Der Staat soll sparen: diese Forderung scheint vielen nur deshalb plausibel, weil sie mit hor renden Milliardenbeträgen erschreckt und in einer vormodernen, quasi mittelal terlichen Bewusst seinsschicht angesprochen werden. Aber keine Angst vor den absolut steigenden Schulden! Sie müssen in einer wachsenden Wirtschaft stei gen, weil auch die Vermögen beziehungsweise Investi tionen steigen. Wichtig ist nur die Re lation zum Bruttosozialprodukt: die Verschuldung darf nicht stärker als dieses steigen.
Wenn der Staat also mit Krediten etwas Vernünftiges anfängt, zum Beispiel in For schung oder In frastruktur investiert, so haben alle auch in der Zukunft einen Gewinn, der (normalerweise) die Schuldenlast überwiegt und abzutragen erlaubt. Viele Unter nehmen in O
ehmen in Ostdeutschland wären übrigens froh, wenn sie sich verschulden, das heißt, von den Banken Kredit bekommen könnten.Missverständlich ist auch die Rede von der »Belastung der künftigen Generatio nen«, denn sie kann ebensogut auf einen Staat zutreffen, der aus Angst vorm Schuldenmachen not wendige Investitionen in die Zukunft versäumt! Wo Schulden sind, sind logi scherweise auch Forderungen, das heißt Vermögen, die wir den künftigen Generationen verer ben; und die Frage ist nur, wer das eine und wer das andere besitzt. Warum werden bei der Rede von der Belastung der künftigen Generationen denn immer diejenigen weggelassen, die eben umge kehrt die Entlasteten sein werden, weil auf deren Konto die Belastung (buch stäblich in Form von Zins und Tilgung) geht?Unser Schuldenstand ist im internationalen Vergleich nicht dra matisch hoch. Er liegt weit unter dem Durchschnitt der Staaten, die an der Europäi schen Währungsunion teilnehmen.Im Blick der öffentlichen Meinung ist seltsamerweise immer nur der Staat kolossal verschuldet. Weshalb wird nicht auch davon gesprochen, dass die privatwirtschaftliche Verschuldung weltweit einen histori schen Höchststand erreicht hat, wie die Bank für internationalen Zahlungsaus gleich berichtet?Die Klage über die zerrütteten Staatsfinanzen geht meist einher mit der Klage über zuviel Bürokratie, zuviel Steuern, zuviel Staat überhaupt. Der Staat soll daher seine Schulden abtragen, aber nicht etwa, in dem er dabei auf höhere Einnah men bedacht ist, sondern indem er sogar gleichzeitig auf Einnahmen ver zichtet. Das war auch die Botschaft unserer Regierung im Juni: Wir sanieren den Haushalt, aber mit dem ausdrücklichen Versprechen, keine Steuern zu erhöhen. Auf einen ver schuldeten Privatmann übertragen, würde diese Botschaft bedeuten: Ich werde, um wie der vertrauenswürdig zu sein, alle Schulden zurückzahlen, aber dabei keinen Pfennig mehr Verdienst anstreben, sondern von dem Einkommen, das mir zusteht, sogar zusätzlich noch etwas hergeben. Eine wahrhaft demütige, um nicht zu sagen: hündische Haltung!Ist Geld in privater Hand mehr wert? Hinter dem Wunsch nach Abbau der Staatsverschuldung steckt also eigentlich der neoliberale Wunsch nach Abbau der Staatstätigkeit über haupt. Es ist der Glaube, dass Geld grund sätzlich in privater Hand besser aufge hoben ist. Oder noch einfacher: der Ex pansionsdrang der Privatwirtschaft steckt dahinter. Den hat die Politik offenbar inzwischen so verinnerlicht, dass sie ihm in vorauseilen dem Gehorsam immer schon zu ent sprechen sucht. In unserer Regierung hat sich besonders der Wirtschaftsminister zum An walt dieses Glaubens gemacht.Die Staatsquote ist in Deutschland aber mit 48 Prozent im internationalen Vergleich kei neswegs be sonders hoch. In Europa liegt sie im Mittelfeld; in den USA ist sie nur deshalb niedriger (32 Prozent), weil dort keine Sozialversicherung unserer Grö ßenordnung besteht.Im wesentlichen sind drei Arten von Staatsverschuldung zu unterschei den, von denen zwei notwendig sind. Gehen Konjunktur und Beschäftigung zurück, so kommt es beim Staat zu Steu erausfällen und zu Mehrausgaben für Arbeitslosenunterstüt zung, die über Kredite finanziert werden. Solche rezessionsbedingte Ver schuldung muß akzeptiert werden. Sie wirkt als Stabilisator der Konjunktur. Bei einer Störung des gesamt wirtschaftlichen Gleichgewichts ist laut Grundgesetz Art. 115 eine zusätzli che Kreditaufnahme zu konsumtiven Zwecken ausdrücklich erlaubt.Dass aus falsch verstandener Sparsamkeit unterlassene Investitionen die künftigen Generationen wahrscheinlich teurer zu stehen kommen als Zinszahlungen, wurde schon ge sagt. Der genannte Artikel 115 erlaubt daher auch investitionsbedingte Verschuldung. Sie ist aber stark ge sunken, von sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts 1970 auf heute zwei Prozent, dürfte also durchaus erhöht werden.Die Wirtschaft dankt's nicht Aus diesen Arten von befristeter Verschuldung kann nun leicht eine dauerhafte, strukturelle Verschuldung werden, die in der Tat abgebaut werden muß. Bevor man mit dem Abbau dieser Verschuldung beginnt, sollte man allerdings genau nach deren Ursachen fragen. Sonst könnte es ja passieren, dass man nur an den Symptomen herumlaboriert und der Krankheitsherd ganz unange tastet weiterwirken kann. Ich sehe im Wesentlichen zwei Ursachen.Als man noch keynesianisch dachte, hatte man nicht den Mut, im konjunkturellen Hoch durch Steuern das Geld zur Konsolidierung hereinzuholen - und zwar nicht nur wegen bevorstehender Wahlen, sondern auch wegen der abnehmenden Wachs tumsraten. Und als man dann neoliberal dachte, hat man aus der Tatsache nie drigerer Wachstumsraten den Schluss gezogen, dass man die Wachs tumskräfte um jeden Preis stärken müsse, indem die Unternehmen durch Steuergeschenke und Kürzung der Sozialleistungen motiviert wurden.Ich erinnere an das sogenannte Stan dortsicherungsgesetz von 1994 oder das unter dem Namen »Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung« verkaufte Sparpaket von 1996, das übrigens mit der Abschaffung der Ver mögenssteuer verbunden war. 1995 hatte der Steuerverzicht des Staates schon die Höhe von 86 Milliarden DM pro Jahr erreicht, wenn man den Anteil der Ge winnsteuern am Ge samtsteueraufkommen vom Jahr 1980 als Maßstab zugrun delegt! Und die Kürzungen bei den Sozialleistungen allein in den Jahren 1993 - 1997 summieren sich auf 84 Milliarden DM. - Die Hoffnung der alten Regierung, dafür von den Unternehmen mehr Wachstum, mehr Arbeit splätze und schließlich auch mehr Steuern zu be kommen, ist jedoch nicht aufgegan gen. Darum hauptsächlich (von der Wiedervereinigung abgesehen) wuchsen die Ausgaben und musste der Staat sich weiter verschulden.War es also nicht naheliegend, bei der Stimulierung des Wachstums endlich auch einmal an die Nachfrage zu denken? Und so auch eine langfristige Haus halts konsolidierung einzuleiten? Das war (natürlich sehr verkürzt) das ursprüngli che Konzept der neuen Bundesregierung. Hans Eichel jedoch hat bei der Be gründung seines Sparprogramms im Bundestag weder die permanente Steuer entlastung der Unternehmen durch die frühere Regierung noch die über 150 Sparmaßnahmen, die sie der Bevölkerung zugemutet hat, überhaupt er wähnt. Kommt diese enorme Umverteilung von unten nach oben (und daher verkehrte Wachstumsstimu lierung) für ihn als Ursache der Staatsverschuldung gar nicht in Betracht? Sein Vorwurf an die alte Bundesregierung war im Wesentlichen nur, dass sie »den ver fassungsrechtlich zulässigen Kreditrahmen weit gehend ausge schöpft und den Haushalt Jahr für Jahr am oberen Limit gefahren« habe.Das Gegenmittel des Ministers: die Aus gaben müssen noch rigoroser gekürzt werden. Er will gleichzeitig die Unternehmenssteuern senken und verbindet damit - wie die alte Regierung - die Hoffnung, künftig doch höhere Steuereinnahmen erzielen zu können. Es ist dies nach 16 Jahren Erfahrung mit einer solchen Politik eine wahrhaft religiöse Hoffnung!Zwar ist einzuräumen, dass bei Eichel nur die reinvestierten Gewinne steuerlich begünstigt werden sollen, so dass die Maßnahme immerhin nicht auf bloße Reichtumsförderung hinausläuft. Aber Investitionen führen nicht notwendig zu mehr Arbeitsplätzen, sondern als Rationalisie rungsinvestitionen, zumal unter Bedingungen des Shareholder Value, meist gerade zu deren Abbau. Und selbst wenn es zur Schaffung von Arbeitsplätzen käme, bliebe das Problem einer ungenügenden Nachfrage: Wer soll denn die zusätzlich hergestellten Waren kaufen, wenn Arbeitsplätze doch nur unter der Voraussetzung geschaffen werden, dass der Anstieg der Löhne unter dem der Produktivität liegt?Bei der Konsolidierung kann es also nur darum gehen, die langfristig angehäufte strukturelle Verschuldung ab zutragen; und dabei muß man aufpassen, dass man nicht das Kind mit dem Bade ausschüttet, das heißt zugleich die notwendige rezessionsbedingte und investi tions orientierte Verschuldung mit abbaut. Daraus folgt, dass der Abbau nicht im Hauruckverfahren erfolgen kann;vor allem aber, dass die dazu notwendigen Ausgabenkürzungen im konjunkturellen Tief verboten sind. Denn sie würden zu Minder ein nahmen der Wirtschaft, damit zu noch weniger Wachstum und noch mehr Ar beitslosigkeit, auch zu niedrigeren Steuereinnahmen und am Ende zu mehr Verschuldung führen.Bleibt demnach nur das konjunkturelle Hoch als Gelegenheit zur strukturellen Entschuldung. Hier wären die großen Unternehmen wirksam an ihre Steuerpflicht zu erin nern, weil der Anteil der reinen Vermögenseinkommen an den Umternehmer einkommen inzwischen über 50 Prozent beträgt; weil sie mit ihrer Steuervermeidung ganz wesentlich zu dem Haushaltsproblem beigetragen haben: sie zahlen in zwischen weniger Steuern als sie Subventionen erhalten; und weil sie schon 16 Jahre lang entlastet worden sind, ohne dass dies unter dem Strich mehr Arbeitsplätze gebracht hätte.Werden nun Ausgabenkürzun gen, sofern sie in den Aufschwungphasen durchgesetzt werden können, aus reichen, um die strukturelle Verschuldung langfristig abzutragen? Müssten sie nicht doch so hoch sein, dass sie Konjunkturen abwürgen und notwendige öffentliche Investi tionen verhindern würden? Gibt es noch eine andere Möglichkeit, die Kon solidierung zu erreichen? Hier stellt sich doch die Frage, riesige, über dem Wirtschaftskreislauf frei schwebende Vermögen einzubeziehen, wie es die SPD-Fraktion in einem Antrag fordert.Das scheinbar stärkste Argument der Regierung für die Sparpolitik ist, dass damit nicht nur die Handlungsfähigkeit des Staates wiederhergestellt wird, son dern auch die ständige Umverteilung von den Steuerzahlern zu den Kreditge bern endlich aufhört. Das Irritierende an diesem Argument ist jedoch zunächst der quasi-religiöse Ton der Entsagung: dass also der Weg aus der Abhängigkeit, die Verschuldung in der Tat bedeutet, nur in Verzicht und korrektem Schuldendienst bestehen kann. Ist das richtig angesichts der immer geringeren und vielfach versäumten Steu erpflicht der Reichen? Läuft das nicht auf die Paradoxie hinaus, dass der demo kratische Staat seine Freiheit von wenigen auf Kosten der Mehrheit seiner Bürger wiedergewinnen will?Aber auch abgesehen von diesem rechtlichen Ge sichtspunkt: Verbessert der Staat denn wirklich seine Position gegenüber der Macht der Wirtschaft, wenn er sich sozusagen freikauft? Worin liegt denn die tiefere Abhängigkeit: in der Verschuldung oder darin, in bezug auf Steuern und Arbeitsplätze gleichsam auf ihre Gnade angewiesen zu sein?Die Sache ist womöglich ganz einfach: Der Staat muß deshalb seine Schulden abbauen, weil die Privatwirtschaft nicht mehr bereit ist, ihm (ausreichend) Kredi te zu gewähren. Sie wälzt ohnehin die sozialen Kosten, die der Markt verur sacht, gern auf den Staat ab. Jetzt ist sie nicht einmal mehr bereit, diese Kosten über Kredite zu finanzieren. Kredit kommt aber von credere, weshalb man noch kürzer sagen kann: Sie hält ihn nicht mehr für glaubwürdig. Das pfeifen die Spatzen als neoliberale Weisheit ja auch von allen Dächern! Das Ziel des Spar programms ist demnach gar nicht, die eigene Handlungsfähigkeit, das Vertrauen der Politik zu sich selbst wiederzugewinnen, sondern die Vertrauenswürdig keit gegenüber der Privatwirtschaft - ein Ziel, das Gerhard Schröder ja auch oft genug als sein eigentliches hat durchblicken lassen.Nur zwei Argumente haben Gewicht Von all den Argumenten, die für die Sparpolitik vorgebracht werden, bleiben am Ende zur zwei. Das eine ist, dass wir uns im Zusammenhang der Europäischen Währungsunion auf den Stabilitätspakt von Amsterdam 1997 eingelassen haben, der in relativ kurzfristiger Perspektive einen ausgeglichenen oder sogar Überschüsse ausweisenden Staatshaushalt verlangt. Das zweite Argument von Gewicht ist der globale Rahmen, in dem sich unsere Haushaltspolitik bewegt, hauptsächlich die Steuerwillkür der multinationalen Unternehmen und der Druck der globalen Finanzmärkte. Dagegen ist nun kurzfristig in der Tat kein Kraut gewachsen, obwohl entsprechende Vorschläge schon lange auf dem Tisch liegen: Steuerharmonisierung in Europa, Tobinsteuer, globale Währungsstabilisierung und so weiter. Meine Frage ist aber gerade, ob wir denn nicht auch den Haushalt langfristig konsolidieren und dies dann mit Anstrengungen verbinden können, auf der internationalen Ebene zu solchen Regulierungen zu kommen.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.