Was ist ein Feindbild? Das wissen Opfer am besten. Menschen, die anhand der Male, mit denen sie markiert wurden, beständig bezeichnet, gezeichnet und zum Gegenstand gemacht sind. Und in der Konsequenz der Entmenschlichung, der eigentlichen Versachlichung, dem Konsum zugänglich sind: Mit ihnen nach Belieben verfahren, sie gebrauchen, wegwerfen, zerstören, vernichten.
Das hat sich in kollektive Gedächtnisse eingebrannt, von Gemeinschaften freilich, die in Deutschland nur punktuell wahrgenommen werden. Etwa wenn 1992 an vier Tagen hintereinander von Tausenden auf eine Handvoll von ihnen Jagd gemacht worden war.
Oder anlässlich einer ‘Gedenkfeier‘ dazu, vom vergangenen Sonntag, da ein Pastor in der Rolle des deutschen Bundespräsidenten entschieden systemische Verantwortungen zugewiesen hat: „Gerade wir Ostdeutschen, die wir in lange eingeübter Ohnmacht lebten, blieben anfällig für ein Denken in Schwarz-Weiß-Schemata.“ Um sodann das Unerreichbare, aber gerade deswegen die an sich von ihm als erstrebenswert intendierte Utopie zu formulieren: „Eine völlig von allem Dunklen und Bösen ‘gereinigte‘ Gesellschaft wird es nie geben – nach all unseren Erfahrungen widerspricht sie der Natur des Menschen.“
Wer dies bewusst vernimmt, will sich das Minus, die „solidarische Gesellschaft“, wie Joachim Gauck sie beliebt zu nennen und zu wünschen, erst gar nicht vorstellen, die an einer Dichotomie entlang -dort das Dunkle und Böse, hier das Helle und Gute- möglichst tief, nämlich mit aller nun zur Verfügung stehenden Macht gesäubert werden soll. Vorgreifend ist damit von allerhöchster Stelle ein umfassender, vor allem weißwaschender Persil-Schein an die ausgestellt, die ganz zielsicher die Unterscheidungen kennen, weil sie selbst sie markieren.
Und erweist sich bereits an diesem Tag als dystopisches Präsens, da zwei Gäste, obwohl mit Brief und Siegel eingeladen, nicht zum Gedenken vorgelassen wurden: Weil sie dunkel sind. Dunkel an Hautfarbe.
Das „Dunkle und Böse“ zeigt ein Lächeln
Zur gleichen Zeit wurde bekannt, dass das von einem christsozialen Hans-Peter Friedrich geführte Innenressort in Deutschland im Rahmen der sogenannten „Initiative Sicherheitspartnerschaft“ demnächst Plakate aufhängen wird. Sie zeigen abwechselnd unter der in großen Lettern geführten Überschrift „VERMISST“ vier Gesichter. Das Konterfei steht, so der begleitende Text, für den Sohn, den Bruder und die Schwester. Jedes von ihnen „zieht sich immer mehr zurück und wird jeden Tag radikaler. Ich habe Angst sie ganz zu verlieren – an religiöse Fanatiker und Terrorgruppen.“
Die Plakate sollen dazu dienen, eine dem Bundesinnenministerium nachgeordnete „Beratungsstelle Radikalisierung“ zu bewerben. Denn das angesprochene „Ich“ soll sich, stellt es Ähnlichkeiten fest, per Telefon dorthin wenden – wie die, so das Selbstverständnis, „professionelle Beratung“ dann konkret aussieht, steht in den Sternen. Einen Vorgeschmack liefert freilich die Internetpräsenz der Initiative, wo man sich des Blickes auf Polizeiuniformen und Waffen nicht entziehen kann.
Keine Frage, die Abbildungen sind digitale Bearbeitungen, sog. gemittelte Gesichter. Auch sonst wird zugunsten wie vordergründig argumentiert werden können, dass hier keine spezifische Physiognomie angesprochen worden sei. Denn immerhin, es sind darin Männer wie eine Frau abgebildet, „Tim“ findet darin ebenso Platz wie „Ahmad“. Auch in der Prävention gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz, sagt uns das, bei ‘Radikalen‘ und der Tendenz dazu.
Und ganz sicher würden die Verantwortlichen dieser Aktion mit dem Brustton der Überzeugung von sich weisen, damit irgendeine Form von Rassismus bedienen zu wollen oder sogar zu setzen. Wie es etwa ein Herr Seltsam von der Bundesbank getan hatte bei der werbewirksamen Vorabpräsentation seines Opus Magnus „Deutschland schafft sich ab“. Die Frage von Welt am Sonntag „Mögen Sie keine Türken, Herr Sarrazin?“ konterte er 2010, selbstverständlich, mit der Maxime: „Ich bin kein Rassist“.
Gewollt und menschengemacht
Dabei ist das Kontinuum unübersehbar: Das von Sarrazin publikumswirksam in Szene gesetzte Feindbild des -angeblich- biologistisch nachteilig geprägten Zuwanderers muslimischer Herkunft, der deswegen per se nicht integrationsfähig und auch nur bedingt bildungsfähig sei, erhält mit der Plakatierungsaktion das zugehörige Konterfei. Der Text stellt den inneren Zusammenhang her und weitet ihn aus - wer in das sichtbare Raster passt und „sich radikalisiert“ kann gar nichts anderes sein, als der oder die Fremde, die nicht einmal von den eigenen Angehörigen wieder erkannt werden. Ein Fall nur noch für Spezialisten von außen.
Es ist, als ob mindestens die letzten 60 Jahre zum Thema Rassismus an dem ehemaligen Bürokraten und dem aktuellen ministeriellen Apparat spurlos vorüber gegangen seien.
Als ob die Naturwissenschaften nicht spätestens 1972 mit den Worten des Hämotypologen Jaques Ruffié in seiner Antrittsvorlesung am Collège de France die klare Distanzierung ausgesprochen hätten: „Nun ist es aber so, dass bei Menschen Rassen nicht existieren. Das ist der Grund, warum trotz der Zahl und Genauigkeit der Arbeiten niemand je in der Lage gewesen ist, sich über die rassische Zerlegung der Menschheit zu verständigen.“ Sie wurde letztmalig und aus Anlass vom Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland e.V. bestätigt (Thilo Sarrazin hat grundlegende genetische Zusammenhänge falsch verstanden, September 2010).
Und als ob nicht diese biologistische, eigentlich: naturrechtliche Sicht mit Colette Guillaumin (Je sais bien, mais quand même ou les avatars de la notion ‘race‘, 1981) als reine Konstruktion erkannt worden wäre: „… die ‘Rasse‘ ist keine spontane Gegebenheit der Wahrnehmung und der Erkenntnis, sie ist eine konstruierte Idee, und allmählich konstruiert, ausgehend von Elementen, die sowohl physische Züge sein können genauso wie soziale Bräuche, die in Sonderheiten linguistischer Art liegen können wie in juristischen Institutionen, die alle, auf ‘Rasse‘ getauft, gruppiert und homogenisiert, unter das Dekret fallen, definitiv biologische Phänomene sein zu müssen.“
Rückführung auf ‘Wurzeln‘
Vielmehr wohnen wir bei den Äußerungen und der Plakataktion dem bei, was seit Guillaumin (Sexe, Race et Pratique du pouvoir, 1995 mit Texten ab 1975) und Robert Miles (Racism, 1989) als ‘Rassialisierung‘ zu bezeichnen ist und in der Rassismusdefinition von Albert Memmi (Le Racisme, 1982) aufscheint: „Der Rassismus ist die verallgemeinerte und verabsolutierte Wertung tatsächlicher oder fiktiver Unterschiede zum Nutzen des Anklägers und zum Schaden seines Opfers, mit der seine Privilegien oder seine Aggressionen gerechtfertigt werden sollen.“
Hatte sich Sarrazin insbesondere mit der Kapitelüberschrift „Eroberung durch Fertilität“ durchsichtig wie schamlos bei den Motiven von Arthur de Gobineau (Essai sur l’inégalité des races humaines, ab 1853) bedient, der sinngemäß die Annihilierung der ‘weißen Rasse‘ befürchtete, weil sie sich unter einer Vermischung auflöse, die sie selber wolle, so ist das Zeichnen des ‘Phantombilds des gefährdeten-gefährdenden Jugendlichen‘ noch ein Gran härter.
Die Entkoppelung des jungen Menschen von seinem Elternhaus, seine ganz persönliche Emanzipation, die nie konfliktfrei verläuft und oft genug eine Wandlung mit sich bringt, während und nach der das Wiedererkennen schwer fallen kann, wird ausdrücklich dem muslimischen Hintergrund zugeschrieben, gleich ob als bestehende Tatsache oder als Anreiz, zu konvertieren. Er und kein anderer ist, im Subtext, eine besondere, die muslimische Anfälligkeit, der Boden von dem aus der Weg in religiösen Fanatismus und Terrorismus führt.
Pervers mutet jedoch an, dass dies verbunden wird mit dem Ziel, einen Phänotypen einzuführen, dem all die in der Negativität unterstellten, teilweise auch nur imaginierten Eigenschaften anhaften: Vier Gesichter, die lächeln!
Mag vielleicht die Intention der Gestalter gewesen sein, die Menschen anzusprechen, die die im Lächeln ausgedrückte Unbeschwertheit des Menschen in ihrer Familie vermissen. In der konkreten Wirklichkeit fügt sie sich ein als jetztzeitige Form des lateinischen timeo danaos sed dona ferentes: Fürchte moslemische Jugendliche auch wenn sie lächeln. Oder wenn die Eltern mit dem Kind an einem Plakat vorbeigehen werden – dass du mir ja nicht wirst wie die.
Sie bedienen sich dabei der Mittel der Physiognomie und Phrenologie frei nach dem Mediziner und Kriminologen Cesare Lombroso (L’Uomo Delinquente, 1876, dt. etwa: der verbrecherische Mensch), der meinte, das Charakteristikum des Verbrechens anhand bestimmter Züge feststellen zu können. Mit den Mitteln der digitalen Bildbearbeitung scheint es nun gelungen, diese Züge zu mitteln, sie zu objektivieren. Sachlich festgestellt: In nächster Zeit wird uns der Idealtypus des potentiellen Radikalen medial verstärkt angrinsen.
In Sachen Radikalisierung erweist sich also die „Beratungsstelle“ tatsächlich als Vorbild – Menschen markieren, sie zum allseits sichtbaren Feindbild machen, um sie dann, nach erfolgter Denunziation aus dem eigenen Familienkreis, einer nicht näher ausgeführten Behandlung zuzuführen.
Theologische Überhöhung konkreter Politik
Es ist gut, dass sich mittlerweile verschiedene muslimische Verbände kritisch zu Wort gemeldet haben und die Plakataktion, der auch Inserate bei anderen Medien folgen sollen, verurteilen.
Das Onlinemagazin Migazin (Wie Innenministerium und islamische Religionsgemeinschaften Rechtsextremisten in die Hände spielen, 27.08.2012) formuliert es drastisch: „Sehr wahrscheinlich, dass sie [die islamischen Religionsgemeinschaften als Teil der „Initiative Sicherheitspartnerschaft“, e2m] diese Aktion schon bald verurteilen, meinen, nichts davon gewusst zu haben und vor steigender Islamophobie warnen. Ändern wird das nichts – der Schaden ist da und auch der endgültige Beweis, dass sie ungeeignet sind, für Muslime zu sprechen. Danke zumindest dafür!“
Denn in der Tat darf hinterfragt werden, welchen Zweck die ohnehin autoritär nach innen agierenden Gemeinschaften wie DITIB mit dieser Groteske außer dem des vorläufigen Bündnisses mit einem ebenso autoritär handelnden Bundesinnenminister zum Zwecke der weiteren Disziplinierung verfolgen.
Das enthebt aber nicht der Feststellung, dass in jenem Jahr 1992 in Lichtenhagen Tausende Beifall klatschten, seit 2010 ein angebliches Sachbuch eine zustimmende Millionenleserschaft findet und eine nur noch als Steckbriefaktion zu nennende PR-Maßnahme 2012 öffentlichen wie stillen Beifall findet, weil sie eine „kluge Aufklärungskampagne“ sei. Auch das ist ein Kontinuum. Es fiele niemandem ein, den Idealtypus des rassistischen Unterstützers in Lichtenhagen, in den Buchhandlungen oder der Plakataktion zu zeichnen: Es wäre das gemittelte Bild des normgerechten wie normierten Bürgers.
In den Worten des Bundespräsidenten mag der eine oder die andere Trost gefunden haben. Dort wo er, ganz seelsorgerisch, die „Abgründe der Seele“ und die tiefe Verwurzelung „der Angst vor dem Fremden“ im Gebet und in privaten Initiativen entgegnet sieht. Wiewohl in diesen Passagen das Fremde, die Angst davor und die Tiefe ihrer Verwurzelung, weil vom ersten Mann im Staat anerkannt, erst recht verfestigt werden, sogar als naturrechtliche und damit unabänderliche Begebenheit.
Diese teleologische Form der Theologie, die in ihrer schwarz-weiß-Malerei weit älter ist als die Geschichte Deutschlands, kann gar nicht anders, als Macht zu evozieren: Die Allmacht, die im Gebet herbeigerufen wird und, wenn es -deswegen- konkret brennt, das Gewaltmonopol des Staates. Und trägt als Jahrhunderte alten blinden Fleck weiter, dass Feindbilder menschengemacht sind, sogar und absichtlich von eben den Trägern öffentlicher Gewalt, in der Markierung von Unterschieden und Erhebung der Unterschiedlichen zu (potentiellen oder aktuellen) Feinden.
Sie schaffen, buchstäblich und in jede Richtung, das „Dunkle und Böse“ samt der jeweiligen Opfer.
Das Fremde, egal ob als Hautfarbe, Religion, Ethnie, Sprache oder Geschlecht absorbieren statt sich gegenseitig zu befruchten, oder als Widerständiges zu bekämpfen, statt sich den eigenen tatsächlichen, weil selbstgemachten oder vermeintlichen, weil eingeflößten Ängsten und ihren Ursachen zu stellen, war bislang eine bereits mächtige Politik im Deutschland seit 1949.
Jetzt lautet sie als Credo, den Kampf so tief zu führen, dass erst gar keine Angst mehr aufzukommen braucht. Man könnte das Endziel nennen: Friedhofsruhe.e2m
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Kommentare 17
Mit Gewinn gelesen. Danke für diese Analyse!
Ach, ich weiß nicht. Von der Plakataktion kann man halten was man will, Fakt ist doch, dass es diese Radikalisierungen gibt, erst neulich kam dazu eine Doku auf 3sat "Mein Bruder der Islamist":
http://www.3sat.de/page/?source=/film/dokumentarfilm/164230/index.html
Wie geht man mit sowas um? Wie bietet man Hilfe an? Sollte man es der political correctness wegen ignorieren (sehr beliebt bei Deutschlands Möchtegern-Intellektuellen)? Ich denke nicht.
Sollte man radikale Islamisten "tolerieren"? Noch viel weniger. Religionen sind für sich schon gefährlich, da irrational (und damit Argumenten nicht zugänglich). Der 0815-Muslim in einer entwickelten Gesellschaft ist ebensowenig gefährlich, wie der 0815-Christ (abgesehen davon, dass erstere gern die Genitalien ihres männlichen Nachwuchses verstümmeln und ihre Frauen verhüllen), der überzeugte Islamist, ist in der Radikalität seiner Einstellung aber nicht von einem Rechtsradikalen oder gewaltbereiten Autonomen zu unterscheiden und mind. ebenso gefährlich. Und was erschwerend hinzukommt: in die Bibel kann man alles reininterpretieren oder nichts, der Koran ist hingegen sehr detailliert und genau in seinen Anweisungen. Da braucht man viel guten Willen um was anders zu interpretieren.
"dass Feindbilder menschengemacht sind, sogar und absichtlich von eben den Trägern öffentlicher Gewalt"
Feindbilder sind idR geronnene Klischees, sie auszunutzen ist einfach und verlockend. Und das problematische: da sie auf Klischees basieren, sind sie nie vollkommen aus der Luft gegriffen und daher plausibel, weil jeder irgendein Anschauungssubjekt kennt.
"Es fiele niemandem ein, den Idealtypus des rassistischen Unterstützers in Lichtenhagen, in den Buchhandlungen oder der Plakataktion zu zeichnen: Es wäre das gemittelte Bild des normgerechten wie normierten Bürgers."
Da verwendest du so viele Worte darauf, "Rassismus" herauszukristallisieren, verfährst dann aber genauso billig wie die Rassisten: du scherst alle über einen Kamm.
Dass Rassismus verlockend ist: keine Frage. Es ist eine Aufwertung die darauf basiert andere abzuwerten. Aber Rassismus ist auch eine beliebte Ausrede, um ethnische oder soziale Konflikte den "primitiven Rechten" in die Schuhe zu schieben.
Dieser Weg ist ausgelatscht und bringt uns nicht weiter. Die richtige Frage muss lauten: warum sind idR wenig gewaltbereite Normalos in manchen Gegenden und zu manchen Zeiten bereit Progrome zu begehen (nicht nur in D und nicht nur rassistisch bedingte)?
Die Antwort darauf lautet fast immer: sie sind von der vorherrschenden Situation überfordert und sehen politisch keinen Ausweg, bzw. werden im Stich gelassen. Ein Asylbewerberheim mit idR armen jungen Männern verschiedener Ethnien ist NIE problemlos, schon gar nicht in einer Kleinstadt, das gibt immer Konflikte und das kann man wissen und dem könnte man vorbeugen. Auch Migrantenstadtteile und Schulen in denen Einheimische Minderheiten darstellen, liefern reichhaltig Munition für jede xenophobe Einstellung. Und was tut man politisch dagegen? Man leugnet das Problem und schaut weg.
Was für ein Geschwurbel! Alle Achtung!
er nimmt teil, "geschwurbel" hat er gelernt, herzlich willkommen, du bist ein grosser geist
siehe unten, bambule , der arge schwätzer ist gemeint
Was wollten Sie uns denn nun sagen? Außer dass Sie auch Feindbilder haben.
Danke, Ed.
Nachtrag am Rande: die an der "Sicherheitspartnerschaft" (die nie eine war) beteiligten Verbände haben sie gestern mehr oder weniger aufgekündigt.
Auch wenn es kaum erwähnt wurde: es waren nicht alle namhaften Verbände beteiligt. Es gab von Anfang an Gegenstimmen.
Danke, konkrete Überlegungen, die die Praxis wenigstens mal berühren, die in dem Beitrag nicht vorkommt.
Interessanter Einwurf, Magda. Sie sind also der Meinung, dass eine "Gedenkfeier" zu dezidiert rassistischen Ausschreitungen so wenig Praxis ist wie der Ausschluß zweier Personen, denen das Gedenken eigentlich dienen sollte? Und sie sind desweiteren der Meinung, dass die Normsetzungen des BMI vermittels Plakataktionen ebenfalls keine Praxis sind, und zwar der fortwährenden Benennung und Dämonisierung des Fremden? Was ist dann für sie "Praxis"?
Ich finde, diese Setzungen sind der immer neue Beginn und die stets aufgewärmte Grundlage für eine bestimmte Sichtweise, so wie die Parole "das Boot ist voll" ganz unzweifelhaft die pogromähnlichen Vorgänge 1992 begünstigt und zur dezidiereten Einschränkung des Asylrechts geführt hat. Aber wenn wir schon von Chimären sprechen: Was denkt sich das Konterfei von der Plakatwand, wenn es "die Leute" vorbeigehen sieht?
Ja Danke lieber @Rupert Rauch,
Rupert Rauch01.09.2012 21:35
das ist das BESTE was ich bisher zu diesem Thema gelesen habe!! Und deckt auch meine Meinung in vielem. Also fast 100%ige Übereinstimmung. :-)
Wobei ich da immer wieder gerne auch Heitmeyer zitiere:
Rassismus entsteht auch aus Angst vor Unbekanntem und wenn ich keine Teilhabe mehr an der Gesellschaft habe (Rostock mit seiner prekären Beschäftigung, Arbeitslosigkeit), dann werte ich andere ab um mich selber aufzuwerten. Hier gehts ganz einfach auch um`s "Überleben". Und dann wären noch all die anderen Interessen, die im Hintergrund wirklich agieren und Verwantwortung tragen!
Es ist alles "Hausgemacht" !
Und zu dem Progrom in Rostock auch hierzu:
http://de.wikipedia.org/wiki/Massenpsychologie
manchmal nehmen Dinge ihren Lauf, die vorher so nicht beabsichtigt waren. Auch die RAF wäre ein Beispiel dafür. Der Mensch ist eben ein soziales Wesen und unterliegt immer noch dem Gruppenzwang! Jedenfalls die meißten...und da gäbe es noch wesentlich mehr Bsp.!
Ich finde es vermessen alles immer politisch zu untersetzen. So schafft man eben Feindbilder!! Politik (Religion) und damit eben die Ideologien, schaffen immer Feindbilder! Deswegen tritt die Menschheit ja auch immer noch auf der Stelle wie im Mittelalter. es hat sich nichts viel verändert. Ausser ein neuer Anstrich, eine andere Verpackung!
Zitat:
"Ein Beispiel für die Annäherungstheorie ist ein Phänomen, welches sich manchmal beobachten lässt, wenn in einer zuvor homogenen Gegend vermehrt Immigranten auftauchen und Mitglieder der bereits existierenden Gemeinschaft sich (offenbar spontan) verbünden, um die Zuzügler zu bedrohen. Anhänger der Konvergenztheorie glauben, dass in solchen Fällen nicht die Masse den Rassenhass oder Gewalt erzeugt, sondern dass die Feindseligkeit längere Zeit in vielen Bewohnern gebrodelt hat. Die Masse entsteht aus der Annäherung derjenigen Menschen, die gegen die neuen Nachbarn sind. Die Konvergenztheorie besagt, dass das Verhalten der Masse selbst nicht irrational ist, vielmehr drücken die Personen in der Gruppe existierende Ansichten und Werte aus, sodass die Reaktion des "Pöbels" nur das rationale Produkt von weitgestreuten populären Gefühlen ist."
Die Deutsche Geschichte wurde noch nie wirklich aufgearbeitet. Man hatte letztendlich einfach nur verdrängt. Besonders in der BRD! Viele verteidigen Hitler noch heute positiv!!
Heitmeyer betonte ja Auch die Homogenität in Ostdeutschland!! Selbst in einem Dorf haben es "Deutsche Neulinge" sehr schwer zur Gemeinschaft dazu zu gehören. Egal, ob in Bayern, Niedersachsen, Mecklenburg, Brandenburg oder sonstwo.
Und das dies hier in Deutschland alles so toleriert wird, liegt einfach am Untertan sein des Deutschen und hat was mit unserer Kultur/Religion zu tun! Vorallem aber mit dem autoritären Charakter wie E.Fromm dies bereits in den 50iger Jahren serh gut beschrieb. Deswegen haben wir auch wieder bereits faschistische Zustände in Deutschland, die die Mase toleriert!!
@ Rupert Rauch
Zunächst Dank für Ihre Zuschrift. Ich will versuchen, dies einigermaßen geordnet zu beantworten, weswegen ich um Nachsicht bitte, wenn ich Ihre Äußerungen teilweise in andere Kontexte hebe. Das verdeutlicht zugleich meinen Standpunkt.
„Sollte man es der political correctness wegen ignorieren“
ist nicht nur eine rhetorische, sondern vor allem eine Suggestivfrage. Sie schiebt ein Problem (welches?) einem anderen zu („Deutschlands Möchtegern-Intellektuellen“), statt sich mit der Mehrheitsgesellschaft (die Sie von mir als „über einen Kamm geschert“ sehen) zu befassen, die von Ihnen im Endeffekt sogar in ihrer Pogrom-Stimmung verteidigt wird („sie sind von der vorherrschenden Situation überfordert und sehen politisch keinen Ausweg, bzw. werden im Stich gelassen“). Eine solche Suggestion aufzulösen ist natürlich schwer, weil man nicht weiß, wo man anfangen soll.
Vielleicht damit: „Der 0815-Muslim in einer entwickelten Gesellschaft ist ebensowenig gefährlich, wie der 0815-Christ“ setzt voraus, dass es so etwas wie eine „entwickelte Gesellschaft“ gäbe, ohne zu sagen, worin diese Entwicklung bestehe und worin sie sich von einer etwa ‘nicht so entwickelten Gesellschaft‘ unterscheide. Darin sehen Sie ‘kleine Nummern‘ am Werk, die nicht gefährlich sind. Ich kann mir nicht sicher sein, warum sie nicht stattdessen geschrieben haben ‘der Durchschnittsmensch‘, sehe aber in der Unterscheidung zwischen „Christ“ und „Muslim“ den Ansatz. Denn mit dem Muslim verbinden Sie nachteilige, wie Sie nennen: Klischees („abgesehen davon, dass erstere gern die Genitalien ihres männlichen Nachwuchses verstümmeln und ihre Frauen verhüllen“) und geben damit den Rahmen vor, was Sie möglicherweise als „entwickelte Gesellschaft“ erachten: Abwesenheit von Schleiern und Beschneidungen. Ein Unterschied, der sich hinabziehen soll bis auf den kleinsten Nenner des 0815.
Abgesehen davon, dass sich in mir alles wehrt, Menschen mit Akronymen oder Ziffern zu bezeichnen, sind Ihre Äußerungen bereits das geronnene Klischee. Denn in Ihrer Wahrnehmung gibt es bereits „den“ Muslim, und Sie begründen das damit: „..in die Bibel kann man alles reininterpretieren oder nichts, der Koran ist hingegen sehr detailliert und genau in seinen Anweisungen.“ Was übersetzt bedeuten kann, im Christentum sei man zu Differenzierungen in der Lage, während der Islam bestenfalls am Wortlaut hängt, etwa wie evangelikale Sekten hierzulande. Dass das ein Klischee wäre, steht außer Zweifel. Denn so, wie es im Christentum diverse Bekenntnisse durch Interpretationen und darauf aufbauend theologische Differenzen gibt, so gilt das auch für den Islam und verwiese dazu der Einfachheit halber auf http://de.wikipedia.org/wiki/Islam#Richtungen . Wir könnten es auch anders ausdrücken: Protestanten und Katholiken ist wie Schiiten und Wahabiten der Vorname, Christentum und Islam der Gentilname, der die Gens bezeichnet. Darüber wird übersehen, dass der Familienname Mensch lautet.
Diese Klischees sind aber nicht selbstevident, sondern werden gemacht. Sie selbst dienen uns das an, dass „der“ Muslim „gerne“ etwas tue, was in einer ‘entwickelten Gesellschaft‘ nicht in Betracht komme. Der Durchschnittschrist dürfe sich also schon einmal insoweit gegenüber dem Durchschnittsmuslim im Vorteil wähnen, die Sie beide wiederum in die Kategorie „Religionen sind für sich schon gefährlich, da irrational (und damit Argumenten nicht zugänglich)“ relegieren, um sich selbst darüber zu erheben. Es ist daher ganz natürlich, dass Sie in der Plakataktion kein wirkliches Problem sehen, da sich das Ganze letztlich unter dem Horizont abspielte, den Sie für sich gewählt haben.
In dieser Hierarchie sind Sie bereit zu akzeptieren, dass „Radikale“ eine Sonderbehandlung durch die Staatsmacht erfahren, weil sie nicht nur ohnehin „gefährlichen Religionen“ angehören, sondern zudem der am wenigsten entwickelten. Also gerade so, als ob es den Satz nicht gäbe: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden“.
Diese Setzungen sind aber nützlich, gerade in Zeiten der Krise. Denn sie geben das Ziel vor, an dem alles, was schief läuft, abgeladen und aufgehängt werden kann. Dazu dient das Phantasma, wie Sie schreiben: „weil jeder irgendein Anschauungssubjekt kennt“. Mit der Plakataktion werden wir bekannt gemacht!
Ein Letztes: Auch Sie vermögen mir nicht mitzuteilen, was „radikal“ eigentlich bedeutet. Das BMI wie die bisherigen muslimischen Verbände in der Initiative haben den Salafismus als Ziel ausgemacht; das kann auf der Internetpräsenz nachgelesen werden. Abgesehen davon, dass es sich hierbei um eine sehr alte vor allem politische Denkschule handelt, in deren Namen einige meinen, sich bewaffnen zu dürfen, finden wir hier die generalisierende Betrachtungsweise: „Der“ Muslim, obwohl eigentlich nur eine bestimmte Strömung gemeint ist. Ich finde, die radikalste aller Denkformen ist der Paradigmenwechsel. Und gerade der ist nicht gefragt.
Beste Grüße, e2m
"Dort wo er, ganz seelsorgerisch, die „Abgründe der Seele“ und die tiefe Verwurzelung „der Angst vor dem Fremden“ im Gebet und in privaten Initiativen entgegnet sieht. Wiewohl in diesen Passagen das Fremde, die Angst davor und die Tiefe ihrer Verwurzelung, weil vom ersten Mann im Staat anerkannt, erst recht verfestigt werden, sogar als naturrechtliche und damit unabänderliche Begebenheit."
gut.
es entsteht der eindruck, dass rassismus in der bevölkerung - naturbedingt - eingekapselt existiere und daran gehindert werden müsse, virulent auszubrechen.
der rassismus existiert in den köpfen der herschenden clique, der politiker, der parlamentarier wie der staatsbüttel ebenso wie in denen der plebs. ein blick auf gesetze und dekrete, auf gerichte genügt.
Gegen die illegalen Fremden bewachen die Aussengrenze der EU in Weißrussland von Bundeskriminalamt und Bundespolizei geschulte Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist von der EU und der Bundesregierung mit der Kooperation beauftragt worden. Der jetzige Vizepräsident der Bundespolizei, Jürgen Schubert, war 4 mal in Minsk und hat dort Vorträge gehalten.
http://www.tagesspiegel.de/politik/500-sicherheitskraefte-geschult-deutsche-polizei-half-lukaschenkos-miliz/7047196.html
Lieber Ed,
leider mündet ihr Artikel in ein begriffliches Chaos, das zugegebenermaßen an Anfang einer jeden Schöpfung steht!
Nur ein Hinweis und ich zitiere einmal aus Walter Brugger. Philosophisches Wörterbuch (1978: 396f; inzwischen Brugger-Schöndorf), um den Reflexionsstand aus philsosophisch-theologischer Sicht einmal zu markieren:
„Teleologie (griech. telos: Ziel, logos Lehre) oder die Lehre von den Finaluraschen besagt die Ausrichtung eines Seienden in Struktur und Funktion auf ein Ziel, in dem das Seiende seine wesensmäßige Erfüllung u. Vollendung findet, aber auch das Ende seines Werdens findet (…)
Man unterscheidet dann philosophisch vier Formen von T: 1. Die Wesens-T, kurz gesagt, „nach der alles Seiende in seinem Wesen und Werden so existiert, dass seine Wesen auf seine je eigene Weise erfüllen kann. (2) Die Sinn-T bezieht sich auf den Weg, der zur Wechselwirkung führt und auf die Art der Wechselwirkung, sofern dieser geeignet ist, zum Ziel zu führen; auf die Art des Ziels. Sofern dieses das Wesen zum Ausdruck bringen soll. Manche morphologische u physiologische Eigenschaften der Organismen (zB viele Farben der Schmetterlinge, Vögel, Pflanzen) sind nützlich im üblichen Sinn der Nutzfinalität oder Anpassung an die Umwelt, sondern bringen vielmehr in ihrem Gestaltcharakter die Art zu Darstellung. Im Bereich des Menschen sind ja auch Kunstgestalten u Kunstverhalten (zB Tanz) sinnträchtig, ohne im eigentlichen Sinn nützlich zu sein (dh. Sie überleben auch ohne Tanzerei) (3) T ist Zielbezogenheit im Sinne von Zielstrebigkeit u Zweckmäßigkeit, Zielstrebigkeit meintdie Ausrichtung einer Tätigkeit oder eines tätigen Prinzips auf ein vorgestrecktes, zu erreichendes Ziel.“1 Gemeint sind Ziele, die sich der Mensch selbst steckt im freien Erkennen und Wollen (bewußte T). Nun, ich könnte hier weiter ausholen, auf den freien Willen rekurrieren, der ja gar kein freier Wille ist, sondern stets bedingter etc. , aber das spare ich mir ein. Sie sind Jurist und können diesen Gedanken weiterdeduzieren. „(4) Nutz-Finalität lenkt den Blick auf mehr oder minder große Nützlichkeit u Dienlichkeit der F-Ordnungen. Jetzt müsste ich fortfahren – in Hinblick auf die weitverbreitete Verkennung der F als einer Ursache- und den Eigencharakter u ihre Beziehung zur Wirkkausalität herausstellen. Das tue ich hier nicht, sondern mache mit Einschränkung nur darauf aufmerksam, dass die Zielstrebigkeit den Zufall nicht ausschließt.“ (Ebd.)
Erkenntnistheoretisch ist der Teleologiebegriff seit 250 Jahren erledigt, zumindest in unserer philosophischen Kultur. "Aufgrund von Vorentscheidungen, die auszuführen hier überborden, fassen Kant und seine Nachfolger die F nicht mehr als konstitutives Prinzip der Wirklichkeit, sondern als regulatives der forschenden u einheitssuchenden Urteilskraft auf (Kritizismus). Die Vorentscheidung, dass es den zielstrebenden absoluten Geist nicht geben kann, außerdem Organismen ein lebendiges Naturstreben abgesprochen werden muss (Monod!), macht teleologische Betrachtungen von vorneherein unmöglich." (Ebd.)
Die grundsätzliche Ausklammerung Gottes wie sie der Neukantianismus (zB unter Nicolai Hartmann in Anschluss an Denker wie Hermann Cohen und Paul Natorp) vornimmt, nötigt dann dazu, „die nicht zu leugnende Zweckmäßigkeit der Einzelorganismen und des gesamten lebendigen Kosmos u seiner Evolution letztlich durch allmächtiges Wirken des Zufalls der Selektion zu erklären (N. Hartmann)." (Ebd.) Damit wird aber, und hier liegt die Crux, warum so eine Begrifflichkeit überhaupt noch in aller Munde ist, "ein biologosch bedeutsames Prinzip zu einer metaphysischen Letztursache extrapoliert. Wer aber den Lebewesen ein immanentes Naturstreben abspricht, muss zu mechanischen Erklärungen übergehen" (Ebd): die Gene etc..
Natürlich ist die Religion von dem Prozess der Zurückweisung von Teleologie als Welterklärung nicht unbehelligt geblieben, und "natürlich" erhellt sich das esrt durch entsprechende Lektüre auch Atheisten.
Lieber Ed, dass ich hier überhaupt so lange zitiere und aushalte liegt daran, dass ich Sie und Ihre Blogs schätze, hier aber meine, sie bleiben weit hinter ihren Möglichkeiten. Dieses Behaupten statt Begründen, dieses Aneinanderreihen von Assoziationen, die schließlich auf die allein "seligmachende" These hinauslaufen von "Religion als Grundübel von allem und jedem" ist das nicht allzu billig, intellektuelle Tiefstapelei , angereichert mit Begriffen, die eher verwirren als klären? Und setzen ausgerechnet Sie sich somit nicht der Kritik aus, dass ihr Blog am Ende, jenen Entlastung beschert, denen eigentlich knallharte Kritik gebührt.
Die Kriminellen von Rostock, diese Rassisten anderswo auch waren und sin keine Beter. Ich erspare Ihnen hier Gedanken über das Gebet, nur so viel: theologisch gesprochen ist auch diese Art der Gewalt - Sünde!
Philosophisch hat das Emmanuel Lévinas auf den Punkt gebracht: „Das Gesicht des Seins, das sich im Krieg [Gewalt] zeigt, konkretisiert sich im Begriff Totalität. Dieser Begriff beherrscht die abendländische Philosophie (das Denken). In der Totalität reduzieren sich die Individuen darauf, Träger von Kräften zu sein, die die Individuen ohne ihr Wissen steuern.“ ( Emanuel Lévinas. Totalität und Unendlichkeit. Versuch über die Exteriorität. München: Alber, 1987, S. 20. Original: Totalité et Infini. Essai sur l‘ Extériorité, 1980)
Ach, wenn das zu ausufernd war - entspricht das meiner Spätsommer-Ferienlaune
LG Blumengrüße
Ich danke Ihnen für Ihre ausführliche Stellungsnahme. Tatsächlich wäre statt teleologische Theologie zu schreiben gewesen: teleologische Ethik und zwar eben nicht im aristotelischen, sondern im Sinn einer naturrechtlichen Normenbegründung.
Beste Grüße, e2m