Bis vor wenigen Jahren galt die amerikanische Wirtschaft als die dynamischste und effizienteste der Welt. Heute würde das niemand mehr behaupten. Die anhaltende Talfahrt ist weit mehr als ein normaler Konjunkturrückgang. Ganz unabhängig davon, welches Ausmaß sie noch annehmen wird, hat sie schon jetzt zu Tage gefördert, auf welch schwachen Füßen die amerikanische Hegemonie steht. Der globale Kapitalmarkt, auf den sich die Amerikaner seit über 20 Jahren stützten, den sie mit der Waffe der Unberechenbarkeit, Schnelligkeit und Wucht von Vermögensbewegungen für ihre Interessen nutzten, hat ihre eigene reale Basis getestet und - allerdings auch zu seinem eigenen Leidwesen - für zu schwach befunden.
Was ist zu tun, um die enttäuschten Anleger zu besänftigen und ihnen wieder Mut zu machen? Was bleibt, wenn der Finanzmarkt sich im Kreise dreht, wenn er es nicht mehr schafft, aus der Produktion respektablen Gewinn zu ziehen? Nachdem der Versuch misslungen ist, die amerikanische Produktion mit einem wahren Geldsegen wieder zum Fundament einer anerkannten, sozusagen natürlichen Hegemonie zu machen, bleibt offenbar nur noch die Alternative, von Krieg und Zerstörung zu profitieren. Und politisch heißt das: Wer nicht mehr von selbst Anerkennung findet, sucht sie zu erzwingen. Die Rüstung ist der Ersatz für die nicht erreichte ökonomische Effizienz - insofern ein schlechter Ersatz, als die Rüstungsindustrie selbst ein Musterbeispiel von Ineffizienz ist.
Da dieses Defizit der amerikanischen Wirtschaft ganz wesentlich in der mangelnden Ressourcenproduktivität, also ungeheurer Verschwendung, besteht, dient die Kriegspolitik zugleich der Ressourcensicherung, ist also Verschwendung um weiterer Verschwendung willen. Das läuft letztlich auf die Zerstörung der ökologischen Perspektive der Menschheit hinaus. Damit bekommt die Globalisierung aber ein Gesicht, das für die Freihandelsnation Deutschland gänzlich ungewohnt ist. Denn man kann jetzt nicht mehr vom freien Welthandel reden, ohne zugleich vom Krieg zu reden. Offensichtlich wird, was man vor ein paar Jahren noch verdrängen konnte: Die sogenannte Globalisierung beruht politisch wesentlich auf der Vorherrschaft der Vereinigten Staaten.
Welche Chancen aber hat diese Hegemonie, wenn sie sich - im Unterschied zu früheren Jahren - vor allem auf Drohung, Erpressung und Krieg gründet? Sehen wir von den genannten wirtschaftlichen Schwächen der Vereinigten Staaten einmal ab, so scheinen die Chancen angesichts ihrer einzigartigen militärischen Überlegenheit durchaus groß zu sein. Die USA haben von Großbritannien die Strategie übernommen, den eigenen persönlichen Einsatz möglichst zu minimieren, indem sie andere für sich kämpfen lassen oder gewaltige technische Mittel einsetzen. Wer aber derart über dem Widerstreit der Welt stehen und ihn für sich nutzbar machen kann, der nimmt eine Gott ähnliche Stellung ein. Wie die Briten mit dem Drohpotenzial ihrer Flotte (fast) überall und immer präsent sein konnten (»fleet in being«), so können es die USA mit dem Drohpotenzial ihrer Atomwaffen, ihrer Flotte, Luftwaffe, Weltraumkontrolle und Informationstechnologie.
Der Haken ist nur, dass sie mit all dem auf den Menschen und die Erde angewiesen bleiben. Es gibt nur wenige Kriege in der Geschichte, die allein oder hauptsächlich aufgrund technischer Überlegenheit gewonnen worden sind. In der Mehrzahl der Fälle war der Mensch - das heißt Ausbildung, Moral, Organisation, Führung - entscheidend, aber auch der Zufall, die unberechenbare Natur. Die von den Vereinigten Staaten angestrebte Unverwundbarkeit gibt es nicht; und zwar nicht nur wegen der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, sondern vor allem auch, weil der technische Fortschritt die Gesellschaften verwundbarer macht. Man denke nur an die über 200 Kernkraftwerke in Europa, an die vielen hundert Ölraffinerien und Tanklager, an die vielen tausend Chemiebetriebe, an das Gas-, Strom- oder Kommunikationsnetz, alles hochbrisante Ziele für Terroranschläge.
Was das moralische Empfinden angesichts der amerikanischen Politik zutiefst beleidigt, deutet auf das Problematische dieser Art von Sicherheit hin: die nochmalige, zusätzliche Drohung gegen die, deren Existenz ohnehin schon bedroht ist, und der Krieg, der vom Himmel herab geführt wird, um diejenigen, die schon am Boden sind, noch unter die Erde zu befördern. Das kann keine Anerkennung finden, weil es kein Beweis von Überlegenheit ist. Wenn dabei scheinbar human der persönliche Kampf möglichst vermieden werden soll, wird in Wahrheit der Gegner als Mensch verachtet und der Natur zugeschlagen.
Der Gegner aber, der sich auf der High-Tech-Ebene ohnehin nicht bewegen kann, ja kaum noch zu staatlich organisiertem Krieg fähig ist, hofft zunächst auf den Kampf am Boden, weil er Mensch und nicht Natur sein will. Wird ihm dieser nun verweigert, so bleibt ihm gar nichts anderes mehr übrig, als die Zivilisation, die von ihm nichts wissen will, an ihren verwundbarsten Stellen anzugreifen und so an sein Dasein zu erinnern. Er macht damit nicht nur die High-Tech-Rüstung lächerlich. Er fordert auf brutale Weise die gemeinsame Sicherheit ein, auf die Bush und seine Regierung meinen, verzichten zu können.
Zudem beweist aber der Terrorist, indem er sein Leben wegwirft, die elementare menschliche Freiheit im Sinne der Stoa; nämlich die Freiheit gegenüber denen, die wie Gott sein wollen, indem sie die Macht über Leben oder Tod der Menschheit in Händen halten und die Mehrheit mit dem Tod bedrohen, während sie ihr eigenes Leben auf phantastische Weise sichern wollen. Wer zum Sterben bereit ist, nicht mehr an diesem Leben hängt, dem kann man auch nicht mehr drohen. Es ist schon fragwürdig, Sicherheit herstellen zu wollen durch die Bedrohung ohnehin Schwächerer. Es ist unmöglich, sie durch die Bedrohung derer herstellen zu wollen, die den Tod gar nicht mehr fürchten.
Edelbert Richter war von 1994 bis 2002 Bundestagsabgeordneter der SPD und hat sich ausführlich mit Veränderungen der US-Hegemonie auseinandergesetzt - Edelbert Richter: Eine zweite Chance? Die SPD unter dem Druck der »Globalisierung«, VSA-Verlag, Hamburg, 2002
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