Leute am Loch

Fischfang Beschaulich erscheint das Städtchen Helensburgh in Schottland. Dort zieht Denise Mina ihr Netz um die Leser zusammen
Ausgabe 15/2018

Kurz vor dem schottischen Unabhängigkeitsreferendum 2014 ist die Stimmung auch in Helensburgh am Loch Lomond aufgeheizt. Was die Stimmung besonders aufkochen lässt, sind in dem einst wohlhabenden Touristenort jedoch nicht so sehr die mit dem Ergebnis des Referendums verknüpften Befürchtungen und Hoffnungen, als vielmehr die Frage danach, wer in der Stadt wie wählen wird.

In diese Atmosphäre platzt die Nachricht von einem Mord an einer jungen Frau. Während die entsetzte Bewohnerschaft der Kleinstadt nun ein weiteres Rätsel zu lösen hat, ist diese Frage für uns Leser von Anfang an geklärt: Iain Fraser, ein erst kürzlich entlassener Kleinkrimineller, ist der Mörder. Der Mord, ein Auftragsmord, ist das Resultat einer Schuldtilgung. Da damit die Frage gelöst ist, wer den Mord begannen hat, scheint Blut, Salz, Wasser nur noch in eine Richtung laufen: Der Leser schaut der Polizei, also der spröden DI Alex Morrow, 300 Seiten lang zu, wie sie im Dunklen tappt, bis sie durch bizarre Hinweise den gewieften Auftragskiller überführt, der sich im Weiteren als grausamer Serienkiller herausstellt.

So wäre es wohl, wenn Blut, Salz, Wasser nicht aus der Feder von Denise Mina entstammte, der Queen des Tartan Noir, wie sie in der britischen Presse und vom Großmeister Ian Rankin gefeiert wird, es ist eine speziell schottische Krimi-Adelung. Ebenso wenig herkömmlich wie der Anfang ihres fünften Falls ist auch Minas Täter. Fraser ist nicht die Sorte grausamer Serienkiller, vielmehr abergläubisch und fast schon liebenswert. Und auch die schottische Polizei, in der Verkörperung der spröden DI Alex Morrow, rückt nicht etwa aus Glasgow an, um Iain Fraser zu überführen, sondern um die trotz intensiver Beschattung abhandengekommene Roxanna Fuentecilla aufzuspüren. Denn zufällig verlieren sich die Spuren der jungen Mutter, die in südamerikanische Drogenkartelle und Geldwäscherei verwickelt zu sein scheint, etwa zur gleichen Zeit, just am gleichen Ort, an dem auch die Leiche wieder auftaucht. Dass die Frauenleiche wieder auftaucht, ist in dem verschlafenen Küstenstädtchen fast ebenso Thema wie das Ableben der jungen Frau. Denn jeder weiß, was der Loch einmal verschluckt, gibt er doch eigentlich nie wieder frei.

Wen verwundert es da, dass sich nun die halbe Stadt zu Wort meldet? Darunter auch der genusssüchtige Inn-Besitzer Boyd Fraser, der zu den Lawnmore Frasers zählt, nicht wie Iain Fraser zu den Colquin Frasers – Details, die in einem Städtchen, in dem jeder jeden kennt, und im heutigen Schottland, das nie ganz von seiner Clan-Tradition Abstand genommen hat, nicht unwesentlich bleiben.

Und was will die Ex-Lehrerin, die aus den Staaten zurückkehrt, vorgeblich um den Nachlass ihrer bereits seit zwei Jahren verstorbenen Mutter zu verwalten? Was der schmierige Kleinstadtanwalt? Derweil fädelt DI Alex Morrow am Ufer des Loch Lomond geduldig die losen Fäden zwischen Roxannas Verschwinden und dem Mordfall an der jungen Frau zu einem erstaunlich weiten Netz zusammen, in dem ganz plötzlich zwischen Kleinstadthaien unvermutet große exotische Fische schwimmen.

Auch wir Leser haben uns bis dahin längst in Minas dicht geknüpftem Geschichten-Netz verfangen. Was nicht allein dem hohem literarischen Können und der Sprachgewandtheit der Glasgower Krimimeisterin geschuldet bleibt – welche die Krimiautorin und hier Übersetzerin Zoë Beck beachtlich stilgetreu zu übersetzen vermag. Mina verschont uns zum Glück mit genretypischen Klischees. Und wenn sie mit Alex Morrow am Ende ihr Netz zusammenzieht, verstört uns nicht so sehr, dass nicht nur in den schottischen Lowlands Gerechtigkeit und Recht zwei Paar verschiedene Gummistiefel tragen. Ebenso wenig irritiert uns die Misogynie, die durch alle Schichten und Köpfe so alltäglich rauscht, dass es schon fast keiner mehr wahrzunehmen scheint, weil sie sich als ein andauerndes Hintergrundgeräusch etabliert hat. Es ist vielmehr der tiefe emotionale Nachhall, den Mina bei aller Unterhaltung in uns zu erzeugen vermag. Denn genauso wenig wie Alex ist sie letztlich an der Auflösung des einzelnen Verbrechens interessiert, selbst dann nicht, wenn sich die Gesetzeshüter nur darum zu kümmern scheinen, wer am Ende die Lorbeeren für die Überführung der Täter einheimst.

Habsucht treibt uns an

Was Denise Mina hier unter die Lupe nimmt, ist der kriminelle Motor unserer Gesellschaft und sein Treibstoff: die Habsucht und die dahinter währende menschliche Angst, nicht genug vom Kuchen abzubekommen. So erstaunt es in letzter Konsequenz nicht, dass Mina nicht nur ihre Opfer, sondern auch die Täter herzerweichend menschlich, und darin erschreckend real, träumen und hoffen lässt, und mit ihnen auch uns im Unmenschlichen das Menschliche erkennen, im Bösen das Gute erhoffen und die Abgründe in uns selbst erschreckend laut echoen lässt.

Wer bisher noch nicht das Vergnügen hatte, DI Morrow in ihrer glasklaren, aber nie zynischen Sektion krimineller Strukturen zu folgen, ist gerettet: Blut, Salz, Wasser ist ihr fünfter Fall. Vier weitere Fälle, die zu lesen bleiben. Oder besser noch, vorab zu lesen sind, um voll und ganz diesen fünften Fall mit seinem grandios ausgekochten Täter zu genießen. Wir anderen hingegen müssen uns gedulden, bis hoffentlich der nächste Alex-Morrow-Fall aus der Feder der international gefeierten Schottin folgt.

Info

Blut, Salz, Wasser Denise Mina Zoë Beck (Übers.), Argument 2018, 320 S., 19 €

Die Bilder des Spezials

Gangster, falsche Prediger, jede Menge Psychopathen und Mafiosi, Korruption in Politik und Polizei – das waren die berüchtigten Schattenseiten von Los Angeles, der berühmten Stadt der Engel.

Der Goldrausch, die Ölindustrie, Traumfabrik Hollywood – L.A. lockte Darsteller, Glückssucher und Hochstapler an, die Stadtbevölkerung explodierte in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg, 1920 lebten in Los Angeles bereits 1,2 Millionen Einwohner. Dark City. The Real Los Angeles Noir (Taschen 2018, 480 S., dreisprachig, 75 €) zeigt den rasanten Aufstieg der Stadt in den 1920er bis 1950er Jahren. Der Band versammelt Fotos aus Archiven, Museen, vor allem aus dem spektakulären Privatbesitz des Kulturanthropologen und Grafikdesign- Experten Jim Heimann.

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