Vatican goes Simpsons

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Wie eine Agenturmeldung Schieflagen erzeugt

Praktisch kein Medium hat es vernachlässigt, die -wenn auch kleine- Sensation zu vermelden. Der Vatikan habe die Simpsons als ihre Botschafter entdeckt. Nur um Beispiele zu nennen: ARD vom 19.10. „Vatikan stellt fest: Homer ist katholisch“ oder die WELT am selben Tag: „Vatikan lobt Homer Simpson als Vorbild-Katholiken“. Letztere, nicht erst seit gestern allem, was mit großem C geschrieben wird, eng verbunden, sieht in der heutigen Ausgabe „das Ende des Katholizismus“ heraufziehen.

Die ganze Aufregung bezieht sich letztlich auf eine simple Agenturmeldung, dass der Osservatore Romano, die Tageszeitung des Vatikans, sich überhaupt mit der Zeichentrickserie beschäftige, so der Tenor. Im Kulturteil der Ausgabe vom 17. Oktober. Bedauerlich ist nur, dass die Agenturmeldung so schlicht wie falsch war. Denn der Artikel von Luca M. Possati behandelt mitnichten die Figur eines Homer Simpson als Katholiken, sondern traktiert einen Essay des Jesuitenpaters Francesco Occhetta mit dem Titel „Die ‚Simpson‘ und die Religion“. Er war im Heft Nr. 3848 von Civiltà Cattolica (Katholische Zivilisation), einer zweiwöchentlichen Schrift des Jesuitenordens erschienen. Dessen Aufbau folgt der sowohl in Politik als in Religion gebräuchlichen Schwarz-Weiß-Malerei: Hier das Gute der Serie, wo vor den Mahlzeiten gebetet wird, dort das Böse der Satire, die Zeugnisse und die Glaubwürdigkeit einiger Männer der Kirche in den Dreck zieht. In der Betrachtung kommen die restaurativen Elemente des Jesuitenordens ans Licht, mit der sich der Osservatore Romano und Possati unter dem Titel „Homer und Bart sind Katholiken“ reichlich ironisch und pointiert auseinander setzen.

Neu aufkommender Konservativismus ist nicht nur eine Spezialität weltlicher Staaten und der jeweiligen (politischen) Repräsentanten. Die Gesellschaft Jesu hat sich dazu die Simpsons vorgenommen, die Vatikanzeitung hiergegen angeschrieben. Der Satz, „eine Welt ohne die Leichtigkeit der Illusion ist eine menschlichere Welt“, könnte glatt in Der Freitag stehen.

Homer und Bart sind Katholiken

Von Luca M. Possati (*)

Wenige wissen es, und er tut alles, um es zu verheimlichen. Aber es ist wahr: Homer J. Simpson ist ein Katholik. Und wenn es nicht Berufung gewesen ist –ein verführerisches Glas „Duff“ als Beihilfe-, so fehlte dazu nur wenig. So wenig, dass heute der König der Donuts von Springfield nicht zögert, „der Katholizismus ist sagenhaft“ zu rufen. Um dann mit einem kathartischen „D’oh!“ seine Meinung zu ändern.
Die Bemerkung -der Episode „Der Vater, der Sohn und der heilige Gaststar“ entnommen, in der Homer und Bart sich dank der Begegnung mit dem sympathischen Vater Sean bekehren lassen- ist der Ausgangspunkt des interessanten Artikels „Die Simpsons und die Religion“ von Vater Francesco Occhetta aus der letzten Ausgabe von „La Civiltà Cattolica“. Die angesehene Zeitschrift der italienischen Jesuiten liefert eine raffinierte anthropologische und ethische Analyse des Cartoons, wobei sie die Gelegenheit wahrnimmt -und das ist der wirklich bemerkenswerte Aspekt-, Eltern und Kindern einige praktische Ratschläge zu erteilen.
Es steht außer Zweifel, dass die von Matt Groening erfundene Serie eine beispiellose sprachliche und erzählerische Revolution in der Welt des Zeichentrickfilms bewirkt hat. Die beruhigende Unterscheidung in Gut und Böse verlassend, die typisch ist für die Produktionen mit „Happy-End“ von Disney, haben Homer & Co. eine Büchse der Pandora geöffnet. Heraus gekommen sind eine surreale Komik, bissige Satire, Sarkasmus über die dunkelsten Tabus des American way of life und eine deformierende Ikone der westlichen Idiosynkrasien. Aber aufgepasst, es gibt auch andere Pegel der Lektüre. „Jede Episode -schreibt Occhetta- eröffnet hinter der Satire und den vielen humorvollen Bemerkungen anthropologische Themen, die mit dem Sinn und der Qualität des Lebens verbunden sind“ (S.144). Themen wie die Unfähigkeit zu kommunizieren und sich wieder auszusöhnen, die Erziehung und das Schulsystem, die Ehe und die Familie. Und es fehlt nicht die Politik.
Religion, der Zankapfel. Was soll man angesichts des lauten Schnarchens von Homer während der Predigten von Reverend Lovejoy sagen? Und was bei den ständigen Demütigungen des pathetischen Neddy Flanders, dem orthodoxen Evangeliken? Subtile Kritik oder nicht rechtfertigbare Blasphemie? „Die Simpsons -behauptet Occhetta- sind eine der wenigen für Kinder noch übrig gebliebenen Programme im Fernsehen, in denen der christliche Glaube, die Religion und die Fragen zu Gott sich wiederholende Themen sind“ (S.145). Die Familie „betet vor den Mahlzeiten und auf ihre Art glaubt sie an das Jenseits“, und sie ist der Mittler, durch den der Glaube weiter gegeben wird. Die Satire dagegen, „überwältigt die Zeugnisse und die Glaubwürdigkeit einiger Männer der Kirche, statt die verschiedenen christlichen Konfessionen einzubinden“.
Um es unmissverständlich auszudrücken, die Gefahren bestehen, weil „der Laxismus und das Desinteresse, die an die Oberfläche treten, dazu angetan sind, die Jugend noch stärker zu einem privatistischen Verhältnis zu Gott zu erziehen“ (S.146). Aber nur cum grano salis sind Weizen und Spreu zu trennen. Die Eltern sollten sich nicht davor fürchten, ihre Kinder die Abenteuer der kleinen gelben Figuren ansehen zu lassen. Im Gegenteil, der Realismus der Texte und der Episoden „könnte eine Gelegenheit sein, einige Folgen zusammen anzusehen, um daraus den Anlass zu schöpfen, Gespräche zum Leben in der Familie, Schule, Partnerschaft, Gesellschaft und Politik zu führen“ (S.148). In den Geschichten der Simpsons überwiegt der skeptische Realismus, so dass „die jugendlichen Generationen der Fernsehzuschauer dazu erzogen werden, sich keiner Illusion hinzugeben“ (S.148). Die Moral? Keine. Aber das ist bekannt: eine Welt ohne die Leichtigkeit der Illusion ist eine menschlichere Welt und, vielleicht, eine christlichere.

(*) Übersetzung ed2murrow

Aus der Freitag:
Blog von oxnzeam: Philosophische Cartoons – vom Steinzeit-Kino zu den Simpsons
Artikel von Sebastian Thalheim: Ein Simpsons-Leben

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Geschrieben von

ed2murrow

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ed2murrow

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