlegenden System bis hin zum letzten Arbeitsplatz, alles scheint in Bewegung geraten oder gar fragwürdig zu sein. Nur der Endverbraucher, der Leser, bleibt irgendwie schemenhaft im Hintergrund.

Glaubt man dem Verweis von Claudio Giua („Der Journalismus auf der digitalen Bühne“) des italienischen „L’Espresso“ auf eine Studie von Moody‘s vom Juni 2009, dann sieht die Kostenstruktur bei Tageszeitungen derzeit so aus: 70% für Druck, Verteilung und Personalverwaltung, 16% für die Anzeigenverwaltung, 14% um den Inhalt zu produzieren. Im Lichte dieser recht erstaunlichen Zahlen bekommt die Diskussion um den Gratisinhalt von Printerzeugnissen im Web aus der Perspektive des Endverbrauchers sofort einen Geschmack: Um Kosten bei Druck und Vertrieb einzusparen, und unter dem Menetekel von 26% weniger Werbeeinnahmen im laufenden Jahr, steht das Netz als günstigere Alternative zur Verfügung. Nur muss das Publikum jetzt umgewöhnt und –erzogen werden. Der sybillinische Satz des Herausgebers Sulzberger vom Februar 2007 in der israelischen Haaretz, „die New York Times befindet sich auf einer Reise, die dann enden wird, wann das Unternehmen sich entscheidet, den Druck der Zeitung einzustellen“, erhält damit im Nachhinein eine eindeutige Interpretation. Recht pointiert und sehr zutreffend stellt Edelblogger Luca de Biase („Die Zeitung ist nicht ihr Papier“), ebenfalls in „L’Espresso“, in dem Zusammenhang den derzeitigen Rudelführer Rupert Murdoch dar. Dieser sei zwar ein globaler Herausgeber, habe aber keinen wirklichen Draht zum weltweiten Web. 1998 habe er seine NewsCorp ins Netz gebracht, um zu sehen, wie das überhaupt sei. 2001 erklärte er, dass er daraus wieder aussteigen wolle. 2006 investierte er allerdings massiv im www, um die Werbewelle mitzunehmen. Und als er das Wall Street Journal kaufte, wollte er die Zeitung sogar kostenlos zur Verfügung stellen, um die Werbeeinnahmen zu steigern. Nun, 2009, will er sämtliche Inhalte all seiner Produkte nur noch gegen Bezahlung anbieten. Resümee: „Sicher beweist Murdoch seine intellektuelle Beweglichkeit, aber auch eine gewisse Beschränktheit in der Fähigkeit, die Entwicklungen des Informationssystems im Netz zu interpretieren.“ Die Essays von Giua und de Biase stehen im Zusammenhang mit einer Frage, die das Magazin „L’Espresso“ direkt seinen Lesern stellt: Ist das Netz für die Information schädlich oder nicht?

Die Fragestellung hat sehr viel mit Selbstverständnis zu tun, sowohl auf der Medien- als auch auf der Leserseite. Nach der Freiheit des Gedankens und dem Recht, ihn frei äußern zu dürfen, hat die virtuelle Revolution einen weiteren Aspekt vom Prinzip zum praktizierten Allgemeingut erhoben: „[…] sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten“. Was als kommunikationstechnische Notwendigkeit im CERN begann, über Akademikerkreise schnell in die Welt hinauswuchs und schließlich als Gadget im Kommerz landete, hat mittlerweile eine ganze Generation geprägt. Die allgegenwärtige Möglichkeit selbst in Ländern der sog. Dritten Welt, sich des Netzes oder aus ihm zu bedienen, hat dabei nicht nur Anspruchsdenken geweckt, wie es die Hamburger Deklaration nahe zu legen scheint, sondern eine besondere Form der Rezeption. Für dieses Paradigma steht Wikipedia wohl am auffälligsten. Die dort veröffentlichten enzyklopädischen Einträge sind nicht selten Frucht außerordentlich kontroverser Auseinandersetzungen, die auf der „Diskussionsseite“ des jeweiligen Beitrages nach zu vollziehen sind. Neben der Information ist ihre Entstehung, mithin ihre Glaubwürdigkeit nachprüfbar geworden, gespeist zudem aus den Quellen, zu denen man seit über zehn Jahren ungehindert Zugang hat. Aufgrund der Debatten werden die Quellen selbst wiederum zum Gegenstand der Interpretation, des Vergleiches, der Evaluierung. Einen kritischeren Geist, zumal im planetaren Ausmaß, hätte sich Descartes wohl nicht vorstellen können, Hearst erst Recht nicht.

Will man dieses Ressourcenbündel bestehend aus Bildung, Kompetenz, Kreativität beschneiden, wenn man das „Gratisnetz“ in Frage stellt? Die sonderbare zeitliche Parallelität der Diskussionen um kostenlosen Content in den Medien und Relevanz bei Wikipedia scheint das nahe zu legen. Denn Relevanz bedeutet letztlich auch immer Meinungshoheit, und die muss sich zwangsläufig ändern, wenn die Wissensbasis, die Information und ihre Vehikel, transformiert wird. Auch sollte man sich nicht täuschen lassen, dass die Gratis-Kontroverse vordergründig nur an der Suchmaschine Google festgemacht wird. Bereits vor Jahren setzten sich AFP, die führende französische Nachrichtenagentur sowie die US-Agentur Associated Press mit Google gerichtlich auseinander, in beiden Fällen kam es zu einer geldwerten Einigung, deren Ausmaß allerdings geheim gehalten wurde. Nichts würde die Verlegergemeinschaft hindern, sich ebenso mit dem milliardenschweren Stichwortegeber auseinander zu setzen oder den Verhandlungsweg zu gehen, wie es im Buchgeschäft derzeit der Fall ist. Die genaue Beantwortung kann man sich allerdings sparen, die Beschneidung der Grundlage tatsachenbasierten Allgemeinwissens wird bei der derzeitigen Stoßrichtung der Verlage zumindest billigend in Kauf genommen. Weil Druck und Vertrieb so unverschämt teuer geworden sind? Eher weil die Entwicklungen im Netz aus reiner Ignoranz nicht erkannt worden sind. Und vielleicht weil man alternativen Geschäftsmodellen wie etwa dem Mäzenatentum keine Plattform mehr bieten will.

Eine weitere Komponente ist in der internationalen Sprach- und Kulturentwicklung zu sehen. Ist es dem Zeitungsleser bestenfalls unter erschwerten Bedingungen möglich, ausländische Produkte zu Rate zu ziehen, weil es sie hierzulande grundsätzlich nur in Bahnhöfen oder internationalen Buchhandlungen gibt, so ist der Nutzer im Netz nur einen Mausklick von jedem beliebigen geographischen, damit sprachlichen Standort entfernt, vom politischen Standpunkt ganz zu schweigen. Mit dieser Chance geht eine Entwicklung einher, von der jeder europäische Integrierer nur träumen kann: Verspricht ein Thema in einem bestimmten Land akut zu werden, macht sich der Interessierte dorthin virtuell auf den Weg; was er nicht versteht, lässt er sich gratis (sic) wenn auch nicht ganz fehlerlos übersetzen, bessert gleichwohl seine eigenen Sprachkenntnisse auf und lernt auch noch nebenbei die oft besondere Wahrnehmung im betreffenden Land kennen. Der unerwünschte Zugang zum Netz wurde etwa in Deutschland und Frankreich unterschiedlich angegangen. Wurde er innerhalb unserer Grenzen ausschließlich unter der Rubrik „schwere Straftaten“ abgehandelt, war beim Nachbarn das Urheberrecht zentrales Thema mit der Folge, dass nun dort eine „Hohe Behörde für die Verbreitung von geistigen Werken und den Schutz derer Rechte im Internet“ (Hadopi) über das Netz wacht. Strafbewehrt versteht sich. Dass sich damit ein Modell für eine Oberste Zensurbehörde im europäischen Maßstab etablieren könnte, wird sich nur der fragen, der das Phänomen im spezifischen Kontext etwa bei „Le Monde“, „Libération“ oder „Le Figaro“ erlesen und mit der Wirklichkeit im eigenen Land verglichen hat. Dass mit Globalisierung, oder etwas enger mit Europäisierung der Verhältnisse auch eine entsprechende Palette der Information zur Verfügung steht, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Die Zerstückelung auf „nationale Blätter“ kann da nur als medialer „Roll-Back“ in Zeiten vor der EWG bezeichnet werden. Auch hier ist es müßig, zu mutmaßen, ob das gewollt sei; Europa wird jedenfalls ganz aktuell zur Disposition gestellt, von dem bekennenden Anti-Europäer Murdoch angeführt.

Dem Internetuser wie dem Leser einer Zeitung ist es herzlich egal, wie sich das Medium rechnet. Hier hat sich ohnehin eine Überkapazität aufgebaut, die zunächst Nischenprodukte zum Rückzug gezwungen und nun das Kern-, das Informations- und Meinungsgeschäft getroffen hat. Da geht es den Verlegern und ihren Angestellten aber nicht anders als einem Autobauer in Rüsselsheim. Nur ist die Argumentationskette wesentlich infamer, denn diese Branche erachtet sich nicht nur als systemrelevant, sondern geradezu systemimmanent. Die „vierte Macht“ nennt sie sich und macht das Ideal derart an Zuwendungen fest, dass ein Ministerpräsident Beck sogar dementieren musste, hierfür Gebühren ins Spiel gebracht zu haben. Wer kontrollierte dann noch die Kontrolleure? Und ist es da nur bittere Erkenntnis oder beißender Zynismus, wenn Edwy Plenel, geschasster geschäftsführen Redakteur von „Le Monde“ zum Besten gibt: „Die Journalisten wissen heute nicht mehr, was ihre eigentliche Aufgabe ist. Und deswegen ist das Entstehen der Online-Zeitungen vor allem ein Zeichen für die Krise der Demokratie in Frankreich". Ersparen wir uns auch auf diese letzten Fragen eine Antwort, Realsatiren haben die Eigenschaft, eben solche zu sein und keine zu erwarten. Vielmehr erscheint es wichtig, Vorstellungen zu formulieren, was der Nutzer für die Zukunft wünscht, gleichsam das nachfragebasierte Pendant zum selbstgeouteten journalistischen Widersinn. Auch von dieser Seite her ist die Diskussion eröffnet, wer an ihr nicht teilnimmt, möge sich hinterher nicht beklagen.

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Geschrieben von

ed2murrow

e2m aka Marian Schraube "zurück zu den wurzeln", sagte das trüffelschwein, bevor es den schuss hörte

ed2murrow

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