Wählen im Zeichen des Schweins

Italien Wollte man von italienischer Anomalie sprechen, so gilt das für das Wahlrecht: Nicht Überhangmandate, sondern ein „Preis für die Gewinner“ verzerren den Wählerwillen

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Wählen im Zeichen des Schweins

Foto: FILIPPO MONTEFORTE / AFP / Getty Images

Roberto Calderoli geschieht kein Unrecht, wenn man das Wahlgesetz, das die Regeln zu den Parlamentswahlen am kommenden Sonntag und Montag bestimmt, als schweinisch bezeichnet. In einem Anflug zwischen Selbstironie und aufgesetzter Arroganz hatte die Spitzenkraft der Lega Nord (Liga Nord für Padanien, LN) es als „porcellum“ bezeichnet. Unter seiner Federführung sollte der „Bipolarismo“ in der Volksvertretung Einzug halten – eine klare numerische Trennung zwischen Regierung und Opposition.

Was vor dem Hintergrund der (Un)Regierbarkeit eines von Klein- und Kleinstparteien zerrissenen Parlaments vernünftig erschien, wurde 2005 auf Geheiß von Silvio Berlusconi und unter Verantwortung von Calderoli als Minister für institutionelle Reformen in eine programmierte Fälschung des Wählerwillens gemünzt.
Koalitionen, die zu den Parlamentswahlen antreten und die gemeinsam eine relative Mehrheit der Stimmen erringen, erhalten seitdem als Garantie mindestens 340 von 630 Sitzen in der Abgeordnetenkammer. Das gilt sinngemäß auch für die Besetzung des Senats, der zweiten Kammer des italienischen Parlaments. Die Vertreter der Regionen belegen dort nach derselben Logik rund 55% der für die jeweilige Region vorgesehenen Stühle.

Prognosen zum Wahlergebnis 2013 zu treffen ist unter diesem Vorzeichen besonders schwierig geworden. Auch wenn die jüngsten Umfragen noch immer einen Vorsprung der sozialdemokratischen Wahlplattform des Partito Democratico (Demokratische Partei, PD) gegenüber dem rechten Wahlbündnis hauptsächlich aus Popolo della Libertà (Volk der Freiheit, PdL) und LN ausweisen (rund 34% zu 28,6%), so wird möglicherweise das Abschneiden der Lega abermals wahlentscheidend sein.

Auswirkungen der italienischen Föderalismusreform

Denn in den vergangenen Jahren war es vor allem diese ethnozentrische wie rechtsradikale Bewegung gewesen, die die größten Wahlerfolge eingefahren hat.

Nach einem Absturz in der Wählergunst in den späten 1990er Jahren hat die Formation um den zur Legende aufgebauten Gründer Umberto Bossi spätestens seit den Europawahlen 2004 eine geradezu dramatische Zunahme in der Wählergunst erfahren. Das äußerte sich nicht nur in einer Verdoppelung der Mandate im italienischen Parlament zwischen 2006 und 2008, sondern vor allem im Ergebnis der Regionalwahlen. Hier hat die Lega 2010 gegenüber 2005 ihren Stimmenanteil auf bis zu 35% und damit zur ersten Partei in einigen Regionen des Nordens erhöht, vor allem aber in den wirtschaftlich bedeutenden Regionen Piemont (Hauptstadt Turin) und Venetien (Venedig) erstmals den Gouverneur gestellt.

Seitdem die italienischen Regionen im Zuge der Föderalismusreform über weitgehende Autonomierechte insbesondere in Haushaltsfragen verfügen, sind regionale Ergebnisse bedeutend aufgewertet. Politik „vor Ort“ ist nicht mehr eine, die an der lebenserhaltenden Nabelschnur zu Rom hängt, sondern Ergebnis selbständiger Meinungsbildung und Entscheidungsfindung.

Dieser wesentliche Perspektivwechsel in der italienischen Politik darf nicht unterschätzt werden. Zwar entsenden die Regionen, anders als die Bundesländer im deutschen Bundesrat, nicht ihre dort gewählten Vertreter als Abbild der regionalen politischen Mehrheitsbildung in den Senat; die Zusammensetzung dieser zweiten Kammer ist nach wie vor den Parlamentswahlen vorbehalten.
Aber der (Miss)Erfolg dezentralisierter Politik hat mit der Aufwertung der Regionen an Bedeutung zugenommen. Wer sich als Wähler zufrieden mit dem äußern will, was in seiner Umgebung geschieht, wird der dort regierenden Konstellation auch auf nationaler Ebene seine Stimme geben. Und das Votum des Senats ist, anders als in der bundesrepublikanischen Verfassung, für praktisch alle Gesetzesvorhaben einzuholen („perfekter Bikameralismus“).

Ein Generationenwechsel am rechten Rand

Genauso, wie sich PdL mit dem Umstand befasst hat, dass gegen Silvio Berlusconi Strafverfahren unter anderem wegen Rechtsbeugung und Prostitution Minderjähriger rechtshängig sind, hat die Lega Nord ein Problem mit Umberto Bossi.

Vor nicht einmal einem Jahr wurden staatsanwaltliche Ermittlungen gegen ihn und seine Familie bekannt, die ein engmaschiges Korruptionsgewebe aufgedeckt haben wollen. Wahlkampferstattungen zugunsten der Lega seien hiernach unmittelbar in eine schwarze Kasse geflossen, die vor allem der Finanzierung des privaten Aufwands gedient haben soll – von Luxuslimousinen bis zum erkauften akademischen Grad für den erstgeborenen Sohn von Bossi.

Die Aufarbeitung der justiziablen Vorgänge könnte allerdings unterschiedlich nicht sein. Wo in der Partei Berlusconis dessen früherer Kronprinz Angelino Alfano im Herbst vergangenen Jahres den Aufstand geprobt hatte, nur um dann von dem Tycoon öffentlich zurechtgewiesen zu werden, hat die Lega Nord tatsächlich einen Führungswechsel geschafft.

Zwar wird Umberto Bossi morgen immer noch auf den Wahlzetteln zu finden sein, die politische Verantwortung der Partei aber hat mittlerweile Roberto Maroni übernommen. Der gegenüber Bossi 14 Jahre jüngere Mann, der als langjähriger Innenminister vor allem für eine an Xenophobie grenzende Ausländerpolitik verantwortlich gezeichnet hat, repräsentiert den Flügel, der nicht mehr eine Abspaltung, die Sezession eines mythischen „Padanien“ betreibt, sondern den radikalen ethnozentrischen Umbau des ganzen Landes von innen heraus.

Urbane Kräfte gegen Hüter des Territoriums

In den letzten zwölf Monaten haben sich bei einem grundsätzlichen Konsens der Großparteien zu dem strikten Sparkurs Montis nur zwei deutlich abgesetzt: Die als „MoVimento 5 Stelle“ (Fünf-Sterne-Bewegung, M5S) bekannt gewordene Bewegung um den Entertainer Beppe Grillo, die als Wahlprogramm propagiert, Italien sollte seine (systemisch bedingten) internationalen Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen. Und die Lega, die das Spardiktat Europas als Grundübel anprangert und dem italienischen Wähler mit Kanzlerin Merkel das (ausländische) Feindbild liefert.

Wenngleich Grillo und seine Gruppierung derzeit als drittstärkste Kraft in den Meinungsumfragen firmiert, so trifft das allenfalls auf den gesamtitalienischen Durchschnitt zu, der die Zusammensetzung der Abgeordnetenkammer projiziert. Im Senat, der nunmehr die Rückkoppelung zur lokalen Politik reflektiert, hat M5S allenfalls in urbanen Großzentren eine Chance, nicht aber im „Territorium“, für das die Lega sich historisch das Schild des „Hüters“ umgehängt hat. Hier wird sich vielmehr weisen, ob sie sich tatsächlich von der Biographie Umberto Bossis hat lösen können.

Die insgesamt 4 Regierungen Berlusconi sind ohne die Lega des Umberto Bossi nicht denkbar gewesen. Die Nachsicht dieser in ihrer Radikalität allenfalls noch von der ungarischen Jobbik übertroffenen Partei hatte sich der Medienzar durch eine Politik der Regionalisierung und damit der Förderung des Ethnozentrismus erkauft. Als Gegenleistung wurde ihm erwiesen, ihn nicht fallenzulassen, obwohl er stets Sinnbild dessen gewesen ist, wogegen die Lega historisch angetreten war: „Roma ladrona“, das diebische Rom.

Neben der Generationenfrage steht vor allem dieses do ut des auf dem Plan, das Geschäft auf Gegenseitigkeit, das Italien an den Rand des völligen Kollapses geführt hat, strukturell wie finanziell.

Und Calderoli, der in der Vergangenheit stets als Spitzenkraft in Sachen homophober und ausländerfeindlicher Äußerungen aufgefallen ist? Er ist für die Lombardei wieder als Spitzenkandidat der Lega aufgestellt. Ihm folgt unmittelbar Giulio Tremonti, der langjährige Finanzminister, der unmittelbar für die Destabilisierung des italienischen Haushalts verantwortlich gezeichnet hat. Und die Listen sind von dem neuen Führer der Lega Roberto Maroni verantwortet.

Selbst wenn einzelne Borsten ausfallen, Gewohnheiten bleiben. Fragt sich nur, wie lange noch. e2m

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Geschrieben von

ed2murrow

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ed2murrow

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