Rassismus und die Meinungsführerschaft

Rassismus Um den Rassismus von Thilo Sarrazin zu erkennen, muss er nicht durch Kauf seines Buches auch noch unterstützt werden. Es reicht ein gratis-Blick in die WamS online

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Selten wurde ein Buch schonvor seinem Erscheinen so ausführlich besprochen und diskutiert, wie das des Herrn Sarrazin „Deutschland schafft sich ab“.Aufgrund früherer Äußerungen und sorgfältig lancierter Texthäppchen war das zu erwarten, vor allem von Seiten derer, die es nicht gelesen haben.

Den interpretativen Schlüssel, den Zugang zu seinem Opus Magnus hat das Vorstandsmitglied bei der Deutschen Bundesbank nun in einem ausführlichen Interview mit der WAS vom heutigen Tage geliefert. Unter dem Titel „Mögen Sie keine Türken, Herr Sarrazin?“ steht beziehungsreich das Bekenntnis: „Ich bin kein Rassist“. Dieses Feigenblatt hilft freilich nicht über einen ganz anderen Eindruck hinweg. Im Text heißt es:

Welt am Sonntag: Gibt es auch eine genetische Identität?
Sarrazin: Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen, Basken haben bestimmte Gene, die sie von anderen unterscheiden.
Welt am Sonntag: Wir haben also andere Gene als die Menschen hier im türkischen Café?
Sarrazin: Sie bringen mich nicht aus der Ruhe. Ich sage meine Dinge. Bis vor wenigen Jahrzehnten spielte Einwanderung für den Genpool der europäischen Bevölkerung nur eine geringe Rolle und vollzog sich überdies sehr langsam. Drei Viertel der Ahnen der heutigen Iren und Briten waren bereits vor 7500 Jahren auf den Britischen Inseln. Es ist nämlich falsch, dass es Einwanderungsbewegungen des Ausmaßes, wie wir sie heute haben, schon immer in Europa gegeben hätte. Seit der Völkerwanderung gab es solche Verschiebungen nicht mehr. In meinem Buch rede ich zudem nicht von Türken oder Arabern, sondern von muslimischen Migranten. Diese integrieren sich überall in Europa deutlich schlechter als andere Gruppen von Migranten. Die Ursachen dafür sind nicht ethnisch, sondern liegen offenbar in der Kultur des Islam. Vergleichen Sie die Integrationserfolge von Pakistani und Indern in Großbritannien.
Welt am Sonntag: Wer „Kultur“ sagt und „Gene“ und noch lieber „Rasse“ gesagt hätte, der muss mit Vorwürfen rechnen.
Sarrazin: Ich bin kein Rassist.“

Natürlich war zu erwarten, dass via BamS der ehemalige Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Michel Friedman in einem Gastbeitrag postwendend retourniert:

"Es kann keine Toleranz mehr für diese Intoleranz geben. Wir brauchen Brückenbauer und keine Hassprediger, schon gar nicht im Vorstand der Deutschen Bundesbank."

Auch sonst wird wegen des Beipasses des „genetisch bestimmten Juden“ die Bezeichnung Antisemitismus oder, etwas weiter gefasst, Rassismus verwendet. Dass es aber die Gegenüberstellung „Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen“ zu „In meinem Buch rede ich zudem nicht von Türken oder Arabern, sondern von muslimischen Migranten“ ist, was Grund wäre, sich über „Rassismus“ zu unterhalten, das zu erkennen fällt schwer. Nur dass es ein solcher sei, will selbstverständlich sein, die Wichtung hingegen weniger.

Denn sonderbarerweise scheint die völlig willkürlich anmutende Durcheinanderwirbelung von sozialen, nationalen, biologischen, ethnischen und sogar völkischen Konnotationen erst die explosive Mixtur auszumachen, die das Wehklagen im Unisono bewirkt hat. Viele der Aspekte, für sich und einzeln betrachtet, „genetischen Differenzierunganders als wir im ehemaligen Frankenreichnationale Differenzierungreligiöser Differenzierungwirtschaftliche Differenzierungsozialen DifferenzierungFähigkeit zur Assimilation).

Es ist die Geschichte des Antisemitismus, dessen gesamte Genese, die da erzählt wird, vorgeführt in zwei Sätzen, und selbst da ganz unverblümt ohne Frage danach, ob mit „Juden“ eigentlich der Israeli oder doch der Gläubige gemeint sein könnte. Im Interview wird klar, der Muslim hier und heute ist wie vor den Nürnberger Prozessen der Jude in der Diaspora, in allem und für alles.

Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass Verführer selten Klartext reden, erst recht nicht in einem Buch. Dort hat der Autor genügend Zeit, das zu redigieren, was inopportun erscheinen mag. Interviews sind anders. Durch das Frage- und Antwortspiel offenbart sich die weniger geschliffene Seite und manchmal sogar das eigentliche Fundament einer angeblich an „Zahlen und Fakten“ orientierten Haltung: Vorurteil, aus Ignoranz geboren, gepaart mit Sendungsbewusstsein. Es wäre müßig, auf Figuren wie die Reichsbänker Hjalmar Schacht oder Walther Funk zu rekurrieren. Im Gegenteil, es würde deren Schuld letztlich nur relativieren. Genügend ist, Thilo Sarrazin als das zu benennen, was er ist: Ein Menschenfeind.

Diesen mit Geld für seine Publikationen zu unterstützen, fällt dem Verfasser dieser Zeilen nicht ein. e2m

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Geschrieben von

ed2murrow

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ed2murrow

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