Urlaubsplanung in Runen

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Urlaub ist gefährlich: Erd- und Seebeben, Tsunamis, Vulkanausbrüche, der streitbare Partner, der plötzlich rund um die Uhr an einem klebt. Was zieht Mensch also wirklich zu den Tapeten, die er auch zuhause wechseln könnte? Natürlich Kultur. Vor allem Griechenland und seine Geschichte(n) haben davon noch genug.

Wer Zeit und Geld übrig hat, kann das Inselhüpfen üben, dem schon die Minoer frönten, von Kreta nach Santorini und zurück. Ganz wirklich und in wunderbaren Farben finden sich deren Reste etwa in Phaistos und in Knossós oder im lange unter Asche schlummernden Akrotiri. Während die prächtigen Farben und kolossalen Bauten, die filigranen Muster von Geschirr und Schmuck wirken, erwachen vielleicht sogar die einmal in der Kindheit gelesenen Worte von Gustav Schwab: „Es ist eine schöne Eigentümlichkeit der Mythen und Heldensagen des klassischen Altertums, daß sie für die Blicke des Forschers und für das Auge der Einfalt einen zwar verschiedenartigen, aber doch gleich mächtigen Reiz haben“. Der zwischen den Stühlen des Forschers und der Einfalt Sitzende mag sich sogar erinnern, dass Santorin, damals nannte man es noch Thera, durch einen Riesenvulkan so geformt wurde, wie es heute aussieht, und dass dessen Ausbruch Anlass für viele Legenden gewesen sein könnte, aus denen man sich später frei bediente: Deukalion-Flut und Gilgamesh-Epos, erstes Buch Mose. Die Mittelmeerler waren schon immer dank ihrer blühenden Phantasie außerordentliche Geschichtenerzähler. Wie Platon, der seinen Kritias sagen ließ: [...] so fiel auch dem Poseidon die Insel Atlantis zu, und er verpflanzte seine Sprößlinge [...] auf einen Ort der Insel [...] welche, wie ich bemerkt habe, einst größer war als Libyen und Asien zusammen, jetzt aber durch Erderschütterungen untergegangen ist und dabei einen undurchdringlichen Schlamm zurückgelassen hat [...]“.

Das Dumme ist nur, dass Mythen und Heldensagen wirklich einen teilweise undurchdringlichen Schlamm zurückgelassen haben und massenweise neuen produzieren. Wie uns der Kulturförderverein Ruhrgebiet e.V. mitteilt, ist Atlantis nicht nur irgendwie etwas mit Esoterik, sondern durchzieht die Geschichte des Rechtsradikalismus „wie ein roter Faden: Von den Ariosophen, die in der Inkubationsphase des Nationalsozialismus eine wichtige Rolle spielten, diversen völkischen Autoren in den Zwanziger Jahren, Nationalsozialisten wie Wirth und Rosenberg bis hin zur europäischen Neuen Rechten und deutschen Neo-Nazis“. Deren prominente heutige Denkfabrik in Frankreich sich „Groupement de Recherche et d'Etudes pour la Civilisation Européenne“nennt und entsprechend mit GRECE abgekürzt wird. Der Schritt von ihrem Haupt, dem Herrn de Benoist zurück zu Wiligut aka Weisthor bis hinein ins Ahnenerbe ist dabei nicht mehr der genuin ethnozentrische. So viel scheint an Lektion wohl hängen geblieben zu sein.

Es ist heute etwas, das man Neo-Paganismus nennt, der tatsächlich Esoterik für sich reklamiert, aber vor allem kombiniert mit Tradition eine ultimative philosophia perennis. Die sich gut zu verkleiden weiß, zumeist als eine „Wissenschaft der Sprache“ („Indo-Européens: A la Recherche du Foyer d’Origine“) oder der Zeichen: Runenkunde, die Verbindung zwischen der Sprache, Magie der Götter und dem Idiom der Menschen. Wo vielleicht der morbide Geschmack am Faszinosum zu Werke gehen scheint, war der Chef von Wiligut ganz eindeutig in seinem Schreiben vom 25.10.1937 an den Indogermanisten Prof.Dr. Walther Wüst: Er glaube, dass Chinesen und Japaner „einmal Kolonialvölker eines zentralen Staates und Volkes – wie ich annehme – Atlantis gewesen sind, also aus Völkern bestanden haben, die Jahrhunderte oder Jahrtausende eine, nennen wir es einmal, eine atalantinische Herrenschicht gehabt haben. Diese atalantinische Herrenschicht hat wohl der Kultur und Sprache dieser Völker ihren Stempel aufgedrückt“. Wozu, also ob zu den Forschern, zu den Einfältigen oder zu den Unverbesserlichen, man die zählen kann, die „geradezu eine Renaissance des Interesses an der Runenkunde“ feststellen, die hierzu „von erheblichem Fleiße auch in Japan beiläufig mitbekommen“ haben, meinen „die Japaner sich in der Tat mit großer Ernsthaftigkeit geradezu“ kümmerten, liegt dann ganz im Auge des Betrachters; es zollt jeder auf seine Weise dem Zeitgeist Tribut.

Man sollte dieses Jahr die Griechen mehr in Ruhe lassen, sie können nur in Fragmenten etwas dafür, in aller Munde zu sein, vor allem der falschen. „Denn die Erzählung alter Sagen und die Erforschung der Vorzeit tritt erst mit der Muße in den Staaten ein, wenn sie die Sorge um die Notdurft des Lebens bei manchen als eine schon überwundene vorfindet, und nicht früher“. Oder wenn einem die Felle davon schwimmen.

Während ich darüber nachsinne, warum gerade heute der Feind meines Feindes mein Freund sein soll. Aber das ist höhere Mengenlehre und ein Kapitel für sich.

(kr gewidmet; und den Umständen, die dem Plot einen ganz eigenen Drall gegeben haben)

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Geschrieben von

ed2murrow

e2m aka Marian Schraube "zurück zu den wurzeln", sagte das trüffelschwein, bevor es den schuss hörte

ed2murrow

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