Wem die Sonne scheint

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Im Mai kann es in Rom schon richtig warm werden. Zumindest so gefühlt von den Massen schwitzender Touristen, die sich unweigerlich eine der malerischsten Kulissen der ewigen Stadt, die spanische Treppe, als ihre Freilichtbühne erwählen. Für ihre kurzen Socken in gedecktem Ton, dazu passende Sandalen und das viele, sehr helle Fleisch, das unter zu kurzer Bein- und Oberbekleidung hervorlugt. Ganz im Kontrast zu den modebewussten Einheimischen, die sich nach wie vor zur modischen Achse mit Milano, Paris und London zählen; immerhin versammeln sich in den angrenzenden Straßen zur Piazza di Spagna die internationalen Griffes von Rang wie Gucci, Ferragamo, Yves saint Laurent und natürlich Bulgari.

Dabei ist nicht jeder Mann, der wie frisch aus der Modezeitschrift gepellt auftritt, das, was er scheint. Der Anblick eines dezent anthrazitfarbenen Einreihers mit blauer Krawatte verrät dem Connaisseur, dass er es wahrscheinlich nicht mit einem der Schönen und Reichen zu tun hat, sondern mit dessen Adlatus, was in der automobilen Ausformung der ewigen Stadt bedeutet: Dem Chauffeur. Die Zeiten von Handschuhen und Schirmmütze nebst Uniform sind schon lange vorbei. Es ist das Businesskleid, das den Beruf kennzeichnet, ganz im Gleichklang mit seinem gewachsenen Aufgabenfeld.

Denn wenn vor nicht allzu langer Zeit der Fahrer nur fuhr, zunächst zum Parlament oder einem anderen Büro der Macht und danach die Gattin seines Chefs zu den modischen Einrichtungen in der Via Frattina oder Via Borgognona, alles im Umkreis von fünfhundert Metern Luftlinie um den spanischen Platz herum, so reist er heute oft in andern Dingen. Etwa um Gelder zu überbringen oder entgegen zu nehmen. Vor ein paar Wochen ist der Minister für die wirtschaftliche Entwicklung, Claudio Scajola, zurückgetreten, weil er sich, so seine Version, nicht erklären konnte, warum ihm der Fahrer von zwei mittlerweile polizeibekannten Bauunternehmern eine Summe von 900.000 Euro übergeben hatte. Die Unkenntnis hinderte den Minister nicht daran, den Betrag für den Erwerb einer luxuriösen Wohnung zu verwenden. Das Vertrauen in die Redlichkeit dieser Boten ist nahezu grenzenlos und mittlerweile sprichwörtlich. Viele Karrieren, die als simple Inhaberschaft einer Fahrerlaubnis begannen, haben bis auf die Bänke des italienischen Parlaments geführt. Renato Schifani, heute Präsident des Senats und nach der Verfassung zweithöchster Repräsentant des Staates, hat seine politische Karriere als Chauffeur eines sizilianischen Gouverneurs begonnen.

Das System, das sich dahinter verbirgt, nennt sich Auto Blu. Es sind die offiziellen Fahrzeuge, nach Größe, Zylinderzahl und Ausstattung gestaffelt, für Staatsvertreter auf nationaler und regionaler Ebene, quer durch alle Instanzen. Italien hat nach letzten Zählungen zufolge mehr als 672.00 solcher Gefährte und damit eine eigene Gewerkschaft am Hals: Die der dazugehörigen Fahrer von Repräsentationsfahrzeugen (Sindacato Italiano Autisti di Rappresentanza, SIAR). Eingedenk ihres erweiterten Aufgabenkreises hat sie auf eine Gesetzesinitiative hin gearbeitet, die ihre Mitglieder bei der Beurteilung von Ordnungswidrigkeiten privilegieren soll. Denn mittlerweile gilt auch im Belpaese ein Punktesystem, das ab einer gewissen Anzahl schwerer Vergehen zum Entzug des Lappens führt. Das dürfe nicht sein, meinte der SIAR, weil ohnehin die Mehrzahl der Übertretungen auf klarer Anweisung des Passagiers beruhten, der es immer eilig habe und stets pünktlich alles erreichen müsse. Das kann nicht sein, meinten wohl auch einige Parlamentarier der Regierungsfraktionen, als sie die Gesetzesinitiative unterstützten oder ihrerseits ein eigenes Standesrecht für diese Berufskategorie einforderten. Ob sie damit den schweren Beginn ihrer eigenen Laufbahn vor Augen hatten oder die freie Fahrt für freies Kapital oder tatsächlich das Wohlergehen einer gestressten Berufsgruppe steht letztlich dahin. Denn bei Bekanntwerden der Gesetzesinitiativen brach ein derart heftiger öffentlicher Entrüstungssturm los, dass jeder Unterstützer dieser neuen Kaste innerhalb derer der ohnehin Privilegierten um sein persönliches Wohlergehen fürchten musste. Und da sind sich Politiker immer noch selbst am Nächsten, das Gesetz wurde noch nicht Wirklichkeit.

Sitzt man also demnächst als gleicher unter gleichen auf den Marmorstufen der Scalinata della Trinità dei Monti und erblickt den gut gekleideten Römer, kann man sich ruhigen Gewissens darauf verlassen, dass er vertrauenswürdig ist und sich sogar an Verkehrsregeln hält. Vor allem dann, wenn er sich, wie Ovid in seiner Liebeskunst geraten hat, nur an dem Ort umschaut, wo viel Mädchen sich finden.

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Geschrieben von

ed2murrow

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