Strom der Evolution - Das Freilichtmuseum

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Begibt man sich auf die Reise von Los Angeles Richtung Mojave-Wüste, ist es nicht mehr die Fahrt durch leere Landschaft, die Balsam sein soll für wunde Großstadtseelen. Alleine am Pass zwischen den Dörfern Tehachapi und Mojave stehen rund 5.000 Windräder, die derzeit 800 Millionen Kilowattstunden produzieren. Der Vertrag zum Bau weiterer 600 Rotoren ist im Juli unterschrieben worden, deren Nennleistung 1.550 Megawatt betragen soll. Anlagen wie bei Tehachapi gibt es an den Pässen von Altamont und San Gorgonio. Wind und Sonne haben ihre Abnehmer gefunden.

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Es sind verstörende Bilder wie diese, die in Deutschland einen noch leisen, aber stetig wachsenden Widerstand gegen Windkraftanlagen haben entstehen lassen. Zitat aus einem einschlägigen Blog: „Ganze Landstriche sind mit diesen Anlagen zugestellt. Die Menschen in mittelbarer Nähe leiden unter dem verschandelten Landschaftsbild, dem störenden Geräusch, dem Schattenwurf und darunter, dass ihre Grundstücke und Häuser an Wert verloren haben. Und für alles, was fliegt, sind die sich drehenden Flügel eine tödliche Gefahr.“ Discoeffekt, Schattenwurf, spezifische Schallschutzimmissionen sind mittlerweile gängiges Vokabular in Juristenkreisen und Gerichtsurteilen. Dabei ist das eigentliche Argument, das gegen Pylone von über 130 Metern und lange Flügel streitet, eher verschämt behandelt worden, das der Ästhetik. Unter Verschandelung versteht nämlich jeder etwas anderes.

Eine Wartburg, viele Steine die anstoßen

Zum Prüfstein zwischen schönem Schein und dem, was unter der Hand bereits als windiges Geschäft geschmäht wird, scheint nun die Wartburg geworden zu sein. Sie gilt als „ein hervorragendes Denkmal der feudalen Epoche in Mitteleuropa“, so die Begründung der UNESCO 1999 bei der Aufnahme der Anlage in die Welterbeliste. Natürlich spielt auch eine Rolle, dass hier Luther weilte und mit der Übersetzung des Neuen Testamens ins Deutsche begonnen hatte: „Das von ihm bewohnte Kavaliersgefängnis, die Lutherstube, wurde zum Ziel unzähliger Pilger“. Pilger, das sind rund 400.000 Besucher, die jährlich die touristischen Einnahmen des Freistaates Thüringen aufbessern. Das alles werde beeinträchtigt, so die Lesart, weil in knapp 8 km Luftlinie zwei Säulen aus Beton gebaut werden sollen, zwei Windkraftanlagen auf dem Milmesberg zwischen den Dörfern Marksuhl und Eckardtshausen. Die Baugenehmigung dafür wurde 2005 vom Landratsamt Wartburgkreis erteilt und von der Gemeinde Marksuhl angefochten. Am 28. Juli entschied das Verwaltungsgericht Meiningen, dass gebaut werden darf.

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Die Reaktion folgte prompt. In einem Schreiben an den Thüringischen Kultusminister Christoph Matschie (SPD) drückte die deutsche Vertretung des International Council on Monuments and Sites (Internationaler Rat für Denkmalpflege, ICOMOS) ihre „ernste Sorge“ aus. Die „mittelalterliche Burg in Deutscher Waldlandschaft“ bilde eine „Einheit mit der umgebenden, bewaldeten und unberührten Mittelgebirgslandschaft“, die durch den Bau gestört werde. Die unterschwellige Botschaft lautet, die Staatsregierung möge das noch nicht rechtskräftige Gerichtsurteil ganz schnell anfechten, weil sonst Konsequenzen drohen. Seitdem herrscht in der gesamten Landesregierung Unruhe, denn solche Worte haben Gewicht. ICOMOS ist die wichtigste von den drei namentlich genannten Fachorganisationen, die laut der Welterbekonvention von 1972 die UNESCO bei der Aufnahme von Kulturdenkmälern auf die Welterbenliste berät. Oder bei deren Streichung. Und ein Debakel wie den „Dresdner Brückenstreit“, der überall nur böses Blut hinterlassen hat, will sich Thüringen offensichtlich nicht leisten.

Der stille Bezug auf die sächsische Landeshauptstadt ist allerdings nur oberflächlich. Denn was 2006 die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule gutachterlich als visuelle Beeinträchtigung des Elbtales feststellte, damit den Entzug des Status‘ als Welterbe bewirkte und schließlich einer ganzen Stadt den Makel der Kulturlosigkeit aufdrückte, lässt sich nicht ohne weiteres auf die Wartburg übertragen. Die beschworene „unberührte Mittelgebirgslandschaft“ findet nämlich im Norden ohnehin abrupt ihr Ende in der Stadt Eisenach und den in 2,5 km Luftlinie gelegenen Opel-Werken, die alles, aber kein Augenschmaus sind. Auch sonst hört die „Deutsche Waldlandschaft“ spätestens in einem Umkreis von 4 km um die Festung der Reformation auf: Dörfer, Betriebe, Äcker, Bundesstraßen sind das Leben, das um das Museum herum pulsiert, weithin sichtbar und für die UNESCO bisher nie ein Grund zur Klage. Worin die Beeinträchtigung durch 8 km entfernte Bauwerke bestehen soll, wäre also effektiv zu klären, nicht nur mit Blick auf das, was landläufig unter Kultur zu verstehen ist.

Schönheit hat ihren Preis

Bei näherer Betrachtung werden zunächst finanzielle Motive offenbar. Selbstredend die der Betreibergesellschaft der künftigen Stromerzeuger, die damit Geld verdienen will. Aber es ist vor allem die Burg, die aufgrund ihres besonderen Status‘ bisher das Geschäft bestimmt. Da sind zum einen die 150 Millionen Euro aus dem UNESCO-Welterbeprogramm, die bis 2013 auf alle Objekte der Welterbeliste verteilt sein wollen. Und es sind die Sonderzuwendungen des Bundes und des Freistaates, die alleine im Jahr 2009 3,8 Millionen betrugen. Das ist der Wartburg-Stiftung und insbesondere deren geschäftsführenden Direktor Günter Schuchardt, der kraft Funktion den Titel eines „Hauptmanns“ der Burg trägt, bestens bekannt. Im Kuratorium sitzen schließlich die Sachwalter über die Geldflüsse beisammen, neben dem Freistaat Thüringen und dem Bund auch die Stadt Eisenach und der Wartburgkreis. Der Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland und das jeweilige Oberhaupt der ehemals regierenden großherzoglichen Familie Sachsen-Weimar-Eisenach komplettieren das Bild. Und damit das eines großen In-sich-Geschäftes unter der Standarte der Kultur.

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Dass Besucher nur wegen zweier Windräder am Horizont ausbleiben werden, ist dagegen eher unwahrscheinlich. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2005 im Auftrag des Bundesumweltministeriums gaben 85% der Befragten an, dass sie sich nicht gegen einen Urlaubsort entscheiden würden, nur weil dort Windrotoren stehen. Knapp 80% sprachen sich generell für Windkraft aus. Natürlich ändert sich das Bild, wenn es um die Frage geht, wie hoch die Akzeptanz von Stromerzeugungsanlagen am eigenen Wohnort ist. Bei Windkraft in der letzten Forsa-Umfrage 2009 kamen die Befürworter auf gerade einmal 55%. Das daraus erkennbare Sankt-Florians-Prinzip setzt sich in den Planungsetagen fort. Denn einerseits will mit Blick auf die Wartburg der Thüringische Bauminister Christian Carius (CDU) Kulturgüter von Windanlagen frei halten. Andererseits wird berichtet, dass er sich für einen verstärkten Ausbau der Windkraft einsetze, nur stehe ihm die Planungsgemeinschaft Südwestthüringen im Weg, die zu wenig Gebiete für die Windkraft ausweise. Die wiederum vertritt die Auffassung, dass bestenfalls 0,15% der Landesfläche überhaupt für die Gewinnung von Windstrom geeignet sei. Wirtschaftsminister Matthias Machnig (SPD) seinerseits will pauschal 1% der Landesfläche für Windgeneratoren frei halten, die CDU hält mit Argumenten des Natur-, Umwelt- und Landschaftsschutzes dagegen.

Immer adrett: Die Planung

Thüringen und seine feste Burg offenbaren, dass die deutschlandweit benutzten Instrumente der Landes- bis hinunter in die Bauleitplanung angesichts der „neuen“ alten Technik Windkraft hoffnungslos überfordert sind. Der grundlegende Paradigmenwechsel liegt nämlich in der schlichten Tatsache, dass der Energieträger nun nicht mehr zu seiner Verarbeitungsstation transportiert werden kann, sondern die Umwandlung dort stattfinden muss, wo das Betriebsmittel Wind anfällt. Und der weht nicht überall mit der erforderlichen Intensität. Angesichts der Siedlungsdichte im gesamten Land und unberührbaren Gebieten wie denen zum Natur-, Landschafts- und nun auch zum Kulturgutschutz werden Vorbehaltsflächen, die stets im Außenbereich angesiedelt werden, zur Rarität. Berechnete man den notwendigen Abstand dann noch mit Entfernungsvorstellungen, wie sie auf der Wartburg zu herrschen scheinen (alles in Sichtweite von einer Anhöhe aus), wäre selbst die rein rechnerische Größe von 0,1% Landesfläche illusorisch. Insbesondere die Berücksichtigung von Partikularinteressen, die bisher bei Bauvorhaben eine Abwägung der unterschiedlichen Belange unter- und gegeneinander bedingen, stößt hier an eine buchstäblich natürliche Grenze. Wo die liegt, veranschaulicht der BUND Naturschutz in seinem Positionspapier zur Windenergie. Will man dort unter Umständen bis zu fünf Windanlagen in „Teilbereichen von Landschaftsschutzgebieten“ befürworten, „wenn der spezielle Schutzzweck nicht entgegensteht“, so soll eine Errichtung bei „flächenhaften Naturdenkmalen“ und „markanten Landschaftsübergängen“ ausgeschlossen sein.

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Visuelle Beeinträchtigungen, markante (Kultur-)Landschaft, diese und ähnliche Begriffe aus einer Planung, die bisher beinahe ausschließlich Großkraftwerke kannte und wo genau diese Argumente letztlich keine entscheidende Rolle spielten, sind ein Dreh- und Angelpunkt geworden, sobald es um die regenerative Stromgewinnung per äolischer Kraft geht. Er ist mittlerweile politisch hoch brisant, denn es geht nicht mehr nur um eine generelle, abstrakte Akzeptanz, die ohnehin besteht, sondern um das Wecken der individuellen Bereitschaft, dafür auch einen persönlichen Preis zu zahlen. Das fällt Regierenden, wie man es derzeit in Thüringen beobachten kann, schwer, die Valuta abfallender Wählerstimmen scheint noch immer höher im Kurs zu stehen als eine bessere Einsicht. Dazu passt, dass die Medien im ihrem Sommerloch die Geschichte zu einer mittelalterlichen Posse verklären: Ganz im Einklang mit dem geschützten Gemäuer sind Bürgermeister mit „Dorfschulzen“ tituliert und der Burgverantwortliche stets mit Hauptmann angeredet. Kastellan und Schultheiß, Schulter an Schulter gegen Windmühlen.

Es fehlen nicht einmal die Wegelagerer. Die haben schon gedroht, den Saft ganz abzudrehen.

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Geschrieben von

ed2murrow

e2m aka Marian Schraube "zurück zu den wurzeln", sagte das trüffelschwein, bevor es den schuss hörte

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