Varoufakis vom Mars

Mockumentary Die deutsche mediale Landschaft zu Griechenland entfernt sich immer mehr von der Wirklichkeit. Jan Böhmermann hat das vorgeführt

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Original und Fälschung (nicht zwingend in dieser Reihenfolge)
Original und Fälschung (nicht zwingend in dieser Reihenfolge)

Screenshot: ZDF

Mann beißt Hund“ ist ein journalistischer Aphorismus für die interessante Nachricht: Strange, gegen alle Tendenz, paradox. Und ist der deutsche Titel eines belgischen Mockumentary aus dem Jahr 1992, wo satirisch nachgezeichnet wird, wie im Laufe der Reportage zu einem Massenmörder das Aufnahmeteam zu seinen Mittätern wird.

Was dank der unverkennbaren Satire absurd klingt und auch so wahrgenommen werden kann, ist bei „Kubrick, Nixon und der Mann im Mond“ (R: William Karel, Frankreich, 2002) weitaus diffiziler. Die authentischen Interviewteile, aus ihrem Kontext genommen und entsprechend montiert, ergeben ein völlig anderes als das historische Narrativ. Dass derlei angesichts der weit verbreiteten Verschwörungstheorien zur Mondlandung auf ein dankbar aufnehmendes Publikum trifft, ist nur ein Teil der Erklärung für die Wirkung. Der Kern dagegen ist, dass auf den ersten Blick die erzählte Geschichte plausibel erscheint, bis Karel in Nachspann und Credits etwas versteckt die Aufklärung folgen lässt.

Die Story um das „Stinkefinger“-Video und Yanis Varoufakis, bereits Gegenstand von zwei Talk-Shows mit prominenter Polit-Besetzung und sogar der veritablen Intervention von CDU-Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder, spricht nun den dritten Aspekt an. In seiner Sendung „Neo Magazin Royale“ hat Jan Böhmermann ein „making of“ präsentiert, dass und wie er jenes Video produziert und dem Publikum untergeschoben habe. Wobei Publikum dann eben auch die öffentlich-rechtlichen Verwender und deren Wiederkäuer sind.

Das ist, soviel kann gesagt werden, Orson Welles und sein „Der Krieg der Welten“, Version 2.0. Nicht weil Varoufakis ein Unruhestifter von einem anderen Stern wäre oder nun der Weltfriede in Gefahr. Sondern weil die Massenpanik, die auf die Aussendung des als Nachrichtensendung getarnten Welles‘schen Hörspiels gefolgt sein soll, überwiegend eine Erfindung der damaligen Medien war. Die Massenempörung auf Geste + Text („stick the finger to …“) ist ebenso künstlich erzeugt wie verstärkt. Das ohnehin zur Apokalyptik neigende deutsche Wesen nimmt es dankbar auf.

Dabei ist der Stinkefinger (wie die Marsianer, der Mondlander oder der Massenmörder) nur das, was Alfred Hitchcock als McGuffin bezeichnet hat: Beliebige Personen oder Objekte, um eine Geschichte zu beginnen oder am Laufen zu halten. Zu offenen Hemden statt staatstragenden Bindern, dem beständigen Lächeln anstelle von schuldbewusster Leichenbittermiene, wäre die gestenreiche Beschimpfung des (deutschen) Publikums die zwangsläufige Krönung einer Story um angebliche griechische Faulheit und Erpressung. Es ist gleichzeitig das Spiel mit den Klischees zu Deutschland: Von der Urangst um Geld und seinen Wert als Ergebnis von Hyperinflation, Krieg, fleißigem Wiederaufbau. Die Respektlosigkeit der Geste träfe die Biographie einer ganzen Nation ins Mark.

Man wird nun darüber spekulieren können -nicht wenige werden auch technisch recherchieren- ob Böhmermann ein Mockumentary abgeliefert hat oder nicht, mit dem „making of“ sogar zwei. Und ob, je nach Antwort, die geballte Empörung in Deutschlands televisivsten Couchlandschaften nicht doch nur Ausdruck schierer Ignoranz ist, die obendrein mit der Kraft von Bildern und Manipulation verführt und verstärkt wurde. Aber auch das wäre vergebliches Bemühen speziell in Richtung jener, die in ihren Klischees und Vorurteilen ohnehin gefangen sind.

Zu Aliens hat der Astrophysiker Harald Lesch („Begegnungen mit der dritten Art“) einmal geschrieben: „Der Außerirdische -wir haben ihn noch nicht gefunden- ist auch nur ein Mensch.“ Woraus gefolgert werden kann, nicht wir haben den Marsianer, sondern der uns zu fürchten. e2m

Einen anderen Aspekt von „Montage“ hat Jan Jasper Kosok in dem sehr lesenswerten Beitrag zu Bootlegs „Was nicht passt“ (freitag.de, 14.03.2015) abgeliefert: „Geeks begannen, Korrekturen vorzunehmen und den Streifen ein verändertes look and feel zu verpassen.“

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Geschrieben von

ed2murrow

e2m aka Marian Schraube "zurück zu den wurzeln", sagte das trüffelschwein, bevor es den schuss hörte

ed2murrow

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