Verdammt, ein Busen!

Tunesien Ihr Name wird in deutschen Medien kaum erwähnt: Amina Tyler, die mit ihren Fotos für Aufruhr sorgte. Eine Rekonstruktion

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Amina-Supporter vor der tunesischen Botschaft in Stockholm
Amina-Supporter vor der tunesischen Botschaft in Stockholm

Foto: Jonathan Nackstrand/AFP/Getty Images

Mein Körper gehört mir und ist nicht die Quelle von irgendjemandes Ehre“. Das sind die Worte, mit denen alles angefangen hat. In arabischen Schriftzeichen auf ihren nackten Oberkörper geschrieben, den Amina Tyler auf Facebook am vergangenen 11. März, wie sollte es ausgedrückt werden: zur Schau gestellt hat? Oder um die Welt geschickt hat?

Die Bilder machen die 19-jährige Schülerin, die das letzte Jahr an einem neusprachlichen Lyzeum in Tunis besuchen würde, über Nacht bekannt. Sie erfährt Unterstützung mit etlichen Tausend sogenannten Likes und Kommentaren auf der online-Präsenz, die sie „Femen – Tunisian Fanpage“ genannt hat. Ein paar Beleidigungen sind auch darunter. Aber „Hure“ oder „Miststück“, das sind Ausdrücke, die unvermeidlich auftauchen, wenn eine Frau aufreizend wirkt, egal ob das Publikum in New York, Berlin oder eben in Tunis sitzt. So etwas wird nicht einmal mehr unter shitstorm verbucht; es weckt Interesse.

Der Fernsehauftritt

Eine Gelegenheit, die sich der tunesische Privatsender Ettounsiya nicht entgehen lässt. Amina wird am 16. März in die Talk-Show („Labes“) des überaus populären Moderators Naoufel Ouertani eingeladen und verpixelt präsentiert. Sie hat für mitteleuropäische Ohren nichts wirklich Großartiges zu verkünden.

Nur dass sie eine gewisse Empörung nicht verstehen könne: „Wir sehen oft Männer am Strand mit nacktem Oberkörper, das schockiert niemanden, also gilt das selbstverständlich auch für unsere Aktionen. Das hat nichts mit Provokation zu tun, sondern ist eine einfache Aktion, um die Freiheit der Frau zu erklären.“ Und: „Wir ziehen uns nicht aus sexuellen Gründen oben herum aus, wie Femen haben den Mut, unsere Forderungen zur Befreiung der Frau laut hinaus zu rufen.“ Dafür habe sie Todesdrohungen erhalten, fügt sie an.

Dass ihre Worte aus der arabischsprachigen Sendung bis hierher gelangen, ist der online-Zeitung Kapitalis zu verdanken. Sie hat als einzige tunesische Publikation im Netz, zumindest auszugsweise, Amina zitiert und ins Französische übertragen. Seit sie ihre Arbeit aufgenommen hat, steht die frankophone Plattform unter strenger Beobachtung von Salafisten, so die Chefredakteurin Zhora Abid in einem Interview vor einem Jahr: „Jeden Tag erhalten wir Beleidigungen und Drohungen per Telefon.“

Wie das funktioniert, soll sich für Amina ab dem 19. März erweisen. In einem Video, das vorgeblich von einer Tante der jungen Frau ins Netz gestellt wird, distanziert sich diese von ihrer „Nichte“: „Wir sind eine islamische Familie, und wir können diese Praktiken nicht akzeptieren, die nicht nur unseren Ruf stark beeinträchtigt haben, sondern auch der tunesischen Frau und unserer Religion. Gegen diese Heimsuchung muss gekämpft werden, um unsere Mädchen zu retten!

Einen Abend darauf lädt der freundliche Moderator von Labes den Prediger Adel Almi zu sich ins Studio. Almi hat, nachdem er Anfang 2012 wieder nach Tunesien einreisen durfte, eine „Zentrale Vereinigung für Sensibilisierung und Reform“ (Al Jamia Al Wassatia Li Tawia Wal Islah) gegründet, der er vorsitzt. Ein Gebilde, das im Auftritt unwillkürlich an den jakobinischen Wohlfahrtsausschuss denken lässt – von seiner Spitze aus verkündet der Mann im Gewande eines Mufti Ver- und Gebote und garniert sie, als wäre er zum Ausspruch einer Fatwa berechtigt, mit Drohungen. Seine Verbindungen zum Ministerium für religiöse Angelegenheiten sind ausgezeichnet. Er konnte im vergangenen Herbst erreichen, dass Häftlinge in tunesischen Gefängnissen Koranunterricht erhalten.

Die Reaktion

Almi weigert sich zunächst, in dem gleichen Fauteuil Platz zu nehmen, auf dem 4 Tage zuvor Amina gesessen hatte. Und legt dann los: „Diese Verhaltensweisen müssen unterdrückt werden, um eventuelle Katastrophen zu vermeiden“ und daher „Amina hundert Mal gegeißelt werden, wobei wir wissen, dass angesichts des Umfangs ihrer Sünde das Mädchen die Steinigung zum Tod verdient hat.“ An anderer Stelle: „Amina hat sich hervorheben wollen und die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, indem sie nackt posiert hat. Was nichts anderes bedeutet, als dass das Mädchen nichts mehr zu verlieren hat und sich nicht mehr der Heiligkeit der Frau bewusst sein kann.“ Folgerichtig forderte Almi, Amina müsse sich einem „Drogentest“ und „einer psychiatrischen Untersuchung“ unterziehen. Er ergänzt: „Die Medien sollten eine Auswahl treffen, bevor sie einen Inhalt veröffentlichen, der Widerwillen und Abscheu erzeugt.“

Die Worte des Mannes werden diesmal von den meisten arabischsprachigen Publikationen wie die weit verbreitete Assabah News verbreitet. Deren Verlagsgruppe Der Assabah war im Zuge des sogenannten arabischen Frühlings enteignet und unter staatliche Kontrolle gestellt worden. Für ein unbotmäßiges Video, das Staatspräsident Moncef Marzouki dabei zeigt, wie er einen Journalisten anblafft, wurde Assabah im September des vergangenen Jahres die Schließung angedroht.

Die Reaktionen auf die Worte von Almi folgen prompt. Noch in derselben Nacht wird der Facebook-Account von Amina gehackt, ihre Fotos mit den arabischen Schriftzügen auf dem Körper entfernt; es bleiben nur die mit der englischen Aufschrift „Fuck your morals“. Für einige Tage werden sie ersetzt mit dem Porträtfoto eines grimmig schauenden bärtigen Mannes, der auf seinem militärisch anmutenden Barett eine Version der Schahāda, des islamischen Glaubensbekenntnisses trägt. Daneben auf Arabisch der Text: „Mit Gottes Willen haben wir diese unmoralische Seite übernommen und das Beste wird noch kommen. Die Seite ist gehackt und wenn Gott es will, wird dieser Schmutz aus Tunesien verschwinden.“ Unterschrieben ist die Botschaft mit „Al Aangour“.

Amina Tyler ist verschwunden

Ab dem nächsten Tag ist Amina von der Bildfläche verschwunden. Die auch in Deutschland bekannte tunesische Menschenrechtsaktivistin Bochra Bel Haj Hmida gelingt es zwar einmal am 24. März, kurz mit ihr zu telefonieren, aber die Ungewissheit bleibt. Und angesichts der handfesten, mit großer Reichweite versehenen Drohungen die Angst um Amina.

Das beschreiben die französischen Tageszeitungen Libération und Le Monde ab einem Artikel vom 22. März, die sich dabei auf FEMEN-France und auf Caroline Fourest beziehen. Es zirkuliert ein Video, das zeigen soll, wie Amina gegen ihren Willen unter die Arme genommen und in ein Auto verfrachtet wird.

Fourest, eine in Frankreich prominente Autorin und Politilogin, die FEMEN in der Ukraine einen Dokumentarfilm für France2 gewidmet hat, weist zu der Zeit nicht nur auf eine online-Petition hin, in der an die tunesische Regierung appelliert wird, „für die Sicherheit und Freiheit von Amina zu sorgen“. Die Vernetzung läuft vielmehr bereits über die international bekannte Menschenrechtsaktivistin Maryam Namazie und die für ihre kritische Berichterstattung ins Fadenkreuz tunesischer muslimischer Extremisten geratene Filmemacherin Nadia El Fani. Am 21. März wird von ihnen für den 4. April zu einem „Internationalen Tag zur Verteidigung von Aminaaufgerufen. Der Botschaft „Amina repräsentiert uns“ schließen sich zahlreiche Aktivisten und Organisationen an, nicht zuletzt FEMEN, die auch auf den Seiten der französischen Ausgabe der Huffingtonpost breiten Raum erhält.

Das Interview mit Canal+

Erst als der Protest mit den Aktionen von FEMEN an eben diesem Tag in Paris, Berlin, Mailand und Brüssel in die Tat umgesetzt wird, gibt es ein Lebenszeichen von Amina Tyler. Der französische Sender Canal+ veröffentlicht am 6. April ein Interview, in dem die junge Frau bestätigt, dass es ihr gut gehe, sie aber Morddrohungen erhalten hat. Auch die Schule könne sie in Tunesien nicht weiter besuchen, selbst bei Privatschulen hat sie Zweifel, ob sie noch angenommen wird. Sie will Tunesien verlassen (ein übersetztes Transskript des Interviews am Ende des Blogs). Eine Aufmerksamkeit durch einen weltweit erreichbaren Sender, die es Amina und ihrer Familie möglicherweise erst erlaubt hat, zumindest kurz die Deckung zu verlassen.

Das Video der angeblichen Tante ist mittlerweile offline genommen worden genauso wie die Bilder, die von den Hackern des Facebook-Accounts von Amina eingestellt worden waren. „Femen – Tunisian Fanpage“ ist immer noch online und damit die Drohungen gegen die junge Frau direkt lesbar. Auf ihr verlustieren sich nun einschlägige Kommentatoren. Besonders reizend mit dem Spruch: „The Zionist Jews wants to rule the world with the words of Satan.“ Grund genug, auch das Konterfei von Amina dort belassen zu haben mit der Schrift: „Fuck your morals“. e2m

Übersetztes Transskript des Interviews vom 06.04.2013 mit Amina Tyler bei Canal+:

(Frage) Wie geht es Ihnen? (Antwort) Es geht.
Warum haben Sie sich entschieden, heute zu sprechen? Weil man mir erlaubt hat, mit Ihnen zu sprechen und das ist alles.
Was haben sie den Menschen zu sagen, die sie in Frankreich unterstützen und die seit 15 Tagen Neuigkeiten von Ihnen haben wollen? Ich danke ihnen. Es ist ihre Unterstützung die mich immer ermutigt, stark zu sein. Und ich sage ihnen, dass mit mir und meiner Familie alles in Ordnung ist, bis auf die Drohungen und die Schule.
Sie können nicht mehr zur Schule zurück? Nein, vielleicht in eine Privatschule, aber auch das ist nicht sicher, vielleicht akzeptieren die mich nicht. Also ist da nichts sicher. Im Moment sehe ich keine Zukunft, bereue aber auch nichts. Ich muss auch sagen, dass ich Tunesien verlassen muss, weil ich viele Todesdrohungen erhalten habe und ich habe Angst um mein Leben und um das Leben meiner Familie hier. Es gibt viele Gerüchte um Salafisten und das, was sie mit mir anstellen wollen, das ist alles. Ich habe Drohungen am Telefon und auf Facebook erhalten. „Wir werden dich töten, wir werden Säure auf dein Gesicht schütten“, solche Sachen.
Als Sie verschwunden sind, haben die Leute gesagt, es sei eine Entführung gewesen. Meine Familie hat mich in einem Kaffe gefunden und hat mich nach Hause gebracht, mein Cousin hat meinen Telefonchip kaputt gemacht, er hat mich geschlagen, und danach bin ich bei meiner Familie geblieben und man hat mich in eine andere Stadt in Tunesien gebracht.
Sind sie gezwungen worden, in der Familie zu bleiben? Ja klar!
Wollten Sie das selbst? Nein! Und ich will auch nicht mehr in Tunesien bleiben. Ich will Tunesien verlassen und ich will meine Familie verlassen, all diese Bedrohungen. Ich hoffe, in einem Lyzeum und Internat unterzukommen, das wäre alles.
Sind Sie nach wie vor FEMEN? Ja!
Warum? Weil ich ihre Aktionen unterstütze seitdem ich das erste Foto von FEMEN auf Facebook gesehen habe. Aber da ist eine Aktion, gestern. Ich habe sie nicht gesehen, aber davon gehört, dass sie islamische Fahnen vor einer Moschee in Paris verbrannt haben. Da bin ich dagegen, weil das sich gegen mich wendet, weil sie Amina auf ihren Körper geschrieben haben und jetzt jeder glaubt, dass ich sie dazu ermutigt habe. Es ist inakzeptabel auf eine derart radikale Weise zu reagieren, weil sie damit nicht nur den Typ von Muslime beleidigt haben, die Extremisten sind, sondern alle Muslime, das ist inakzeptabel. Ich hoffe, dass ich meine Schuldausbildung im Ausland fortsetzen kann und vielleicht Journalistin werden kann oder etwas ähnliches.
Sie werden also FEMEN bleiben? Selbst wenn ich 80 werde, weil das wirkliche Feministinnen sind. Ich habe viel Glück, weil ein anderer Vater nach dieser Aktion vielleicht seine Tochter umgebracht hätte. Aber mein Vater ist sehr offen mit mir gewesen. Er hat jedes Recht zu denken, was er denken will. Er denkt, dass ich immer noch klein bin und Zeichentrickfilme anschaue und ich nur mit meiner Cousine ausgehe, um irgendwas zu machen. Aber ich bin erwachsen geworden, auch im Körper, ich bin jetzt eine andere.
Vater (mutmaßlich): Wir haben Angst um sie. Wir haben Angst wegen der Drohungen, die auf Facebook umgehen. Wir haben auch Angst wegen dem, was vor der Pariser Moschee passiert ist, dieses Nacktmachen, die unsere Gewohnheiten nicht respektiert, unsere Bräuche, unsere sehr muslimische Familie. Ja, natürlich kann man sich für die Rechte der Frau ausdrücken, für ihre Freiheit. Aber ein Bild, das die Gesellschaft schockieren kann, macht uns ebenfalls Angst, tut uns auch weh. In diesen Tagen lächelt sie nicht, sie lächelt überhaupt nicht. Jetzt erst fängt sie an zu lächeln, und das ist ein so hübsches Lächeln. (Übersetzung aus dem Video: e2m)

erschienen auch bei "die Ausrufer"

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Geschrieben von

ed2murrow

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